Corona-Politik in Frankreich: Ein Volk von ungezogenen Kindern
Welche Lockerungen der Beschränkungen Frankreich tatsächlich einführt, ist offen. Sicher sind hingegen massive Einschränkungen der Grundrechte.
taz | Am Donnerstag will Staatspräsident Emmanuel Macron zusammen mit seinem Premierminister Eduard Philippe entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen am 11. Mai – wie von ihm und der Regierung angekündigt – in ganz Frankreich oder bloß in einigen vom Covid-19 weniger betroffenen Regionen die seit Mitte März geltenden Regeln des Lockdowns gelockert oder aufgehoben werden.
Die Staatsführung wiederholt, dass alles davon abhänge, wie die bisherigen Restriktionen des Corona-Notstands respektiert werden. Der latent drohende Tonfall im Regierungsdiskurs lässt den Schluss zu, dass die Regierung die Bevölkerung als Volk von ungezogenen Staatskindern betrachtet, die nur aus Angst vor Strafen gehorchen.
Vorsorglich lässt sich die Staatsführung darum zusätzliche Vollmachten geben, die alle mit einem effizienten Kampf gegen das Coronavirus begründet werden, dabei aber Bürgerrechte, Grundfreiheiten und namentlich den Datenschutz weitgehend außer Kraft setzen.
Auch wenn dies zeitlich begrenzt bleiben soll, ist diese sehr breit gefächerte und pauschale Aussetzung demokratischer Grundsätze äußerst beunruhigend. Die dafür erforderliche Ausnahmegesetzgebung wurde am Samstag im Ministerrat angekündigt, sie muss aber noch detailliert und soll am Dienstag vom Parlament abgesegnet werden.
Eine Liste exzessiver Vollmachten
Die wichtigsten Punkte:
• Die Regierung darf vorübergehend den Personenverkehr und den Transport regulieren und einschränken und Geschäfte oder öffentliche Einrichtungen teilweise oder ganz schließen.
• Alle Personen oder Güter können zum Kampf gegen die Epidemie herangezogen oder beschlagnahmt werden.
• Auch für Personen ohne Covid-19-Symptome, die aus dem Ausland einreisen, kann eine Quarantäne angeordnet werden. Für Personen mit Krankheitssymptomen in Frankreich kann ebenfalls eine Isolierung von 14 Tagen oder auf richterlichen Beschluss auch länger angeordnet werden, deren Konditionen noch per Dekret präzisiert werden müssen. Der Zugang zu Kommunikations- und Informationsmitteln soll aber garantiert werden.
• Nicht nur Beamte der Polizei und Gendarmerie, sondern auch deren Reservisten und Hilfskräfte (Freiwillige und Praktikanten) sowie Angehörige der Sicherheitskräfte der Bahn und Metro und das vereidigte Personal des Kartellamts dürfen Kontrollen vornehmen und bei Missachtung der Regeln Bußgelder verhängen.
• Die Behörden können auch ohne Zustimmung der Betroffenen Daten über Infizierte und deren Kontaktpersonen erfassen und diese nicht anonymen Informationen mit anderen Stellen zum Zweck einer Organisation von Tests, zur „prophylaktischen Isolierung“, zur „epidemiologischen Überwachung“ und für die Virenforschung austauschen. Zugang zu den für maximal ein Jahr erfassten Daten haben zivile und militärische Gesundheitsdienste, Ärzte und staatlich zugelassene Labors.
Der verlängerte Notstand mit diesen Möglichkeiten für weitere Einschränkungen der Freiheit soll bis zum 23. Juli in Kraft bleiben und müsste dann gegebenenfalls erneut angepasst und verlängert werden.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert