Corona-Impfungen in Frankreich: Piksen im Schneckentempo
Paris gerät unter Druck, weil die Corona-Impfungen nur langsam vorangehen. Hat Präsident Macron erneut im Krisenmanagement versagt?
Frankreich hatte wie viele andere Länder für Ende Dezember den Beginn der Massenimpfung gegen Covid-19 angekündigt. Zuerst sollten die besonders gefährdeten Hochbetagten in den Altenheimen geimpft werden, danach ebenfalls nach Risiko- und Alterskategorien das Pflegepersonal und alle anderen über 65-Jährigen. Bei der Umsetzung der Strategie aber hapert es in unverständlicher Weise: Hatten am 31. Dezember in Großbritannien bereits Hunderttausende und in Deutschland immerhin Zehntausende ihre erste Dosis injiziert bekommen, waren es in Frankreich 200. Und in diesem Schneckentempo geht es seither weiter: Am Montag sei die Zahl von 2.000 Impfungen überschritten worden, sagte Gesundheitsminister Olivier Véran in einem Interview.
Die Kritik aus ärztlichen Kreisen und seitens der politischen Opposition wird derweil immer lauter und vehementer. Frankreich habe sich zum Gespött der Nationen gemacht, heißt es. Jean Rottner, der Vorsitzende der Region Ostfrankreich (Elsass-Lothringen und Champagne-Ardennen) spricht von einem „Staatsskandal“: „Man führt eine Politik fort, die in der Vergangenheit versagt hat: bei der Beschaffung der Masken, der Tests und jetzt wieder bei der Impfung.“ Mitglieder der linken und rechten Oppositionsparteien sprechen von skandalösen Organisationsproblemen.
Ein Mitarbeiter von Premierminister Jean Castex soll der Zeitung Le Figaro bestätigt haben, dass aufgrund der mangelhaften Koordination 25 bis 30 Prozent der gelieferten 500.000 Impfstoffdosen (insgesamt 200 Millionen wurden von Frankreich vorbestellt) ungenutzt weggeworfen werden müssten. Bestellte Tiefkühlanlagen seien von den zuständigen Ämtern immer noch nicht abgenommen und freigegeben worden.
Vor allem im Osten steigt die Zahl der Neuinfektionen
In Frankreich sind seit März 2020 offiziell mehr als 65.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Vor allem im Osten des Landes steigt nach den Festtagen die Zahl der Neuinfektionen in so bedenklicher Weise, dass für insgesamt 15 von 101 Départements die sonst geltende nächtliche Ausgangssperre von 20 auf 18 Uhr vorverlegt wurde.
Weiterhin herrscht überall eine Schutzmaskenpflicht und die für den 20. Januar versprochene Wiedereröffnung der Restaurants und Cafés muss bis auf Weiteres vertagt werden. In den Medien wird die bange Frage erörtert, ob statt mit einer Lockerung auch in Frankreich mit einem dritten harten Lockdown zu rechnen sei.
Die Regierung steht unter Druck, seitdem nun auch Staatspräsident Emmanuel Macron zu einer Beschleunigung mahnt. Er schimpft öffentlich über eine „nicht zu rechtfertigende Langsamkeit“ beim Impfen. Laut der Sonntagszeitung Journal du Dimanche habe der Staatschef seinen Untergeben den Marsch geblasen: „So geht das nicht. Das muss sich schleunigst ändern, und das wird sich schleunigst ändern!“
Aber ist er nicht selber in erster Linie verantwortlich für die Mängel, die er da anderen vorhält? „Ich führe Krieg, vormittags, mittags, abends und nachts“, versichert Macron, der sich seit dem Beginn der Epidemie als Oberbefehlshaber im Kampf gegen Corona fühlt.
Nur noch 40 Prozent wollen sich impfen lassen
Die Impfkampagne war eine Chance für Macron und seine Regierung, um das Vertrauen wiederherzustellen. Sie ist indes vielleicht bereits vertan, denn laut jüngsten Umfragen wollen sich nur noch 40 Prozent der Franzosen und Französinnen gegen Covid-19 impfen lassen – 10 Prozent weniger als Anfang Dezember. Frankreich gilt ohnehin als Land mit dem höchsten Anteil an kategorischen Impfgegner:innen.
Den Vorwurf mangelnder Transparenz wenigstens will der Präsident nicht gelten lassen. Zum Beweis dafür möchte er die Impfstrategie von 35 ausgelosten Bürger:innen ab 16. Januar kontrollieren lassen. Diese Idee allerdings hat erst recht Abgeordnete und Senatoren der Opposition erzürnt. Sie erwidern, die Beaufsichtigung der Regierungstätigkeit sei doch die ureigenste Aufgabe des Parlaments und nicht die eines improvisierten Gremiums.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja