Corona-Geschichten: Geschlossene Gesellschaft
Das Land steht still. Doch unter der Oberfläche bewegt sich so einiges: Fünf Schlaglichter auf den Virus-Shutdown von taz-Redakteurinnen.
Wenn der Zirkus schließt
Seit Freitag prasseln auf mich die Hilferufe von Freund:innen und Bekannten ein, die freiberuflich arbeiten und unser kulturelles Leben bereichern. Natürlich wusste ich, wie prekär meine Schauspielfreundin lebt, die sich von Auftritt zu Auftritt hangelt, oder mein Musikerfreund, der nach mühseliger Akquise mir stolz erzählte, dass seine Bands die nächsten Monate fest gebucht seien. Und nun: aus und vorbei. Wie sie ihren Lebensunterhalt finanzieren sollen, lässt sie verzweifeln. Ich habe versprochen, zu anderen Zeiten Soli-Konzerte und Auftritte zu unterstützen. Aber wann wird das sein?
Für mich als Erwachsene ist die aktuelle Lage schon schwer verständlich. Mein Kind ist noch entspannt. Die Siebenjährige wird erst nach und nach verstehen, dass auch ihre Freizeitspäße nicht mehr stattfinden. Zum Beispiel ihr Zirkusunterricht. Und damit sind auch die Artist:innen ab sofort ohne Job. Die Kinder in Jonglage oder Akrobatik zu unterrichten hat ihr Leben wenigstens einigermaßen bezahlbar gemacht.
Also trudelt auch vom Zirkusverein eine Mail ein, die die existenzielle Bedrohung für die Künstler:innen deutlich macht. Projekte müssen abgesagt werden, Förderungen sind weg, Veranstaltungen gibt es keine. Zugleich müssen Mieten, Gehälter und Honorare weiter bezahlt werden. Mir bleibt erst einmal nichts weiter, als meinen Monatsbeitrag weiter zu bezahlen.
Dass das andere Eltern auch machen, sollte keine Frage sein. Denn: Irgendwann bekommen wir unser altes Leben zurück. Was jetzt kaputtgeht, ist dann nur schwer zu kitten. Tanja Tricarico
Das Virus und meine Mutter
Die Alten- und Pflegeheime lassen gerade keinen Besuch zu – mich entlastet das. Meine Mutter ist 83 und seit einem Schlaganfall vor ein paar Jahren ein Pflegefall. Sie ist nicht nur halbseitig gelähmt, sie kann auch nicht mehr sprechen und lebt in einem Heim. Ich bin ihre gesetzliche Betreuerin, regle also alle ihre Angelegenheiten und bringe sie zu den Ärzten.
All das ist nun nicht möglich. Es wäre viel zu gefährlich für die alten, zum großen Teil bettlägerigen Menschen, auch nur einen Fußbreit über die Heimschwelle zu setzen. Ebenso wäre es viel zu riskant, meine Mutter im Rollstuhl ins benachbarte Klinikum zu schieben, so wie es in dieser Woche wieder der Fall gewesen wäre. Eine größere Virenschleuder als viele Menschen in einem Krankenhaus gibt es nicht.
Mir kommt das entgegen, Zynismus hin oder her. Denn trotz Schließungen und eingeschränkter Sozialkontakte wird die Arbeit für viele Menschen gerade nicht weniger, sondern mehr. Ein Alltag im Homeoffice ist eben kein Leben in der Hängematte. Im Gegenteil, er fordert allen Beteiligten viel ab: Kommunikation wird komplizierter, es muss noch mehr als sonst geredet werden, alles muss laufen, alle müssen sich aufeinander verlassen können.
Am Ende eines langen Arbeitstages radle ich nach Hause, gehe unter die Dusche und dann ins Bett. Wie gut, dass ich nicht auch noch von einem Ende der Stadt bis ans andere fahren muss, um meine Mutter mit dem Rollstuhl über einen löchrigen Bürgersteig zu einem ihrer Ärzte zu schieben. Simone Schmollack
Von wegen Selbstisolation
Manchmal kann man sich noch so sehr anstrengen, sich vorbildlich und dem Protokoll nach verhalten – und trotzdem geht alles schief. Es sollte mein vorerst letzter Arbeitstag im taz-Gebäude sein, ab Montag würde ich von zu Hause aus arbeiten. Man solle öffentliche Verkehrsmittel meiden, empfahl die Bundeskanzlerin, also bestellte ich mir ein Taxi. Ich saß auf der Rückbank, berührte kaum etwas, nicht mal mein Handy traute ich mich in die Hand zu nehmen, denn überall könnte ja der Virus sein.
Berlin schlief noch, oder traute sich nicht raus, es war 9 Uhr morgens und mein Taxifahrer wirkte noch etwas verschlafen. Kurz vor der nächsten Ampel überholte uns ein Auto, viel zu schnell, streifte uns seitlich und versetzte meinen Fahrer in Panik. Panik, weil er einen Kratzer an seinem Auto vermutete. Er hupte, startete dann eine Verfolgungsjagd und im nächsten Kreisverkehr drifteten wir vor das andere Auto, um es zu stoppen.
Irgendwann kam die Polizei, und ich stand da also auf der Straße, plötzlich Zeugin in einem Verkehrsunfall, neben mir mein Taxifahrer, die andere Fahrerin, ihr zu Hilfe geeilter Freund, zwei Beamte und viele interessierte Passant*innen. Ich fing an zu lachen. Selbstisolation hatte ich mir echt anders vorgestellt.
Vor kurzem las ich, dass Selbstisolation auch deshalb so wichtig sei, weil man so als mögliche Beteiligte eines Verkehrsunfalls nicht unnötig Polizei oder Pflegepersonal belaste. Also mal sehen, wie ich wieder nach Hause komme. Erica Zingher
Und nun bist du ganz allein
Die Ansage im Büro, dass wir bitte alle gern im Homeoffice bleiben dürfen, habe ich fast schon jubelnd quittiert. Ich bin gern allein, arbeite lieber von zu Hause als in einem Raum, wo sich ständig jemand räuspert, murmelt oder gar hustet. Alleine wohnend, habe ich es mir sofort sehr heimelig ausgemalt, direkt aus dem Bett noch im Schlafanzug vor dem PC zu sitzen und völlig friedlich für mich zu sein.
Doch sobald ab Freitag klar war, dass diese Maßnahme nun auf unbestimmte Zeit verlängert werden würde, begannen innere Freude und Ruhe einer Rastlosigkeit zu weichen. Zum ersten Mal in langer Zeit rief ich Freund*innen an, verschickte Sprach- und Videobotschaften. Zum ersten Mal fühlte sich in meine Anderthalb-Zimmer-Wohnung-Zurückkommen nicht mehr wie die Rückkehr in mein Refugium an, sondern verdeutlichte mir nur die zu erwartende Isolation der kommenden Tage.
Ein Gefühl, alles noch mal aufsaugen zu müssen, trieb mich raus. Im Park waren Zweier- und Dreierkonstellationen von Menschen mit ihren Kindern, Hunden und Partner*innen unterwegs. Nie war mir dieses Gefühl von „du hast nichts von alldem“ so präsent wie in diesem Augenblick. Und so überrumpelt, begann ich zu hamstern: Ideen, was man alles zur Ablenkung tun kann, und Balkonpflanzen im nächsten Baumarkt meines Vertrauens.
Denn, wie uns die Social-Media-Trends aus Italien und Spanien zeigen, sind Balkone und Fenster die Orte, an denen wir in der nächsten Zeit zusammenkommen werden. Sophia Zessnik
Australien ist nur ein Traum
Es sollte unser Coup des Jahres werden. Eine Auszeit in Australien. Ganze vier Wochen zu Besuch bei guten Freunden – und endlich mal wieder richtig viel quality time mit meinem Mann. Wann hatte es das zuletzt gegeben?
Um die Flugzeit zu verkürzen, hatten wir auf dem Hinweg auch einen mehrtägigen Zwischenstopp in Thailand eingeplant. Als sich das Virus dann Anfang Februar immer weiter von China in Richtung Westen ausbreitete und positive Corona-Fälle in Bangkok gemeldet wurden, wurden wir leicht nervös. Regelmäßig schauten wir nun auf die Corona-Virus-Echtzeitkarten und sahen dabei Anfang März, dass es keinen einzigen Coronafall in Indonesien gab. Also wurde – Bali! Hurra! – umgebucht.
Vergangene Woche dann erreichte uns die Nachricht von ersten Corona-Infizierten auf Bali. Auch schien nun immer unsicherer, inwieweit Europäer überhaupt noch nach Australien einreisen dürften. Also baten wir unsere Freunde, einen Termin für einen Coronatest nach der Ankunft für uns zu verabreden und verfolgten die Nachrichten nur noch mit angehaltener Luft. Als dann am Freitagabend das öffentliche Leben deutschlandweit runtergefahren wurde, fragten wir uns, inwieweit eine Fernreise in dieser Zeit überhaupt noch angemessen ist.
Am Samstagmorgen schließlich erfuhren wir, dass Länder wie Singapur einen Einreisestopp für Passagiere aus Deutschland erlassen haben. Unser Rückflug ging über Singapur. Wir gaben uns geschlagen. Und nun? Träumen wir bald an der Ostsee von der Südsee. Julia Boek
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