Comics vom Ende der Welt: Die Rache der Natur

Zeps Graphic Novel „The End“ erzählt vom Aufstand der Bäume. Lukas Jüligers „Unfollow“ verspricht Heilung durch die Rückbesinnung.

Der jugendliche Erlöser aus dem Comic „Unfollow“ Comic: Lukas Jüliger

Comics lieben den Weltuntergang. Genauer gesagt: Sie malen gerne aus, was nach ihm passiert. Denn dann eröffnen sich alle möglichen Freiheiten, vor allem die der Genremischung: Science-Fiction und Western lassen sich kreuzen, und gerne darf es auch ein wenig Horror sein. Der Weltuntergang an sich und die Versuche, ihn abzuwenden, sind dagegen weit weniger populär. So war es zumindest bisher – im Zeichen der Klimakatastrophe beginnt sich dies aber nun zu ändern.

Die Graphic Novel „The End“ ist nach dem gleichnamigen Song der „Doors“ benannt. Richard Frawley, ein grummeliger Botanik-Professor, lässt deren Alben pausenlos auf seinem Plattenteller kreisen. Nachdem er wegen seiner waghalsigen Thesen aus der Wissenschafts-Community verstoßen worden ist, hat Frawley sich in den schwedischen Wäldern vergraben. Dort will er die Kommunikation der Bäume erforschen. Denn er betrachtet diese als Lebewesen. Und er glaubt auch, dass die Bäume Informationen, die sie in ihrer DNA gespeichert haben, aus Misstrauen den Menschen gezielt vorenthalten.

Theodor, früher ein militanter Umweltaktivist, soll als Praktikant Frawleys kleines Team verstärken. Doch zugleich beginnen sich merkwürdige Vorfälle zu häufen. In einem spanischen Dorf kommt es zu unerklärlichen Todesfällen. Und in Schweden wachsen plötzlich unbekannte, giftige Pilze. Bäume verströmen Gas und Wildtiere verhalten sich so zutraulich, als lebten sie hier in einem Zoo.

Die Natur, dies begreift Theodor zu spät, hat sich gegen die Menschheit erhoben. Und sie führt ihm mit unerbittlicher Konsequenz vor, dass sie sehr gut auf ihn und andere verzichten kann.

Zep: „The End“. Aus dem Französischen von Claudia Sandberg. Schreiber & Leser Verlag, Hamburg 2020, 96 Seiten, 19,80 Euro

Lukas Jüliger: „Unfollow“. Reprodukt Verlag, Berlin 2020, 160 Seiten, 18 Euro

Dass man bei der Lektüre von „The End“ an Peter Wohllebens „Das geheime Leben der Bäume“ denken muss, scheint unausweichlich. Ein Zitat aus diesem aktuell auch verfilmten Bestseller von 2015 beschließt den Comic und hat ihm eindeutig als Inspirationsquelle gedient. Und von Wohllebens gefühlig-anthro­pomorphisierendem nature writing zum dystopischen Öko-Thriller ist es auch nur ein kleiner Schritt.

Überraschend ist jedoch, dass „The End“ von dem Schweizer Zeichner Zep – bürgerlich Philippe Chappuis – stammt. Im französischen Sprachraum ist er mit seiner Humor-Serie „Titeuf“, in deren Mittelpunkt ein frecher kleiner Junge steht, seit den Neunzigern überaus beliebt. In den letzten Jahren hat er mehrfach versucht auch im Bereich der realistischen Comics zu reüssieren.

In „The End“ gelingt ihm dies mit einem routiniert geschriebenen Szenario, aber etwas weniger mit den Zeichnungen. Ausgerechnet in diesem Comic mit ökologischem Einschlag wirken die Naturbilder recht steif und kulissenhaft. Ein empfindliches Manko. Auch mit realistisch dargestellten Gesichtern und Körperhaltungen hat Zep Schwierigkeiten. Vergleicht man „The End“ mit seinen schwungvollen „Titeuf“-Alben, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier ist ein sehr begabter Funny-Zeichner auf einen künstlerischen Irrweg geraten.

Eine Mischung aus Mowgli und Jesus Christus

Das Ende der Welt droht auch in der Graphic Novel „Unfollow“ von Lukas Jüliger. Dann aber tritt ein jugendlicher Erlöser auf, eine Mischung aus Mowgli und Jesus Christus. Eartboi wird auf rätselhafte Weise als ein siebenjähriger Junge geboren und ist menschgewordene Erdgeschichte, die in ihrer Gesamtheit in ihm verkörpert ist.

Zunächst von einer Familie adoptiert, landet er in einem Heim für verhaltensauffällige Kinder. Aus dem flieht er schließlich, um im Wald eine Eremitenexistenz zu führen. Über das Internet ist er aber mit der Welt verbunden. Dank seiner Posts, wie ein Leben nach den Gesetzen der Nachhaltigkeit zu führen sei, gewinnt er für die globale Gemeinde seiner Follower den Status eines Heiligen.

Zusammen mit der Influencerin Yu gründet er eine Edel-Landkommune, der er den schlichten Namen „Erde“ gibt. Dieser „Garten Eden der assistierten Evolution“ soll durch die ökologisch tadellose Lebensweise der dort Lebenden, darunter Youtuber und Stars, ein Vorbild für den ganzen gefährdeten Planeten sein.

Als die Liebe zu Yu allerdings Earthboi mehr und mehr in Beschlag nimmt, sehen seine Anhänger das gemeinsame Projekt in Gefahr. Nicht um das Glück der Einzelnen darf es gehen, sondern nur um das große Ganze, um die kollektive Erlösung. Also beschließt man, den Meister wieder an seine große Aufgabe zu erinnern – und sei es mit Gewalt.

Der 1988 geborene Lukas Jüliger zählt sicherlich zu den größten Nachwuchstalenten der deutschsprachigen Comic-Szene. Vor zwei Jahren brachte er „Berenice“ heraus, eine verstörende, in die Gegenwart versetzte Adaptation der gleichnamigen Kurzgeschichte Edgar Allan Poes. Schon „Vakuum“, sein 2012 erschienenes Debüt, war von einer ungewöhnlichen künstlerischen Reife, litt allerdings auch unter Jüligers Neigung, erzählerisch zu viel zu wollen.

In „Earthboi“ ist dies nun erneut der Fall. Japanophilie und Influencer-Kultur, Klimakrise und Weltrettung, Sekten- und Amokwahn: der stofflich-thematische Überreichtum korrespondiert mit einigen Lücken und Unklarheiten. Das Szenario scheint letztlich nicht ganz ausgereift. Vielleicht ist Jüliger weniger ein Erzähler als ein Beschwörer.

Seine Fähigkeit, mit Worten oder Bildern eine beklemmende Stimmung zu erzeugen, ist tatsächlich außerordentlich. Es gibt in „Eartboi“ keine Sprechblasen, sondern Blocktexte, die unter großformatigen, stummen Panels stehen. Geschildert wird das Geschehen fast ausschließlich aus der beschränkten Perspektive eines anonymen Ich-Erzählers, der zu Earthbois enthusiastischer Gemeinde gehört. Den Sog, der auf diese Weise entsteht, verstärken abwechselnd in Rosa- und Blautönen gehaltenen Bilder, die ungefähr so aussehen, als wären David Lynch und David Cronenberg als Manga-Zeichner reinkar­niert worden.

Jüliger ist bei aller Kritik mit einem Sinn für das ideale Verhältnis von Detailfreudigkeit und Andeutung ausgestattet. Er schafft so Bilder, die eine diffuse, alptraumhafte Bedrohlichkeit ausstrahlen, an denen man sich aber nicht sattsehen kann.

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