Cinecittà-Göttin Sophia Loren wird 90: Mit Klischees, gegen Klischees
Die Schauspielerin Sophia Loren schaffte es meist, ihren Rollen als weiblich-schwaches Objekt Stärke und Weisheit mitzugeben. Am Freitag wird sie 90.
Es gibt eine Szene im Film „Hausboot“, die demonstriert es ganz gut. Sophia Loren spielt Cinzia, die Tochter eines italienischen Dirigenten, die bei einem Konzert ihres Vaters in Washington ausbüxt und zufällig über die Kinder des Beamten Tom (Cary Grant) stolpert. Tom, dessen Ex-Frau gestorben ist, kann mit seiner neuen Vaterrolle nichts anfangen und bittet Cinzia, ihm als „Hausmädchen“ zur Seite zu stehen. Sie ist ja immerhin eine Frau, Italienerin gar. Die Kinderpflege müsste ihr demnach im Blut liegen.
Es sind alte Klischees, die die Prämisse zu dem von Melville Shavelson 1958 inszenierten Film bilden. Doch was „die Loren“, wie bei allen Hollywoodgöttinnen reicht der Nachname, aus dieser Prämisse macht, ist unnachahmlich: Als der unsensible Tom seinem ältesten Sohn beim Hausbootrenovieren mal wieder nichts zutraut und kräftig am angeschlagenen Selbstbewusstsein des traumatisierten Teenagers rüttelt, sprüht Cinzia Tom wie aus Versehen eine Portion Wandfarbe mitten ins Gesicht. Ohne die Miene zu verziehen, sagt sie „Verzeihung“ – und stolziert von dannen. Und Tom hat seine Lektion gelernt.
Sophia Loren, die am Freitag 90 Jahre alt wird, musste während ihrer gesamten Karriere gegen Klischees anspielen – und schaffte es fast immer, sie zu drehen, ihren Rollen als weiblich-schwaches, wankelmütiges Objekt der Begierde Stärke und Weisheit mitzugeben, sie facettenreich und empathisch zu gestalten.
In italienischen Filmen der 50er Jahre wurde die 1934 in Rom in prekäre, uneheliche Verhältnisse geborene Sophia Loren zunächst aufgrund ihres Aussehens besetzt – ihre Mutter schickte sie bereits als Teenager auf Laufstege, Bilder zeigen die 15-Jährige bei einem Schönheitswettbewerb in Brust-raus-Pose und mit jenem etwas kühlen Ausdruck im feinen Gesicht, der bis heute ihr Markenzeichen ist. Ihren Körper zur Schau zu stellen, um männliches Begehren anzuheizen, das war für Loren und die misogyne italienische Filmindustrie selbstverständlich.
Auf ihren häufigen Spielpartner Marcello Mastroianni, den Prototypen des von seiner durch sexistische Moral und Katholizismus unterdrückten Lust gequälten „italian stallion“, traf sie erstmals 1954 in „Schade, dass du eine Kanaille bist“. Da hatte sie bereits die Filmschule, einige Nebenrollen (16-jährig als Komparsin in „Quo Vadis“) und zwei Hauptrollen hinter sich.
Egal ob in Cinecittà oder Hollywood, wo sie ab 1958 zunächst für Paramount Pictures arbeitete: Loren stand für Verführung und einen gewissen Exotismus, war das Sinnbild der fatalen, von ängstlichen Männern definierten Heilige-oder-Hure-Dualität, der sich Frauenfiguren im Film unterordnen mussten.
In den 50ern und 60ern behauptete sie sich weiter in der Filmbranche, und wenn auch Fans und Kollegen sich Beziehungen erträumten (und es eine Affäre mit Cary Grant gab, die das Hausboot-Shooting erschwerte), blieb Loren stoisch und römisch-katholisch, ganz anders als ihre flatterhaft-flirtenden Filmcharaktere: Sie heiratete 1957 den 22 Jahre älteren Produzenten Carlo Ponti, bekam zwei Söhne und blieb bis zu seinem Tod mit ihm zusammen. In den 70ern und 80ern reduzierten sich, wie zu erwarten war, die Rollenangebote, die Filme wurden jedoch interessanter.
In den 90ern zeigte Loren dann Geschick als Geschäftsfrau, verkaufte mit ihrem Namen Kochbücher, Parfüm und Brillen und schrieb ihre Autobiografie. An ihrem 90. Geburtstag kann sie nicht nur stolz sein, die Strukturen Hollywoods überlebt zu haben. Sie hat sie sich zu eigen gemacht. Wer hier wen um den Finger wickelt, das bestimmt immer noch sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin