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Corona-Skeptiker in sozialen NetzwerkenDie Stunde der Hobbychecker

Viele Leute in den sozialen Netzwerken sind besser informiert als die Experten. Was sind das auch für Experten, die sich oft nicht sicher sind?

Christian Drosten ist wie die meisten Virologen: Er hat nicht auf alles eine Antwort Foto: Reuters

C orona macht es möglich. Auf einmal richten sie Radspuren auf dem Kottbusser Damm ein, einem der besten Jagdreviere der Stadt mit ganzjährig unlimitierter Hatz auf vogelfreie Radler. Eine Schonzeit gab es nicht, die Polizei feixte, die Verkehrsbehörde winkte gähnend ab, und jeden Abend hupten die Autofahrer vor der erlegten Strecke stolz ihr Halali.

Und nun das. Ich kann es nicht glauben. Ausgerechnet der Kottbusser Damm, die Todesfalle, die Hölle von Neukölln. Mit Tränen der Rührung in den Augen stehe ich vor den frisch gemalten gelben Linien und den Warn­baken, die sicher bald gestohlen und zerstört, umgefahren oder wieder abgebaut werden. Doch der gute Wille zählt. Danke, Berlin; danke, Bezirksamt! Danke, du liebes gutes Virus – dort tötest du zwar, doch hier schenkst du Leben.

„Radaktivisten überreichten den Arbeitern Blumen“, steht in der Zeitung, und sofort schiebt sich mir ein Schwarz-Weiß-Bild vors innere Auge: wie junge Französinnen 1944 die alliierten Befreier in den Straßen mit Blumen beschenken. Jahrelang waren sie schutzlos dem Unrecht und der Willkür mordlustiger Irrer ausgesetzt. Nun hat das Gute gesiegt. Als Radfahrer weiß ich genau, wie sie sich fühlen.

Doch der Feind schläft nicht. AFDP und ADAC sind schier am Ausrasten. Man befriedige hier nur Partikularinteressen, heulen die Autofreaks hochtourig auf. Was natürlich ­supergemein vom Straßen- und Grünflächenamt ist, solange es sich ausnahmsweise mal nicht um die Partikularinteressen der motorisierten Killerkommandos handelt.

Denen traue ich zu, dass sie nach dem Ende der Corona­krise erneut Oberwasser kriegen und mit doppelter Grausamkeit zurückschlagen. Dann basteln sie sich wahrscheinlich wie bei „Ben Hur“ obendrein noch rotierende Messer an die Räder. Auf das große verkehrspolitische Umdenken wage ich jedenfalls noch nicht zu setzen.

Die Erbtante der Enttäuschung

Vielleicht denke ich ja zu defensiv, zu vorsichtig. Hoffnung war für mich schon immer nur die Erbtante der Enttäuschung. Entsprechend bin ich auch mehr so der Drosten-­Maßnahmen-Masken-Typ und kein Streeck-Lockerungen-­Laisser-faire-Jünger. Meiner Entscheidung liegt also eher mein mindset und mein Bauchgefühl zugrunde, denn zwar informiere ich mich gründlich, doch wo sich selbst die Experten unsicher sind, erscheint mir meine Kompetenz als Laie allemal begrenzt.

Wie sehr beneide ich da die vielen Leute in den sozialen Netzwerken, die offenbar sogar besser informiert sind als jene zaudernden Experten. Kein Wunder, denn was soll das bitte für ein Experte sein, der oft nicht mal sicher Bescheid weiß? Ein guter Experte muss sein wie der Weihnachtsmann: Er liefert verlässlich aus dem Nichts. Ist doch uns egal, ob die Si­tua­tion völlig neu ist!

Mit schneidigen Worten analysieren die Hobbychecker hingegen glasklar die Lage, decken Lügen auf und machen deutliche Ansagen, was nun auf der Stelle zu geschehen habe.

Ihr Tonfall wird seit Monaten aggressiver. Und leider, das muss ich Drosten-Muschi zugeben, ist „meine Seite“ nicht selten vorne mit dabei. Ihr bevorzugter Kommunikationsstil ist nach meiner Beobachtung: immer öfter, immer länger und immer lauter immer dasselbe schreien.

Variiert wird bestenfalls noch der Wortlaut der integrierten Beleidigungen. Als ob man durch das permanente Gebrüll die Argumente besser verstehen und in der Folge auf ihre Meinung umschwenken würde (der ich in diesem Fall ja ohnehin schon bin).

Das ist so, als glaubte man, dass Gefangene, die man 24/7 mit grellem Licht und lauter Musik foltert, hinterher genau die Musik auch privat hörten, wobei sie sich selbst zärtlich zuflüsterten: Horch, sie spielen unser Lied.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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7 Kommentare

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  • Ja, viele Menschen sind etwas "hochtourig" unterwegs, wohl nach dem Motto: lieber aufgekratzt als abgekratzt. Ich empfehle Waldspaziergang.

  • Schrottnetz

    Realsatire halt ...



    Aber alle dürfen eine Meinung haben und sei sie noch so unbegründet.



    Das Internet bringt jeden Schrott!



    Hurra!



    ...

  • "AFDP und ADAC"

    Dafür ein Kuss :-* Rein elektronisch, natürlich (ich glaube, auch Luftküsse sind derzeit kontraindiziert: Tröpfchen und so).

    Darf ich mir den einrahmen?

    Ansonsten: Der Umgang mit Ungewissheiten und Entscheidungen auf Grund unvollständigem Wissens zu treffen ist nur was für erwachsene Menschen.

    Wenn wir uns alle (selbst und gegenseitig) infantilisieren... dann kann das nicht gut gehen.

  • Experten oder "Hobbychecker", spätestens seit Thomas S. Kuhns Buch "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" lässt sich ahnen, daß der Weg zur (wissenschaftlichen) Erkenntnis nicht einfach ist.



    Bei Fußball, Klimawandel und Corona wird man den Eindruck nicht los, ein großer Teil der Bevölkerung hält sich für kompetent, ein fundiertes Urteil zu fällen, wie die Dinge sind.



    Hier gelangt man zum Phänomen der Selbstüberschätzung (sowohl von Inkompetenten als auch von Experten):



    de.wikipedia.org/w...Cbersch%C3%A4tzung .

    Meines Erachtens besteht ein großes Problem, die Welt zu verstehen, in der zunehmenden Informationsflut. Leider hat sich bei Corona auch die taz da eingereiht.

    • @shashikant:

      Dieses Phänomen lässt sich nicht nur im Großen "Fußball, Klimawandel und Corona", sondern auch im Kleinen, lokale Ereignisse, medizinische Befunde anderer, Kindererziehung usw. beobachten.



      Dass es an der Informationsflut liegt, bezweifle ich.



      Auch in den Zeiten vor der Aufklärung mit ihrer eingeschränkten Kommunikation hatten die Leute keine Probleme, sich ihre eigenen abstrusen Reime auf alles und jedes zu machen.



      Es scheint da menschliche Bedürfnisse zu geben, die von Nüchternheit, Besonnenheit und vorsichtigem Abwägen einfach nicht befriedigt werden.

  • Siehst Du, Hannemann, die Experten haben nicht auf alles eine Antwort! Das zeigt doch, wie inkompetent sie sind, dieser Drosten kann nicht mal sein briefing durch Bill Gates abwarten. Außerdem, was sind schon 300.000 Tote einer Demie durch Pan? Mindestens dreimal soviel Menschen sind gestorben, weil sie allergisch gegen Erdnussbutter sind. Das wusstest Du nicht! Ja, siehste, und dann glaubst Du also diesem Kowitt? Das ist ein Experte, den ich gar nicht erst runterladen würde.

    Außerdem stehen da die Banken dahinter, ist doch klar. Und die Klopapiermafia. Die UFOS neulich waren schon im Anflug, sie wurden ja fotografiert, sind dann aber wieder abgedreht, weil die Überflutung der Märkte mit Trillionen noch nicht den eingeplanten Megacrash zur Folge hatte. Da muss ich etwas Selbstkritik einräumen, ich habe die außerirdische Intelligenz überschätzt.



    Der Ölpreis ist auch gesunken, nur damit die Autoindustrie ihre Verbrenner loswird, (die Autoindustrie wird seit Januar von den Saudis und den Russen - Awtowas - kontrolliert, was viele nicht wissen). Und da kommst Du mit dem Kottbusser Damm, wo man bisher sowieso nur links flüssig verkehren konnte, weil die Einheimischen auf der rechten Spur immer ihre SUVs abstellen. Ich sage Dir, wenn der Weise mit dem Finger auf die Fadenzieher, die Profiteure, die Weltregierung und die Bilderberger deutet, sollte man nicht auf den Finger gucken!

  • Naja, Zeitungen, Radio und Internet. Und wer von uns kennt sich schon aus mit Viren? Woher sollen wir wissen, wer von denen rechthat? Wer ist Spezialist, wer Kenner oder Könner, wem kann man glauben und wem nicht? Und wer ganz laut schreit "Verschwörung" scheint mir oft genug genauso unbedarft, wer lauthals "Verschwörungstheoretiker" ruft.