Corona-Impfungen in Kolumbien: Der Impfstoff auf Staatsbesuch
Nur 50.000 Impfdosen hat Kolumbien diese Woche erhalten. Präsident Ivan Duque aber inszeniert das wie zuletzt den Papst-Besuch.
D er Container mit der kostbaren Fracht schwebt am Flughafen El Dorado in Bogotá aus dem Flugzeugbauch. Eine Drehung, und die mit der kolumbianischen Flagge bedeckte Rückseite ist vorne. Kameraschwenk zu Präsident Iván Duque und einem Teil des Kabinetts sowie des Covid-Krisenstabs, die mit Mundschutz und in orangefarbene Warnwesten der Ankunft des Containers mit den 50.000 ersten Dosen BioNTech/Pfizer-Impfstoff applaudieren. Gesundheitsminister Fernando Ruiz Gómez knipst Erinnerungsfotos. Kaum steht der Container, hält Präsident Duque davor eine Ansprache.
Gesperrte Straßen die vom Flughafen wegführen, bewachte Autokolonnen, stundenlange Liveübertragungen: so etwas hat es zuletzt beim Papstbesuch gegeben. Nur die Menschenmassen am Straßenrand fehlen, um am Montag die Ankunft des Corona-Impfstoffs zu bejubeln.
„Diese Show war einfach nur peinlich“, sagt Carolina Corcho, Vizepräsidentin der kolumbianischen Ärztevereinigung. „Es gab nichts zu feiern. Die Impfungen kamen viel später an als in anderen lateinamerikanischen Ländern – und die 50.000 Dosen haben aus epidemiologischer Sicht überhaupt keine Wirkung.“ Sie reichen gerade mal, um 0,08 Prozent der Bevölkerung zu impfen.
Kolumbien, zu Beginn der Pandemie noch Musterschüler, ist heute Sorgenkind. Über 58.000 Todesopfer, das prominenteste war im Januar Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo; 2,2 Millionen Infizierte. Bei der Sterblichkeit liegt Kolumbien sogar vor Brasilien, das die weltweit zweitmeisten Covid-19-Toten nach den USA betrauern muss.
Galgenhumor auf Twitter
Doch selbst das krisengebeutelte Nachbarland Venezuela bekam die ersten 100.000 Dosen Sputnik-V-Impfstoff vom befreundeten Russland noch zwei Tage eher. „Die Regierung hat ihre Versprechen nicht gehalten“, sagt Ärztepräsidentin Carolina Corcho. „Erst hieß es, im Februar würden 850.000 Dosen kommen, dann 337.000 – nun sind es 50.000. Wir verstehen, dass der Impfstoff knapp ist und die Länder des globalen Nordens Hamsterkäufe betreiben“, sagt Corcho.
Aber die Regierung habe nur auf Impfstoffe aus den USA und der EU gesetzt, statt auch mit China, Indien oder Russland zu verhandeln. „Auch mangelt es in Kolumbien an Transparenz – niemand kennt die Verträge.“
Apropos Transparenz: Presse war nicht erlaubt. Alle Fotos und Videos in den Medien stammen von der Regierung. Wohl selten hat der Logistikkonzern DHL so ein professionelles Werbevideo spendiert bekommen. Das gelbe Flugzeug dominiert auch am folgenden Tag die Zeitungstitel. Die wurden ungewohnt deutlich. „0,08 Prozent der Impfungen sind da!“, rechnet das Skandalblatt Q’Hubo in Medellín vor. „Und es fehlen 99,92 Prozent!“. El Espectador titelt über eine „Minimaldosis“.
Auf Twitter malen sich Kolumbianer*innen mit Galgenhumor aus, wie es weitergeht: Mit Titelstorys über Erstgeimpfte aus entlegenen Dörfern wie der von „Don Emiro Rodríguez, einem Señor, der jeden Tag um 3 Uhr aufsteht, um Maisfladen und Kaffee für seine 15 Enkel und 4 Eselinnen zu kochen“, und vom ersten Vakzin-Baby, „getauft auf den Namen Pfizer Steven, oder besser gesagt Faizer Estiven“.
Oberschwester Verónica Luz Machado aus einem Krankenhaus in Sincelejo im Karibik-Departamento Sucre ist am Mittwoch die erste Geimpfte, Fototermin mit Präsident Duque inklusive. „Ginge es nach der Sterblichkeit, hätte man am Amazonas beginnen müssen“, sagt Carolina Corcho. Der Impfstart in Sincelejo habe vermutlich politische Gründe. „In Kolumbien beginnt der Wahlkampf, und der hat mehr Gewicht als ein seriöses Krisenmanagement.“
Aber die Oberschwester durchkreuzt die Propaganda. Kurz nach ihrer Impfung erzählt die neue Nationalheldin der Presse, dass das öffentliche Krankenhaus ihr zwei Monate Gehalt schulde.
Im ganzen Land schwärmen Politiker*innen aus, um bei Impfstarts dabei zu sein. In Cali musste das Klinikpersonal vier Stunden auf die Impfung warten, weil Justizminister Wilson Ruiz sich verspätete. Da mahnte selbst der Bürgermeister, er wolle, dass endlich mit dieser „exzessiven Show Schluss ist, damit wir uns um die wichtigen Dinge kümmern können“.
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