Corona-Hotspot Nordrhein-Westfalen: Laschet gar nicht mehr locker
Schnellere Lockerungen hatte der NRW-Ministerpräsident gefordert. Jetzt gilt Ostwestfalen als Hotspot. Und Armin Laschet kommt unter Druck.

In Tönnies' riesiger Fleischfabrik im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück, die der Hotspot des neuen Corona-Ausbruchs ist, habe die Firma eigenverantwortlich über Abstandsregeln und Coronatests entscheiden können, so Kutschaty – jetzt sind in dem riesigen Schlachthof, in dem täglich 20.000 Schweine getötet werden können, mehr als 1.500 der rund 7.000 Mitarbeiter*innen infiziert.
Auch Monate nach dem Ausbruch von Corona könne Laschets Regierung keine schlüssige Teststrategie vorlegen, sagte auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Monika Düker. Die fehle nicht nur in der Fleischindustrie, sondern überall da, wo Menschen auf engsten Raum zusammenleben müssten – wie etwa in Sammelunterkünften für Geflüchtete.
Der Regierungschef, der Kanzlerkandidat der Union werden will und deshalb seit Wochen versucht, sich mit immer neuen Lockerungen gegenüber CDU-Kanzlerin Angela Merkel, aber auch gegen Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder zu profilieren, verteidigte dagegen seinen Kurs. NRW sei das erste Bundesland, das erneut eine ganze Region „komplett zurückführt“, erklärte Laschet.
Seiner Regierung gehe es um eine „Abwägung“ zwischen Gesundheitsschutz und persönlicher Freiheit. Allerdings könne aktuell niemand sagen, wie stark sich das Virus bereits auch unter Menschen ausgebreitet habe, die nicht bei Tönnies arbeiten, musste der Christdemokrat einräumen. Da die Arbeiter*innen des Schlachthofs weit verstreut wohnten, bestehe ein „enormes Pandemie-Risiko“.
Massive Einschränkungen in Gütersloh und Warendorf
In den Kreisen Gütersloh und Warendorf mit ihren knapp 640.000 Einwohner*innen gelten seit Dienstag wieder die massiven Einschränkungen, die auf dem Höhepunkt der Pandemie deutschlandweit in Kraft waren. Theater, Bars und Fitnessstudios sind dicht. Treffen von Menschen, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, dürfen im Freien nur noch zu zweit stattfinden. Schulen und Kitas sind bereits seit mehr als einer Woche geschlossen.
Unter Druck geriet Laschet auch durch Beherbergungsverbote, die Urlaubsländer wie Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern gegen Menschen aus den beiden Kreisen verhängen wollen. Auf „die sich da abzeichnende Gefährdung“ müsse „angemessen“ reagiert werden, erklärte die Sprecherin der von SPD und CDU getragenen niedersächsischen Landesregierung, Anke Pörksen. Österreich sprach sogar eine Reisewarnung für NRW aus.
In Nordrhein-Westfalen mit seinen 18 Millionen Einwohner*innen beginnen an diesem Wochenende die Sommerferien. Im Landtag forderte Laschet deshalb, Menschen aus den beiden westfälischen Kreisen dürften nicht „stigmatisiert“ werden. Sein Rivale um die Kanzlerkandidatur, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, habe ihm in mehreren Telefonaten versichert, Urlauber*innen aus Gütersloh und Warendorf seien willkommen, wenn sie einen negativen Coronatest vorlegen könnten.
Nordrhein-Westfalens Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann versprach zudem, endlich das System der Werkverträge zu verbieten, mit denen Fleischkonzerne wie Tönnies Arbeiter aus Osteuropa ausbeuten. Subunternehmen prellen sie teilweise selbst um den Mindestlohn – und berechnen Wucherpreise für enge, unhygienische Unterkünfte, in denen sich Corona schnell ausbreitet.
Unklar bleibt, ob das ausreicht, Laschet politisch zu stabilisieren – die Umfragewerte des Christdemokraten sinken seit Wochen. Aktuell sind selbst in NRW nur noch 46 Prozent der Menschen mit der Arbeit ihres Ministerpräsidenten zufrieden, so eine vom WDR in Auftrag gegebene Umfrage, die bereits Mitte Juni veröffentlicht wurde. Im April waren es noch 65 Prozent. Laschets Kurs der vorschnellen Lockerungen könnten also der Fehler gewesen sein, der seinen Traum von der Kanzlerschaft unter sich begräbt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung