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Corona-DiskurseEmpörungsschaum reicht nicht

Es geht nicht darum zu klären, wer oder was „menschenverachtend“ ist. Sondern: Wie gehen wir die nächste Phase der Coronakrise konkret an?

Von einer klaren Mehrheit gestützt: Bundeskanzlerin Angela Merkel Foto: Stefan Boness/Ipon

O b politische Maßnahmen in der Coronakrise gegen die Menschenwürde verstoßen, muss im konkreten Fall diskutiert und geprüft werden, das ist klar. Was wir aber überhaupt nicht brauchen, ist die übliche theoretisch-philosophische Grundsatzdiskussion zur Produktion von Empörungsschaum. Die große Frage lautet: Wie kriegen wir das konkret und praktisch hin, wenn wir von einem langen Zeitraum ausgehen müssen, bis zumindest Medikamente gegen das Coronavirus zur Verfügung stehen?

Die üblichen publizistischen Verdächtigen haben – wie zur Klimakrise – auch hier wenig Substanzielles beizutragen. Offenbar, weil auch dieses Problem sich mit ihren eingeübten Gut-Böse-Theorie-Achsen nicht oder ungenügend vermessen lässt. Klar, kann man insistieren, dass die „Linke“, der „Neoliberalismus“, der Mann oder gar der Kapitalismus das Problem ist. Aber das hilft bei der Problemlösung echt nicht weiter. Das gilt auch für allgemeine Freiheitsgefährdungs- und Menschenwürdebeschwörungen.

Die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) hat, von einer klaren demokratischen Mehrheit gestützt, bisher eindeutig die Gesundheit der Leute priorisiert, sie hat – was Linke und Wirtschaftsliberale gleichermaßen irritiert – nicht die Kapitalinteressen nach vorn gestellt, sie hat in großem Ausmaß superschnell sozialstaatliche Nothilfe rausgedonnert, damit Arbeit und Lebensgrundlage erst mal erhalten bleiben. Und das bundesrepublikanische Gesundheitssystem ist im Vergleich offenbar sehr funktionsfähig. Das ist nicht nichts.

Unsere Ausgangslage ist gleichzeitig schwieriger, als viele denken – und besser. Schwieriger, weil die Scheiße jetzt erst richtig losgeht. Und besser, weil unsere Grundbedingungen ordentlich sind, um etwas hinzukriegen. Was jetzt wirklich nicht hilft, ist ein zielloses Irgendwie-reichts-jetzt-Gefühl eines konzentrationsschwachen Teils der Mediengesellschaft, der aus schlechter Gewohnheit immer lauter rumnölt.

Sich der Komplexität stellen

Besser ist, sich der Komplexität einer Problemlösung zu stellen, für die es keine Theorie und keine Ideologie gibt. Diese besteht beim jetzigen Kenntnisstand in dem Versuch einer Ausbalancierung zwischen massivem Schutz des Lebens der Covid-19-Risikogruppen und Verhinderung anderer schlimmer Verwerfungen. Diese Ausbalancierung ist ein politischer und diskursiver Prozess, in dem man das Gelernte anwenden, Neues auf die harte Tour lernen und dementsprechend permanent zum Nachjustieren bereit sein muss. Als Regierung, als Unternehmen und auch als Bürger.

Dafür muss der große deutsche Konsens, der von Habeck bis Söder reicht, in eine produktive Diskussion überführt werden, in der es nicht um Prinzipien oder Pipifax geht, sondern um drängende praktische Fragen wie Schulöffnungstermine. Und daneben schon auch um große Fragen der bundesrepublikanischen Zukunft, aber eben politisch-praktische: Welche finanziellen Instrumente halten die EU wirklich zusammen? Wie sieht eine europäische Gesundheitspolitik aus?

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Einen sozialökologischen und europäischen Umbau voranzubringen, ist jetzt die Verpflichtung von grünen Ministerpräsidenten und Vizeministerpräsidenten in Verantwortung.

Aber klar: Die Sehnsucht besteht im Moment nicht in einer „anderen Welt“, sondern darin, die alte Welt zurückzubekommen, also die Welt vor Corona. Das ist die deutsche Welt, die für die einen unterging, wenn Kinder freitags nicht in die Schule gingen. Und für die anderen, weil ein FDP-Politiker durch einen Bauerntrick von Rechtspopulisten zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Vielleicht fängt das Neue genau in diesem Moment an, in dem man denkt: Also, das kann’s doch auch nicht sein.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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6 Kommentare

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  • 8G
    80198 (Profil gelöscht)

    Wenn man die Schwäche der fossilen Industrie jetzt nicht nutzt und Einfluß auf Lufthansa und Autoindustrie nicht nimmt - schaffen wir nie eine Klimawende

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein kleiner Tipp an den Autor: bei der Frage staatlicher Nothilfen mal ein wenig genauer hinschauen!

    Sehen Sie da eine einzige Massnahme, die den sozial am meisten gebeutelten Menschen weiterhilft - habe ich da etwas übersehen?

    P.s. Ich habe keine Sehnsucht nach der 'alten Welt'. Überhaupt keine.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - 🌑fahrt

    “ Glückauf!







    Ja, der kluge Robert. "Wenn richtige Maßnahmen ­wirken, erwecken sie den Eindruck, unnötig ­gewesen zu sein. " So ist es. Remember: "Ja, wo bleibt denn nun das Waldsterben"? - Kommt jetzt doch noch. Allerdings nicht wegen schwefeliger Abgase, wie in den 1980ern erwartet. Dürre und Borkenkäfer erklären der Autokanzlerin: "Wir schaffen das".







    „There is no Glory in Prevention" Yes.



    Der Satz von Drosten gefiel mir sehr.



    Droste + n - was will man mehr?







    Prevention? Das ist ja wie Krieg verhindern. So wollen wir das nicht. Auch der Frieden muss erkämpft werden! Die Menschen wollen Sieger:innen und nicht vorbeugende Feiglinge. „There is no Glory in Prevention.“ Yes. Jetzt rüsten Chemische Industrie und Forstwirtschaft zum Krieg gegen Borkenkäfer. Habe keine Lust mehr auf Feld und Flur. Es stinkt dort nur.







    ---







    "Es geht nicht darum zu klären, wer oder was „menschenverachtend“ ist. Sondern: Wie gehen wir die nächste Phase der Coronakrise konkret an?" [....] Wie kriegen wir das konkret und praktisch hin, wenn wir von einem langen Zeitraum ausgehen müssen, bis zumindest Medikamente gegen das Coronavirus zur Verfügung stehen?"







    Nur Grüne können uns noch retten?



    Darauf würde ich nicht wetten.







    Viele reden von "Durchseuchen"



    Doch kann man Viren auch verscheuchen.



    Auf Impfstoff müssen wir nicht warten.



    Wir können doch Prevention (sprich "priwänschen") starten.



    Wer Abstand hält und andre schützt,



    wird bald merken, dass es nützt.







    Viele werden jetzt pathetisch;



    ein Andrer wird mathematethisch



    und bringt die Restlaufzeit ins Spiel.



    Menschenverachtung hat erst Stil



    wenn EineR sie in Zahlen kleidet,



    womit er "Spreu" von "Weizen" scheidet.







    Und glaubt, dass er bei allem Zwist



    doch "anständig geblieben ist".











    (paar Fotos anbei).“

  • Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht zu erkennen, was Anlass zu der Hoffnung geben würde, dass aus der Krise etwas Neues, ein anderes Wirtschaften, eine andere gesellschaftliche Mentalität entsteht.



    Im Moment wird nur versucht, den Schaden zu begrenzen, den sozialen und gesellschaftlichen Frieden aufrechtzuerhalten, Versorgungsengpässe und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Die Notwendigkeit ist unbestritten, aber die Entscheidungen ähneln denen, die schon 2008/9 bei der Bankenrettung getroffen wurden. Lehren aus dieser Krise wurden nur wenige gezogen, und gemachte Versprechungen (z.B. Besteuerung von Finanztransaktionen) wurden nicht eingehalten.

    Die Voraussetzungen für eine mehrheitlich getragene Kurskorrektur in Ökonomie und Gesellschaft sind denkbar schlecht. Wer Rechnungen bezahlen und Kredite bedienen muss, schaut auf seinen aktuellen Kontostand und will, dass es nach der Krise für ihn/sie zumindest so bleibt wie es war. Und die Politik verspricht genau das. Im Wissen, dass sie es nur auf die Hoffnung auf einen Impfstoff stützt, der in einem ungewissen Zeitfenster (hoffentlich) gefunden wird. Das ist mehr als dürftig, wenn nicht gar gefährlich.

    Es lässt außer acht, dass Banken durch Kreditausfälle von Privat (z.B. in den USA Kreditkarten) und Unternehmen (Insolvenzen) mit fortschreitender Dauer der Krise ins wanken geraten werden. Unsere Exportwirtschaft ist auf die Zahlungsfähigkeit anderer Staaten angewiesen, die ebenfalls mit der Krise zu kämpfen haben.

    Aber es nicht zu erkennen, dass außer der Rede von einer Rezession und den Hinweisen, dass diese die Dimension der Weltwirtschaftskrise 1928/29 annehmen könnte, irgendetwas für dieses Szenario vorbereitet wird. Z.B. Arbeitszeitverkürzungen, Jobsharing, Entschleunigung der Produktionsprozesse oä.

    PS: Hoffen wir, dass uns ein Dürresommer erspart und in den Ländern, aus denen wir unsere Lebensmittel importieren, die politische Stabilität erhalten bleibt.

  • Ehe von uns Peterle vande Mondfahrt weiterer Pipifax rausgedonnert wird:

    “Die Menschenwürde ist ein Konjunktiv“ - by Wiglaf Droste.



    &



    “ „There is no Glory in Prevention“, hat Christian Drosten, der Popstar unter den Virologen, schon vor Wochen gesagt. Und jetzt ahnen wir langsam, wie recht er hatte.“



    (geklaut beim anempfohlenen Robert Misik;)



    taz.de/Corona-und-...nalismus/!5679415/

    So geht das •