Claudia Roth über Birgit Prinz: „Weil sie ein schwarzes Loch fürchten“
Die Grünen-Chefin ist glühender Fußballfan, fordert kein Mitleid, sondern Solidarität mit der formschwächelnden Kapitänin Birgit Prinz. Aber: Abschied nehmen sei schwer.
taz: Frau Roth, haben Sie eigentlich Mitleid mit Birgit Prinz?
Claudia Roth: Ich kann gut nachvollziehen, was sie gerade empfindet, jetzt, da sie erstmals unter so massivem öffentlichem Druck steht. Denn sie hat das so noch nie erlebt. Und ich glaube, dass frau und man sie jetzt kräftig unterstützen sollten. Es gibt auf dem Platz gute und schlechte Stunden, und sie hat es wirklich nicht verdient, dass man jetzt so mit ihr umgeht.
Hätten die Spielerinnen vielleicht besser vorbereitet werden müssen?
Es ist ja sehr viel mit psychologischer Betreuung im Vorfeld getan worden, und offensichtlich ist dieses große Interesse, die große mediale Präsenz im Fernsehen, in den Zeitungen so nicht erwartet worden. Sportliche Vorbereitung ist eben das eine, aber wenn du vor einem ausverkauften Olympiastadion stehst, dann ist das eben eine ganz andere Sache, auf die man sich gar nicht einfach so vorbereiten kann.
Ist das, was jetzt passiert, nicht einfach nur das Ende der wohlwollenden Beißhemmung und damit eine Art Normalisierung?
Auch, ja. Ehrlich gesagt: Das Spiel in Frankfurt war nicht besonders gut, das muss man sagen. Es wird dann normal und selbstverständlich, dass man schlechten Frauenfußball auch als solchen bezeichnet. Dann ist man mittendrin in der Fußballleidenschaft angekommen, wenn man auch ein Spiel ohne Scheuklappen bewertet. Also einfach auszusprechen, was ist. Etwas Gutes ist gut und etwas Schlechtes schlecht. Das gehört dazu, geht aber auch, ohne gegenüber einzelnen Spielerinnen grob verletzend zu werden.
56, seit 2004 eine von zwei Bundesvorsitzenden der Grünen, gehörte zum Kuratorium der Olympia-Bewerbung von München. Im April war sie u. a. mit Steffi Jones und DFB-Präsident Theo Zwanziger in Nordkorea. Aktuell changieren Roths Haare zwischen den Farben eines frischen Sonnenaufgangs und dem satten Endleuchten eines reifen Sommertages.
Bei Birgit Prinz geht es vielleicht auch grundsätzlich ums Abschiednehmen. Abschiede gestalten sich nicht nur bei Sportlern schwierig. Denken Sie manchmal selbst darüber nach, wie Sie Ihren eigenen Abschied aus der Politik gestalten wollen?
Beim gegenwärtigen Spielstand zwischen der schwarz-gelben Bundesregierung und uns und den zahlreichen Toren, die wir in letzter Zeit gegen Schwarz-Gelb geschossen haben, sicher nicht. Wichtig ist es aus meiner Sicht, den richtigen Punkt zu erwischen, möglichst noch einen Punkt, an dem die Leute sagen, schade, dass er oder sie geht.
Frau Roth, aber weshalb scheinen so viele Menschen, Sportler wie Politiker, den richtigen Moment des Abschiednehmens zu verpassen? Wird über die Kunst des selbst gewählten Abgangs in Ihren Kreisen gesprochen?
Das kommt vor. Im Bundestag überlegen sich manche immer wieder: Soll man noch einmal kandidieren. oder reicht es jetzt? Sowohl in der Politik als auch im Sport, und beides sind ja reich bewohnte Haifischbecken, braucht man ein Umfeld, das einen berät. Leute, die sagen, es ist besser, zu gehen. Oder solche, die einen auch darin unterstützen, zu bleiben, wenn man einfach gerade eine Krise zu überstehen hat und die auch überstehen sollte, weil man immer noch gebraucht wird und noch viel vorhat.
Sagen Sie uns, wie man sich darauf vorbereiten kann!
Wer sein ganzes Leben nur auf dieses Politikersein ausrichtet, der kann in Gefahr kommen, abhängig vom politischen Geschäft zu werden. Da wird es dann für manche schwierig, wirklich den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wann sie gehen sollten, weil sie dann ein tiefes schwarzes Loch fürchten.
Aus Angst vor dem Leben?
Ich hatte ein reiches Leben vor der Politik. Viele junge Politiker kennen ja nichts anderes als Politik und richten ihr gesamtes Leben darauf aus, möglichst lange dabei zu bleiben. Das ist gefährlich. Insofern ist es gut, wenn man weiß, dass man eine Perspektive hat. Deshalb ist mir nicht bang davor, mir ein Leben nach der Politik vorzustellen. Aber im Moment geht es mir ganz und gar nicht um Abschied, sondern darum, das schwarz-gelbe Desaster 2013 abzulösen.
Zurück zur WM. Was halten Sie von der Kritik, dass die noch amtierende Kapitänin sich weigert, die Hymne mitzusingen?
Total lächerlich! Es gibt bei uns glücklicherweise keinen Nationalhymnensingzwang.
Wieso halten sich eigentlich alle PolitikerInnen so zurück bei dieser Weltmeisterschaft? Sollte sich Angela Merkel auch mal in die Frauenkabine trauen?
Ich weiß nicht, ob sie das tut. Na ja, beim Eröffnungsspiel waren ja schon viele da. Aber richtig ist, dass jetzt offensichtlich abgewartet wird, wie es weitergeht. Und richtig ist, dass man auch dann kommen sollte, wenn es mal nicht so gut läuft – und nicht nur zum Endspiel. Aber die Spielerinnen bekommen das schon ganz genau mit, wer sich nur im Glanz sonnen will und wer auch im Regen bei dem Team steht.
Woher rührt Ihre Begeisterung für den Frauenfußball?
Ich bin von Kindesbeinen an Fußballfan. Und neben dem sportlichen Ereignis kommt beim Frauenfußball natürlich die gesellschaftliche Dimension dazu. Es ist letztlich ein Einbruch in eine der letzten Domänen der Männerwelt. Es ist einfach umwerfend, zu erleben, dass Frauenfußballerinnen mit den Männern gar nicht verglichen werden wollen, sondern selbstbewusst Fußball spielen mit einer eigenen Ästhetik – und damit gegen alle Klischees, gegen alle Häme anspielen.
Wie soll es in Zukunft sein?
Wir müssen alles dafür tun, dass auch nach der WM Frauenfußball wichtig bleibt. Und sich ähnlich wie bei den Männern unsere multikulturelle Gesellschaft auch in den Mädchenteams abbildet. Da muss noch viel getan werden. Mädchen mit Migrationshintergrund haben es da noch sehr viel schwerer.
Sie haben sich ungemein für das nordkoreanische Team eingesetzt und sogar von sportdiplomatischem Erfolg gesprochen im Hinblick auf eine Annäherung an die USA. Haben Sie da nicht etwas zu eifrig gesprochen?
Ich hatte nun wirklich nie die Illusion, politische Gespräche zwischen den USA und Nordkorea durch eine Begegnung auf dem Platz erzeugen zu können. Aber wenn es auf der politischen Bühne überhaupt keine Begegnung, überhaupt keine Gespräche gibt, ist alleine die Tatsache, dass die Spielerinnen sich die Hand geben, dass im Anschluss an ein Spiel Politiker aus beiden Ländern an einem Tisch sitzen und Einladungen ausgesprochen werden, ein Erfolg.
Ein Erfolg?
Ja, besonders bei einem Land wie Nordkorea, das sich ansonsten völlig abschottet. Das sind vielleicht nur Millimeter an Bewegung, aber das ist doch besser als nix.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit