Chinas Staatschef zu Besuch in Tibet: Xis heikle Charmeoffensive
Chinas Führung zeichnet von Tibet ein Bild der wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei herrscht Peking in der Unruheregion mit eiserner Hand.
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Historisch ist die Visite in die Unruheregion allemal: Seit 1990 ist kein chinesischer Staatschef mehr nach Tibet gereist. Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Vor 70 Jahren hat die chinesische Volksbefreiungsarmee Tibet „friedlich befreit“, wie es in der offiziellen Geschichtsschreibung des Landes heißt.
Damals unterschrieb der junge Dalai Lama das sogenannte 17-Punkte-Abkommen, in dem China die Souveränität der Region im Austausch für Autonomie zugesichert wurde. Doch genau wie der Übergabevertrag der einst britischen Kronkolonie Hongkongs hatte Chinas Staatsführung auch das Autonomieversprechen an Tibet schon bald gebrochen.
1959 schlug die Armee den ersten Volksaufstand blutig nieder und verschärfte seither seine Präsenz. Immer wieder machen Mönche mit Selbstverbrennungen auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam, Exilorganisationen prangern Verhaftungswellen an. Bis heute ist die Region für ausländische Journalisten nicht zugänglich.
Zhang Yun, einer der führenden Tibetologen Chinas
Das ist die eine Seite der Medaille. Zhang Yun, einer der führenden Tibetologen Chinas, hält die letzten Jahrzehnte in Tibet dagegen für ein erfolgreiches Beispiel wirtschaftlicher Entwicklung: Die Partei führte erstmals ein flächendeckendes Gesundheitssystem ein, Schulen, moderne Infrastruktur und Behausungen. Die ökonomischen Errungenschaften haben auch die Staatsmedien beim jetzigen Besuch Xi Jinpings propagiert, allen voran die erste Schnellbahnstrecke in die Provinzhauptstadt Lhasa.
Die Schattenseiten werden im offiziellen Narrativ verschwiegen. So wurde wenig Rücksicht auf kulturelle Befindlichkeiten und Bedürfnisse des Individuums genommen. Ganze Bergdörfer wurden in tiefer gelegene Städte umgesiedelt, auch gegen Widerstand. „Wir wollen nur, dass sie neue Möglichkeiten bekommen, reich zu werden“, sagt Zhang – und wiederholt mantraartig: Reich werden, darum ginge es den Leuten.
Überall prangt in Tibet das Konterfei Xi Jinpings
Daran zeigt sich die marxistische Weltsicht der chinesischen Staatsführung, auch wenn ihr staatlich gelenkter Kapitalismus mittlerweile nur mehr wenig mit dem Kommunismus des ideologischen Gründervaters zu tun hat. Doch sie sieht den Menschen vornehmlich durch seine ökonomischen Verhältnisse determiniert, während die ethnische und kulturelle Identität geradezu negiert wird. Die Leute sollen wohlhabend werden – und wenn die Religion dabei hinderlich ist, wird sie für rückständig erklärt und mit Repressalien belegt.
Die Ziele der Unterdrückungsmaßnahmen: absolute Loyalität zur Volksrepublik unter der KP herzustellen und die Kultur und Religion weitestgehend chinesisch zu formen. Sprich: Der tibetische Buddhismus wird auf dem Papier geduldet, doch ist wenig mehr als eine folkloristische Fassade.
Zhang sagt in seiner euphemistischen Sprache: „Es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen. Der Buddhismus wurde lokal integriert und an das System angepasst: China ist ein sozialistisches System. Manche Aspekte des Buddhismus passen nicht in das sozialistische System.“
Wie dies ausschaut, zeigte sich bei einer jüngst von der Regierung organisierten Pressereise. Überall prangt in Tibet nun das Konterfei Xi Jinpings auf Plakaten und Propagandabannern: in den Klassenzimmern, über religiösen Stätten und selbst im Schlafzimmer eines tibetischen Mönchs. Gegenüber einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters sagte damals ein Mönch: „Xi Jinping ist mein spiritueller Führer.“
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