Kurzgeschichten von Christoph Haas: Bilder moderner Tristessen

„Eine Nacht im Juli, eine Nacht im Dezember“ erzählt kurze Geschichten menschlicher Erschütterungen. Christoph Haas schreibt von entrückten Zuständen.

Zwei Tretboote, von der Sonne ausgebleicht, mit Rutsch an einem See

Urlaubsbrise. Haas erzählt bildhaft. Tretboote in der Lausitz Foto: Oleg/imago

Wo sich Elend und Tristheit treffen, dafür hat Christoph Haas ein gutes Gespür. Der Passauer hat mit „Eine Nacht im Juli, eine Nacht im Dezember“ sein erstes Prosawerk veröffentlicht. Die Erzählungen sind kurze Momentaufnahmen, Schwebezustände, kurz vorm Kippen; Haas beschreibt moderne Tristessen.

Gleich die erste Geschichte, „Wellen“, bringt die ganze Ka­tas­tro­phe einer Flucht auf nur wenigen Seiten auf den Punkt, wenn King seinen Bruder Hamza verdächtigt, Geld mit Prostitution zu verdienen. Beide können ihre Flucht nicht hinter sich lassen, immer wieder holen die Wellen sie ein, das Boot ist einfach viel zu klein für sie alle.

Haas spürt Miniaturen auf, versetzt sich in die Mikrokosmen einer Paarbeziehung oder Nachbarschaftsrivalität hinein. „Auf all das, auf das Schauen und Angeschautwerden, hatten wir heute keine Lust, und so waren wir zur Bushaltestelle gegangen.“ Es sind Sätze wie diese, die das Aufwachsen im Dorf unter betrunkenen Männern und strengen Musiklehrerinnen so treffend illustrieren. Haas schreibt keine Stadtgeschichten, seine Sätze riechen nach Provinz.

Über manche weht dabei eine eigentümliche Urlaubsbrise, das Gefühl eines verregneten Nachmittags im Ferienpark, der seine Ereignislosigkeit selbst dann nicht verliert, wenn plötzlich ein Unbekannter eine Pistole zückt. Diese unauslöschliche Leere, sie ist in all seinen Geschichten präsent.

Christoph Haas: „Eine Nacht im Juli, eine Nacht im Dezember“. Erzählungen. Schillo Verlag, München 2021. 140 Seiten, 17 Euro

Penetrant schwermütige Tage

Eigentlich könnte nämlich alles gut sein, eigentlich ist alles doch gut, doch unerklärlicherweise drängt sich irgendwann ein Schatten in den Tag – unbegründet meist, aber in seiner Schwermütigkeit penetrant. Haas’ Erzählungen sind simpel, banal mitunter und bleiben manchmal skizzenhaft. Überhaupt schreibt er bildhaft, seine Storys sind wie kurze Bilderfolgen, auf denen bestimmte Objekte überzeichnet sind.

Wer will, könnte auch ob der Kürze der Erzählungen Haas’ Faible für Comics bestätigt finden. Der Publizist schreibt über Filme, Literatur und eben über Comics und Graphic Novels, auch in der taz. Übersetzt man sein Schreiben auf einen Zeichenstil, würde Haas wahrscheinlich mit blassen Farben malen, zwischendurch aber kräftige Striche setzen, die überraschen.

Der 1963 geborene Schriftsteller interessiert sich für Zäsuren in ereignisarmen Leben, für den Moment, in dem Gewohntes plötzlich ganz anders erscheint. Dabei bewegt er sich frei durch Gedankenwelten: Einmal ist es ein Mann, der den Tankwart ersticht und sein Verhalten nüchtern reflektiert, ein anderes Mal wird Eltern schließlich klar, dass mit ihrem Sohn etwas gehörig nicht stimmt. Nicht ganz unschuldig könnten an diesen menschlichen Irritationen die Jahreszeiten sein.

Haas’ Geschichten scheinen immer auf den heißesten Sommertag, auf den feuchtesten Frühlingsabend zu fallen. Geradezu körperlich ist diese meteorologische Überforderung spürbar, wie bei dem Erzähler aus „Ira“, der an einem warmen Tag Bier trinkt, einschläft und fröstelnd verwirrt erwacht.

Verstrickungen entfalten sich

Haas lässt seine Le­se­r:in­nen gern im Dunkeln, oft weiß man erst spät, in welchem Verhältnis die Figuren zueinander stehen. Wie nebenbei entfalten sich ihre Verstrickungen, unauffällig und unbeachtet, wie in „Sommer der Liebe“, wo es Schicht für Schicht, Satz um Satz klarer wird, dass hier ein Onkel seinen Neffen missbraucht.

Es sind bedrohliche Geschichten, die Haas erzählt, seine Figuren sind neugierig wie feindselig, oft engstirnig in ihrem Denken. „Eine Nacht im Juli, eine Nacht im Dezember“ ist auf seine Art sehr deutsch, es scheint von einer unbedingt deutschen Jugend zu erzählen, deutsche Familien zu skizzieren.

Dabei kommen direkte Verweise selten vor, Haas’ vornehmlich aus Hauptsätzen bestehender Stil erinnert zudem eher an den Minimalismus amerikanischer Erzähler:innen. Womöglich ist sowieso weniger die Nation entscheidend als das Gefühl, im Hinterland zu leben, unbeachtet, auf trockenes Land oder in den Vorgarten der Nachbarn starrend – bis es irgendwann knallt.

Diese eine Nacht im Juli, diese eine Nacht im Dezember, sie bedeutet im Moment so viel, wird aber unweigerlich ob der zahllosen folgenden Tagen der Monotonie langsam verblassen. Auswirkungen haben diese kurzen Momente der Gefühlseruptionen ohnehin selten. Über Emotionen sprechen Haas’ Figuren nämlich grundsätzlich nicht.

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