Corona-Silvester in Hamburg: Ungewöhnlich gewöhnlich
Jahreswechsel unter Pandemiebedingungen: Haben die Menschen trotzdem gefeiert wie sonst? Ein Silvesterspaziergang.
Auf der Straße riecht es wie Silvester: rauchig, nach verbranntem Papier. Zwei Häuser weiter sind ein Mann und einige Kinder zugange, hantieren mit ein paar harmlosen Feuerwerkskörpern, Funken sprühen, aber es knallt nicht. Es sind kaum Autos unterwegs, dafür ist Vogelgezwitscher zu hören, mitten in der letzten Nacht des Jahres.
Auf dem Weg die Wallanlagen entlang Richtung Stephansplatz, zum Jungfernstieg, werde ich von drei, vier Polizei-Kleinbussen, sogenannten „Halbgruppen-Kraftwagen“ überholt. Bis zu 5.000 Menschen hatte die Polizei im Vorjahr rund um die Binnenalster gezählt. Das Mitführen und Abbrennen von Feuerwerkskörpern war hier auch damals schon untersagt worden – und größtenteils war das auch beachtet worden.
Diesmal ist schon von weiter weg eine Lautsprecherstimme zu hören: Die Polizei umrundet das Gewässer und sagt immer wieder durch, dass kein öffentliches Feuerwerk zu sehen sein werde – und dass verboten sei, selbst welches zu zünden.
Vor allem Schiffstuten
Es ist vor allem Polizei da. Wer kaum da ist: Feierfreudige, die ermahnt werden müssten. Auf „in der Spitze bis zu 1.000 Personen“ werden tags darauf die Anwesenden in der Innenstadt beziffert werden, und dass ein paar Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden seien, und vereinzelt Feuerwerkskörper sichergestellt. „Bereits ab 0.15 Uhr verließen die Besucher größtenteils den Bereich“, stellt die Polizei fest.
Um Mitternacht ist dann doch vermehrt fernes Knallen zu hören, und ein paar Raketen steigen auf in den leicht nieseligen Nachthimmel. Vor allem aber signalisiert Schiffstuten vom Hafen her, dass es nun wohl so weit sein muss. Auf einer Dachterrasse stehen vier Menschen – soweit also regelkonform. Mit Wunderkerzen scheinen sie etwas ins Dunkel zu schreiben, „2021“ vielleicht – für irgendeinen Social-Media-Feed?
Auf dem Tschaikowskyplatz, am Rand des Karoviertels, hängt gehörig Rauch in der Luft: Hier scheinen die Leute das mit dem verbotenen Feuerwerk nicht ganz so eng zu sehen. Auf der Glacischaussee nähert sich ein halbes Dutzend Polizeiautos, aber sie biegen ab in die Feldstraße.
Unbehelligt bleiben auch die Jungs, vielleicht eben so Teenager, die auf dem Heiligengeistfeld funkensprühendes Zeug zünden. Ab und zu knallen, weiter weg, Schreckschusspistolen. Auf Höhe des Bunkers mahnt wieder eine Lautsprecherstimme: Bis zu 150 Euro könne es kosten, die Regeln nicht zu befolgen.
Joggen in Neon
Es ist gegen halb eins, als am Neuen Kamp zwei Joggende vorbeikommen, in Neongelb und -pink – gute Vorsätze, frühestmöglich umgesetzt? Oder das ganz normale Selbstoptimierungsprogramm, das in dieser ungewöhnlich gewöhnlichen Nacht nicht unterbrochen werden muss?
Aus Richtung Schanzenviertel ist Getrommel zu hören: eine Ein-Mann-Marchingband auf dem Weg in Richtung Kiez. In der Wohlwillstraße treffen der Trommler und seine Begleitung auf eine beinahe professionell wirkende Partygesellschaft: 30, 40 Menschen vielleicht, manche den Abstand beachtend, verstärkte Musik und etwas buntes Licht. Er stimmt trommelnd ein, erntet Johlen.
Definitiv in Hörweite stehen gleich ums Eck Polizeibeamt:innen in der Otzenstraße. Sie könnten gerade eine Wohnungsparty kontrolliert haben. Die Feiernden auf der Straße aber lassen sie gewähren – ob sich einfach niemand beschwert hat darüber?
Madonna zu laut?
Reeperbahn, Helgoländer Allee, Landungsbrücken: überall nur vereinzelte Menschen, kein Vergleich mit dem Aufkommen in anderen Jahren. Um kurz nach eins stehen im Portugiesenviertel zwei Peterwagen auf der Straße. Aus einem Wohnhaus kommt Musik, die vier Uniformierten scheinen sich zu beraten: Ist Einschreiten nötig? Dann fahren sie wieder weg – Madonnas „La isla bonita“ war auf Zimmerlautstärke gestellt worden, oder einfach die Balkontür wieder geschlossen.
Auf „eine im Vergleich ruhige Silvesternacht“ wird die Polizei am Neujahrstag zurückblicken: nicht ganz ohne Aktivität, aber eben in ganz anderen Dimensionen; auch die Feuerwehr vermeldet insgesamt ruhige Stunden für „Kameradinnen und Kameraden“.
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