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Christian Lindner vor der BundestagswahlDer Angezählte

FDP-Chef Christian Lindner will seine Leute auf Kurs bringen. Zuletzt wurden die Risse in der Partei größer.

Fährt einen schleierhaften Kurs: FDP-Chef Christian Lindner

Berlin taz | Christian Lindner glaubte fest daran, dass sich bessere Umfrageergebnisse für seine FDP einstellen würden. Die Meinungsinstitute würden die Liberalen bei 5 Prozent und mehr listen, wenn die heiße Phase des Wahlkampfs beginne und die Leute ihre Neujahrslethargie abschüttelten. Jetzt ist die Phase heiß – Lindners Prophezeiung ist bislang aber ausgeblieben. Lindner setzt seine Hoffnung nun auf den Parteitag, mit dem die FDP am Sonntag ihren Endspurt einleiten will. Doch es gibt da ein paar Probleme.

Führende Mitglieder der FDP-Fraktion haben dem Parteichef die Gefolgschaft verweigert. Bei der Abstimmung zu dem restriktiveren Migrationsgesetz, das die Union am vergangenen Freitag auch mit den Stimmen der AfD durchbringen wollte, waren etwa ein Viertel FDP-Abgeordnete nicht auf Linie mit der Ansage Lindners, dem Vorhaben zuzustimmen. Unter denjenigen, die keine Stimme abgaben, waren auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Johannes Vogel, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle. Beide gehören zum sozialliberalen Lager der Partei und gelten als mögliche Anwärter für Lindners Nachfolge.

Sollte die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, könnte dieser Fall schneller eintreten als gedacht. Denn Lindner führt einen riskanten Wahlkampf, in dem er sich und die FDP an die Union gekettet hat. Schon Anfang des Jahres hatte der Parteichef die CDU aufgefordert, für ein schwarz-gelbes Bündnis einzustehen und den Wahlkampf gemeinsam zu bestreiten. Doch Friedrich Merz fährt einen anderen Kurs. Der CDU-Chef gönnt der FDP nicht einmal das schlechteste Umfrageergebnis: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union“, sagte Merz zuletzt den Funke-Medien.

Die Union steht, nachdem sie die AfD für die gewünschte „Zustrombegrenzung“ zwar gewonnen, die Abstimmung zum Gesetz jedoch verloren hatte, selbst mit dem Rücken zur Wand. Merz ist, mit seinen Worten, „all in“ gegangen und hat verloren – nun schielt er auch nach den Pokerchips der Liberalen. Keine gute Ausgangslage für den FDP-Chef.

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Zumal sich Lindner auch in die andere Richtung die Handlungsoptionen verbaut. Auf dem Parteitag möchte er den Beschluss durchsetzen, dass die FDP nach den Bundestagswahlen – für Lindner ist der Einzug ins Parlament keine hypothetische Frage – nicht mit den Grünen koaliert. In den letzten Tagen des Wahlkampfs will Lindner alles loswerden, was noch an die zerbrochene Regierung erinnern könnte. Doch die Strategie führt in einen engen Korridor: Neben der größtmöglichen Dis­tanz zu den Grünen auf der einen Seite und einer Anbiederung an die wirtschaftsliberale CDU von Merz bleibt nicht viel Raum für ein pures FDP-Programm, mit dem sich der Parteichef so gerne rühmt.

Ein Viertel der FDP-Abgeordneten hat gegen das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union gestimmt

Wer in dem uneindeutigen Abstimmungsergebnis der FDP zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ bei dem Parteitag auf einen inhaltlichen Streit der FDP zu Migrationsfragen hofft, dürfte enttäuscht werden. Die Liberalen wollen das Zeichen setzen, dass man die Einwanderung nach Deutschland begrenzen muss.

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Rezession, Stellenabbau, Insolvenzen – ist Deutschland wirklich abgewrackt? Die taz schaut hin und fragt, welche Chancen in der Krise liegen könnten. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Als am vergangenen Mittwoch der inhaltlich deutlich schärfere Antrag mit den Stimmen der AfD den Bundestag passierte, mit dem die Union Asylsuchende pauschal an den Grenzen zurückweisen wollte, stimmte die FDP wie von Lindner angekündigt fast geschlossen zu. Unter den neun FDPlern, die keine Stimme abgaben oder sich enthielten, war jedoch erneut Fraktionsvize Kuhle.

Anfang der Woche wurden dann interne Chats von Wolfgang Kubicki bekannt, in denen er ironisch ankündigte, unter anderem Kuhle und Vogel könnten nun die Führung des Wahlkampfs übernehmen. Er räume schon mal sein Büro auf, schrieb der Parteivize in Anspielung auf die Bundestagswahl, die dann wohl verloren gehen würde.

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In der FDP-Fraktion will man diese Einlassung nicht zu hoch hängen. Kubicki habe seinem Ärger kurz Luft gemacht, heißt es. „Man muss bei den Probeabstimmungen in den Frak­tions­sitzungen auch mitzählen“, sagte eine Abgeordnete der taz. So hätte auch Kubicki das Ergebnis eigentlich voraussehen können, sagte sie. Der Vizechef wird am Sonntag den Parteitag eröffnen, Überraschungen sind da nicht ausgeschlossen.

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27 Kommentare

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  • Der Mann der hier den Musk-Milei machen möchte, auf eine Stufe mit der AfD zu setzen, der Mann der die Regierung sabotiert hat, wird aber noch immer in Fernsehsendungen eingeladen, um in den Wahlkampf einzugreifen. Kleinstpartei, von den Medien hofiert. Seltsam, nicht seltsam?

  • Immerhin eröffnet diese Wahl die Chance, dass die Regierungs-Saboteure von der FDP wenigstens für 4 Jahre auf Eis gelegt werden. Denn das Gerede von Lindner über Grüne und SPD und die eigene Rolle ist im Wahrheitsgehalt in zwischen auf AfD-Niveau angelangt.

  • Kubicki räumt schon mal sein Büro leer, denn alles lässt sich ändern. Selbst die Führungsriege dieser Gurkentruppe 😅

  • Fehler in der Darstellung der Insa Wahlumfrage. Es fehlen 2%. Sonstige hat nicht 5 sondern 7%. Jedenfalls nach dieser Quelle: www.wahlrecht.de/umfragen/

  • Realistischerweise ist es unmöglich in vier Jahren über dreißig Jahre CDU/CSU-Mißwirtschaft zu korrigieren. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß die Ampelparteien jahrzehntelang an dieser Mißwirtschaft beteiligt waren kann man eigentlich nur noch verzweifeln.

    • @Manfred Peter:

      "30 Jahre" CDU/CSU Alleinregierung? Wann war das denn?

  • Kubicki hat erklärt, dass ein Rauswurf aus dem Bundestag durch die Wähler das Ende der FDP wäre. Das weckt Hoffnung. Dann könnten die wenigen Liberalen in der "ICH, ICH, ICH" Partei FDP eine liberale Partei gründen. Ohne Kubicki, Linder, Dürr und Konsorten.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Genau das Gleiche habe ich letztens auch gedacht:

      Wäre ich ein echter Liberaler, wäre die heutige FDP, die für Grenzschließungen plädiert, sich bei Multimilliardären anbiedert anstatt freiheitliche Machtbeschränkung zu fordern und ironischerweise am Checkpoint Charlie "Guter Wille muss Grenzen setzen" plakatiert, ganz sicher nicht meine Partei.

      (Und jetzt ist es aber genug Beschäftigung mit den Leuten.)

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Hat’s auch schon alles gegeben, ohne nachhaltigen Erfolg. Denken Sie an den Verrat der sozialliberalen Koalition 1982 durch Genscher und Lambsdorff - auch da hatte es übrigens schon ein Exit-Strategiepapier gegeben (hat wohl Tradition in der FDP😉) -, als einige wenige Linksliberale die Liberalen Demokraten gründeten, denen in der Folge allerdings nie mehr als ein Schattendasein als Kleinstpartei vergönnt war.



      Die prominenteren Sozialliberalen zogen es vor, zur SPD zu wechseln (Verheugen, Matthäus-Maier) oder aber in der FDP zu verbleiben (Hamm-Brücher, Baum, Hirsch).



      Alles durch die Bank anständige Liberale, weshalb ich persönlich es stark bedauere, dass der Linksliberalismus hierzulande politisch nie so recht einen Fuß in die Tür bekam.



      Leute wie Vogel und Kuhle haben heutzutage nicht das Format, diesbezüglich aus der Deckung zu kommen. Die Letzte, die aus meiner Sicht noch ein gewisses liberales Standing hatte, war Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

  • Nach Wahl-O-Mat, Real-O-Mat:



    Manch Wähl_er Unklarheit noch hat,



    Vielleicht Wahl wird noch zum Spagat,



    Weil "Wähl_er" richtet an Salat!



    Eine interessante Aufstellung zu Kleinparteien:



    "Das sind schon welche, diese Wähler! Aber bitte, nicht weitersagen. Würden Politiker nahelegen, dass die von den Wählern gegebenen Regeln nicht ganz widerspruchsfrei sind und man so nicht vernünftig arbeiten kann, dann wäre das ja Wählerbeschimpfung, also eigentlich eine Vorform der Tyrannei. Das müssten die Wähler bestrafen.



    (...)



    Die Wähler sagen, sie hätten in diesem Land nichts zu melden, und wer nichts zu melden hat, der trägt keine Verantwortung. Deshalb wählen sie nach ihrer Präferenz, ganz gleich, wer daran zugrunde geht.

    Wie sollte es anders sein? Sie könnten zum Beispiel aufhören, lauter Kleinparteien ins Parlament zu schicken und denen beim Koalitionsstreit zuzuschauen. Sie könnten es machen wie früher, als es Volksparteien gab, die weite Teile der Gesellschaft schon befriedet hatten, bevor die Sondierungsverhandlung stattfand. Aber bitte. Jetzt nicht böse werden."



    Justus Bender



    zeitung.faz.net



    In d. Kommentar:



    "Die Wähler sind an allem schuld"



    Man kann d. Inhalten hier schon gut folgen!

  • Mal ehrlich: wer möchte sich nach der Schmierenkomödie, die die FDP, insbesondere der Herr Finanzminister Lindner, abgeliefert hat, noch mit eben diesem identifizieren?



    Die unglaubwürdigsten Personen in politischen Spitzenämtern: 1.1 Merz, 1.2 Lindner.



    AfDler zählen für mich nicht als bewertenswerte Politiker.

  • Liberalismus ist nicht Libertärismus, aber dorthin will Lindner die FDP führen und das wird ihr Untergang. Deutschland ist nicht Argentinien und auch nicht die USA, mit Trump und Musk.

    • @shitstormcowboy:

      Naja, so ein bisschen Kettensägenschwingen durch den Herrn Lindner wär schon nett. Spannend. Denn wir wissen ja: der Mann ist nicht wirklich geübt im Umgang mit solch gefährlichen Werkzeugen. Milei ist es jedenfalls bisher gelungen größere Verletzungen zu vermeiden.



      So optimistisch wäre ich bei Lindner nicht....

  • Kubicki, der sich ja für eine Art Superman hält, gibt jedem Blättchen Interviews und schwurbelt vor sich hin. Das mit dem Zimmer-räumen scheint er aber begriffen zu haben.

  • "Besser nicht regieren als schlecht regieren"



    Die FDP hat schlecht regiert, nun zahlt sie zu Recht ihren Preis.



    Allerdings haben SPD und Grüne auch schlecht regiert, wie man am Erfolg der CDU und den -10% der SPD sehen kann.

    • @Hans Dampf:

      Ja, auch GRÜNE und SPD waren nicht unbeteiligt an dem Desaster, doch sie wurden an einer Ausführung ihrer Pläne stark behindert und gar verraten - von der FDP. Diese "Partei" (besser: Lobbyverband) hat jeden ! Fortschritt in Richtung Soziales oder gar Klima auf höchst unredliche Weise torpediert, verraten. Das übelste Beispiel ist das Heizungsgesetz.

    • @Hans Dampf:

      Sie könnten sich auch hier die Mühe machen, die kausalen Zusammenhänge zu erläutern.

      • @LeKikerikrit:

        Nö, muss er nicht - das hier ist eine Meinungsseite.😉

        • @Abdurchdiemitte:

          Danke, so ist es.

  • "Der CDU-Chef gönnt der FDP nicht einmal das schlechteste Umfrageergebnis: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union“, sagte Merz zuletzt den Funke-Medien."



    Das zeigt seine wahre Haltung, als mögl. Koalitions-Chef-Chef ist er eher ein absolutes Risiko für Juniorpartner, in die Ecke gerückt zu werden.

  • Na, ja - Merz wollte wohl Wirtschaftskompetenz beweisen, indem er Lindner nach der Posse bei Scholz, die jedem Arbeitnehmer in Deutschland die fristlose Entlassung beschert haben würde, als quasi Unterstellten ablehne. Zumindest wäre es glaubhaft, sollte Merz damals "not amused" gewesen zu sein.

    Lindner scheint aber auch seine arithmetischen Kompetenzen sehr weit zu überschätzen, wenn er erklärt, daß seine eventuell reichlichen 5 v. H. der Union mit ihren 30 v. H. zu einer parlamentarischen Mehrheit verhelfen müßten. Es kann aber auch sein, daß er Merz damit auf die Schippe nehmen wollte, daß der in den Umfragen um ein Drittel unter dem früher üblichen Niveau der Union bleibe. Man weiß es nicht.

    In jedem Fall täte Kubicki gut daran, jetzt schon mal, wie angekündigt, sein Dienstzimmer aufzuräumen. Wer weiß, wie es da aussieht ...

  • "Die Union steht, ..., selbst mit dem Rücken zur Wand."



    Ist das so?



    Seit über einem Jahr konstant stärkste Partei und immer um die 30% +/-, das würde ich jetzt nicht "Rücken zur Wand" nennen.

    • @Desdur Nahe:

      30% sind in der Situation, mit dieser sehr unbeliebten Regierung ein sehr schlechtes Erhebnis, das nur mit der Person Merz erklärbar ist.

      Könnte übrigens auch sein, dass er noch weit darunter landet. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben ;-)

    • @Desdur Nahe:

      Die Union - eine Rückwärts gewande Organisation der Verzweifelten 🙈🙉🙊

      • @Alex_der_Wunderer:

        Verzweifelt treten die aber ganz und gar nicht auf - eher feist, selbstbewusst, unbeirrbar und unbelehrbar. Konservative halt.

  • Johannes Vogel (FDP) gehört zum sozialliberalen Lager der Partei? Soll das ein Witz sein? Wo war der Vogel denn jemals sozial in all den vergangenen Jahren?

    • @Ricky-13:

      Sozialer Restflügel der FDP heißt heute eben nicht, was wir landläufig als "sozial" bezeichnen :-)