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Corona-Zahlen in DeutschlandGefährliche Sorglosigkeit

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die Zahl der Neuinfektionen ist stark zurückgegangen. Leider sehen nicht alle diese positive Nachricht als Ergebnis der getroffenen Schutzmaßnahmen.

Menschenmengen lassen sich in einer Großstadt nicht vermeiden, am Bahnhof in Frankfurt Foto: Michael Probst/ap

A m Mittwoch war es so weit: Beim Robert-Koch-Institut wurde die 200.000. deutsche Coronainfektion gemeldet. Doch großen Schrecken löst diese Zahl glücklicherweise nicht aus, denn die Zahl der Neuinfektionen ist stark zurückgegangen. Während Anfang April 50.000 Infektionen innerhalb einer guten Woche verzeichnet wurden, verteilten sich die jüngsten 50.000 auf fast drei Monate.

Im Vergleich zu den Pro­gno­sen am Beginn der Epidemie und gemessen an der Situation in vielen anderen Ländern ist Deutschland mit seinen bisher rund 9.000 Coronatoten erstaunlich gut davongekommen. Leider begreifen nicht alle diese positive Entwicklung als Ergebnis der getroffenen Schutzmaßnahmen; manche nutzen sie als Begründung dafür, die wenigen noch verbliebenen Beschränkungen wie die Maskenpflicht in Läden und Verkehrsmitteln infrage zu stellen oder zu ignorieren.

Auf Widerstand stößt teilweise auch der Plan für mögliche regionale Reisebeschränkungen, über den die Länder an diesem Donnerstag entscheiden wollen. Dabei erscheint es bei regionalen Ausbrüchen sehr naheliegend, mit regionalen Einschränkungen zu reagieren.

Denn auch wenn eine Beschränkung der Freizügigkeit stets ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte ist, kann sie doch das mildere Mittel sein – nämlich im Vergleich zu sehr viel weitergehenden Einschränkungen, die erneut überregional und längerfristig drohen können, wenn ein regionaler Ausbruch nicht gestoppt werden kann.

Doch die Tage im April, als die Straßen menschenleer waren und Schulen und Geschäfte sehr kurzfristig geschlossen wurden, ist für manche offenbar nur noch eine sehr ferne Erinnerung – und erst recht die noch weitaus drastischere Situation in vielen Nachbarländern.

So erfreulich diese Entwicklung ist, so gefährlich ist die Sorglosigkeit, die mit ihr einhergehen kann. Viele andere Länder, in denen es zunächst ähnlich gut lief, machen gerade die schmerzliche Erfahrung einer zweiten Welle. Deutschland sollte weiterhin alles daran setzen, diese zu verhindern und die nächste runde Corona-Zahl möglichst weit hinauszuzögern.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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6 Kommentare

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  • Volle Zustimmung! Besser ich bleibe zwei Wochen daheim, wenn es mal „meinen“ Landkreis trifft, als das vier Wochen später alle daheim bleiben.

  • "Leider begreifen nicht alle diese positive Entwicklung als Ergebnis der getroffenen Schutzmaßnahmen..."

    Gehen Sie mal zum RKI-Dashboard:

    Schauen Sie sich da mal rechts die Grafik "COVID-19-Fälle/Tag nach Erkrankungsbeginn, ersatzweise Meldedatum*" vergrößert an. Das Maximum der Kurve ist am 16.3, danach geht es abwärts[*]. Da der strenge Lockdown erst am 23.3 kam, war er offensichtlich überflüssig. Mit der Schweden-Variante wären wir wahrscheinlich genausogut gefahren.

    Diejenigen, die sie mit "nicht alle" meinen, schauen sich die vorhandenen Daten wahrscheinlich einfach sorgfältiger an als Sie.

  • Wenn man die Bilder kennt von z.B. der Kurzestraße in Düsseldorf oder der Zülpicher in Köln, dann befürchte ich, dass die besten Freunde von Corona die Hirnlosen sind, die wirklich meinen, dass das Virus ziemlich ungefährlich wäre, weil die Infektionszahlen HIER (momentan noch) so relativ niedrig sind.

    Lobenswert finde ich die konsequente Reaktion der Regierung auf die hirnlosen Sauftouristen auf Mallorca. Das wünschte ich mir auch in Köln oder Düsseldorf bzw. im Laschetland, wo selbt ein Tönnies nach ein paar Tagen wieder mit der Massenschlachtung weiter machen kann. Als wäre nichts gewesen.

  • Das, was hier als Wirkunsgzusammenhang dargestellt wird, ist gar keiner. Es ist logisch nicht möglich aus einer nicht vorhandenen Tätigkeit ("Ich habe das und das nicht getan.") eine Folgerung abzuleiten ("Deswegen ist das und das auch nicht passiert.") Eine Wenn-dann-Funktion kann nicht wie in der Mathematik einfach umgedreht werden. Das wird oft von Anfängern in Jura falschgemacht; gutes Beispiel: Wenn es regnet, ist die Straße naß. Wir können aber nicht daraus folgern, daß, wenn die Straße naß ist, es auch geregnet hat. Lösung: Ein Wagen der Stadtreinigung könnte die Straße gereinigt haben und der Zeitpunkt des Fotos der nassen Straße, der für ein Alibi gebraucht wird, entspricht nicht dem Zeipunktt, an dem der der Regen begann. Es ist also nicht zwingend logisch. Ebensogut könnte man behaupten, daß durch das Tragen von Masken Ebola, die Pest und gallopierender Wahnsinn verhütet wurde und "beweist" das damit, daß eben diese Krankheiten nicht vorhanden sind. Hier werden Zusammenhänge behauptet, aber eben nicht bewiesen. Leider ist dies in großen Teilen der Bevölkerung nicht bekannt und eine möglicherweise doch kurz gefühlte Skeptik kann nicht rational nachvollzogen werden und wird dann leider doch fallengelassen. Teil des Studiums "Aussagenlogik".

  • Den Artikel kann ich voll und ganz unterschreiben. Es ist schon merkwürdig, wenn alles durch einen Teil der Bevölkerung nach kurzer Zeit vergessen oder in Frage gestellt wird. Das ist die Kehrseite des Individualismus. In Japan Singapur Taiwan China undenkbar.

  • "...und erst recht die noch weitaus drastischere Situation in vielen Nachbarländern."

    Eben. Man kann sich wirklich nur an den Kopf fassen, wenn man sieht, für wie viele Deutsche - von Laschet bis hin zu den Partygängern in der Hasenheide - der Horizont an den Landesgrenzen aufhört. Als hätten die alle nie etwas von der Lombardei oder Madrid gehört. Und wohlgemerkt: in Italien und Spanien gab es einen RICHTIGEN Lockdown, zehn Wochen lang bei Strafe nicht die Wohnung verlassen und so. Und dort gab es übrigens keine Jammerdemos. Offensichtlich muss für viele Deutsche der Tod erst in der eigenen Familie zuschlagen, um sie realisieren zu lassen, dass all das hier kein Spaß ist und Zustände wie andernorts hier selbstverständlich auch auftreten können.