Compilation von Alien Transistor: Zweifel fallen lassen
Opulent, versponnen und verspult klingt der psychedelische Folk auf „Glitzerbox 2“. Die Compilation wird mit einer Ausstellung in Berlin gefeiert.
Ganz schön kalt und grau da draußen. Selbst den Glitter aus dem Drogeriemarkt hat die EU unlängst verboten, um der Mikroplastikseuche etwas entgegenzusetzen. Was natürlich nicht falsch ist, aber die Welt vermutlich nicht retten wird. Wie schön, dass man sich wenigstens mit etwas mentalem Glitzer einigeln und in die Musik der gleichnamigen, schön analogen Compilation abtauchen darf: Willkommen in der „Glitzerbox Vol. 2“.
Anders als Teil 1, letztes Jahr als Kassette mit Buch erschienen, folgt der zweite Teil nun in einer Vinyl-Auflage: ein Compilation-Album, zu dem ein halbes Dutzend, teils ausladende Kunstwerke kredenzt werden. Man kann es auch umgekehrt beschreiben: ein Siebdruckbuch mit einer eklektischen Mischung von Kunstwerken – begleitet von einem seltsamen, wärmenden Soundtrack.
Veröffentlicht von Alien Transistor, dem Münchener Label, das Micha und Markus Acher gegründet haben. Die umtriebigen Brüder, am bekanntesten durch ihre Band The Notwist, sind seit Jahrzehnten in so vielen Zusammenhängen unterwegs, dass man nur schwer den Überblick behält – Gamelan-Sounds spielen in ihrem musikalischen Kosmos ebenso eine Rolle wie experimenteller HipHop und psychedelischer Avant-Folk aus Japan von der Band Tenniscoats. Mit denen haben sie dann auch gleich ein gemeinsames Projekt, Spirit Fest, gegründet.
Auch bei der Arbeit für ihr Label öffnen die beiden ihr Herz für alles Mögliche: Verspieltes Songwriting kommt da ebenso zum Vorschein wie schräger Jazz. Vom kooperativ-freundschaftlichen Geist, der ihr Schaffen durchzieht, profitiert nun auch „Glitzerbox“. Gleich nach einem plingeligen Guck-in-die-Luft-Auftakt namens „Unifactor“ kündet die neuseeländische Singer-Songwriterin Maxine Funke am Klavier von der „Suspension of Disbelief“, also von einem „Aufheben des Zweifelns“ – was sich auch als Gebrauchsabweisung für die Glitzerbox verstehen lässt. Gründe zum Staunen liefert sie gleich einige.
Fragiler LoFi-Rock
Kevin Cormack und Mathew Fowler, die sich zusammen Jam Money nennen, sind gleich mit drei Tracks vertreten. Trotz konzeptioneller Selbstbeschränkung – Aufnehmen mit Vier-Spur-Rekorder und Musizieren auf halb kaputten Instrumenten – ist ihr fragiler LoFi-Rock ein wilder Ritt. Sie zitieren unterschiedlichste Referenzen – allerdings mit einer ziemlich bekifften Aufmerksamkeitsspanne. Schwuppdiwupp, sind sie wieder bei einer neuen Idee, die sie gleich wieder fallen lassen.
Im letzten Albumdrittel begegnet man dann auch den bereits erwähnten Tenniscoats alias Saya und Takashi Ueno wieder. Die beiden werfen tröstliche Klangschleifen aus, als wären es Fischernetze, und lullen ihre Hörer:innen mit warmem, fast mantrischen Gesang ein – worauf die ebenfalls aus Japan stammende Band Andersens mit dem zarten Psych-Folksong „Fuyu“ folgt. Einige Tracks wirken etwas verrätselt, sind eher Skizzen als Song. Doch selbst in avantgardistischeren Momenten verbreitet sich mehr eine wohlige Wärme als funkelnde Glitzerei.
Richtig bunt wird es dafür bei der Kunst. Die wirkt nicht minder kryptisch als die Musik – und oft recht doppelbödig. Etwa die auf den ersten Blick vergnügten, comicartigen Wimmelbilder des Belgiers Laurent Impeduglia. Auf den zweiten Blick tanzen Skelette zwischen Palmen und ein Totenschädel wirft Tentakeln aus, an denen weitere Schädel hängen.
Auch Tomoko Mori, die in Tokio Textildesign studierte und seit 2007 in Berlin lebt, widmet sich einer Art „Oktopustanz“ – so der Titel ihres ornamentalen grün-gelb-roten Bildes, das sich über drei LP-Quadrate erstreckt. Es wirkt aber eher wie eine Unterwasserwelt, in der sich eine Krake ein schönes Versteck suchen kann. Trotz seiner Größe scheint ihr Tableau über sein Format hinauszureichen: eine Ahnung von ozeanischer Unendlichkeit.
Kompiliert und realisiert hat die ansprechenden Siebdrucke Marion Epp alias Jimmy Draht. Das Schönste an ihrer Glitzerbox ist, dass man sie in ein paar Tagen oder Wochen wieder in die Hand nehmen kann und möglicherweise alles ganz anders wirkt. Denn so leise und verhalten viele der mäandernden Tracks auf den ersten Blick daherkommen, entwickeln sie ein Eigenleben – und erlauben immer wieder neue Synergieeffekte zwischen Bild und Ton.