piwik no script img

China und seine Narrative zu CoronaDie Mär von der Nullinfektion

Die Regierung in Peking hat den Anschein erweckt, das Land sei bald frei vom Coronavirus. Doch neue Indizien wecken Zweifel an den Statistiken.

Leben in Corona-Zeiten: ein Vater mit dem selbst gefertigten Schutz für sein Baby in Schanghai Foto: Xihao Jiang/reuters

PEKING taz | Am Montag warnte Chinas Premier Li Keqiang seine Parteikader eindrücklich: Sie sollen keine Fälle vertuschen, nur um die Ansteckungen bei null zu halten. Doch genau dies könnte sich derzeit zutragen: Nachdem Präsident Xi Jinping den Sieg über das Virus ausgerufen und eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum angeordnet hat, stehen die unteren Ebenen massiv unter Druck.

Mehrere Tage lang hat die Nationale Gesundheitskommission keine einzige Neuinfektionen vermeldet, sondern nur einige wenige aus dem Ausland „importierte Fälle“. Doch die werden bei Einreise ohnehin sofort in 14-tägige Quarantäne gesteckt. So entstand der Eindruck, China sei kurz davor, virusfrei zu werden.

Am Sonntag berichtete das relativ kritische chinesische Magazin Caixin, in Wuhan würden weiterhin täglich mehrere asymptomatische Fälle auftauchen: Personen, die zwar positiv auf Covid-19 getestet werden, aber keine Symptome aufweisen. Doch diese werden nicht in Chinas Statistik aufgenommen. Laut Caixin sei aber ein neuer Patient vom Dienstag ein Arzt, der von einem „asymptomatischen Fall“ angesteckt wurde.

„Es macht absolut keinen Sinn für mich, dass eine Person zwar positiv ist, aber nicht gezählt wird, solange sie nicht krank ist“, zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg den Virologen Nigel McMillan von der US-amerikanischen Griffith-Universität. Wissenschaftlich deute alles darauf, dass auch asymptomatische Fälle das Virus weitergeben können.

Positiv Getestete ohne Symptome ansteckend oder nicht?

Die meisten Länder, darunter Südkorea, Japan und Deutschland, zählen alle positiv getesteten Personen in der Statistik. Länder mit unzureichenden Testkapazitäten erfassen meist nur die wirklich schwer Infizierten. Welche Rolle Angesteckte ohne jede Symptome bei der Verbreitung spielen, ist noch weitgehend unerforscht.

Die Hongkonger South China Morning Post berichtete, dass in China ein Drittel aller positiv getesteten Personen entweder keine oder nur stark verzögerte Symptome aufweisen. 43.000 von ihnen sollen bis Ende Februar in Quarantäne gesteckt worden sein.

Diese Information beruht auf gesperrten Regierungsdokumenten und wäre ohne mutige Whistleblower nicht bekannt geworden. In einer Pressekonferenz versuchten Mitarbeiter des Zentrums für Seuchenbekämpfung die Öffentlichkeit zu beruhigen: „Asymptotische Personen werden in China die Infektionen nicht weiterverbreiten“, sagte Wu Zuyou. Diese Personen seien schließlich alle aufgespürt und unter Quarantäne.

Experten bezweifeln aber, dass es der Regierung gelungen ist, sämtliche Fälle ausfindig zu machen. Fest steht: Bis Ende Februar hat China 43.000 positiv getestete Patienten ohne Symptome in Quarantäne gesteckt.

Die drei Phasen der chinesischen Propaganda

Chinas propagandistische Strategie zum Virusausbruch lässt sich in drei Phasen unterteilen: Bis zur dritten Januarwoche, als die Regierung plötzlich die Stadt Wuhan abriegelte, diskreditierte sie alle Medienberichte über die Gefahren des Virus als „Gerüchte“. Dabei wusste Peking bis dato längst, dass jenes neuartige Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.

Den gesamten Februar ging Präsident Xi Jinping in Deckung: Er delegierte alle Verantwortung an lokale Kader aus Wuhan und Hubei.

Mitte Februar schließlich kehrte die Kommunistische Partei ihr Propagandanarrativ um: Sie veröffentlichte rückwirkend eine lange Rede Xis von Anfang Januar, die ihn nun als starken Führer und Krisenmanager der ersten Stunde inszenierte.

Zugleich flachte die Infektionskurve außerhalb der Quarantänegebiete ab, wenig später auch in Hubei und Wuhan.

„Ab Anfang März, als der Ausbruch in China unter Kontrolle gebracht wurde und sich stattdessen in anderen Ländern ausbreitete, wurde Chinas Position viel aggressiver“, sagt Yun Sun vom Washingtoner Stimson Center. Peking versuche demnach gezielt, die Überlegenheit des eigenen Systems durch den „Misserfolg“ der Bekämpfung des Virus in anderen Ländern unter Beweis zu stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Haben chinesische Medien oder führende Politiker die schweren Fehler zu Beginn der Corona-Epidemie geleugnet? Gibt es ernsthafte Mediziner in Ost und West, die China nit attestieren im Sinne der Menschen alles erdenklich Richtige gemacht zu haben? Haben die westlichen Staaten aus der sich anbahnenden Katastrophe für ihre Länder die notwendigen Schlüsse gezogen und Maßnahmen eingeleitet? Aber von Anfang an wurde die Epidemie mit einer Infodemie in westlichen Medien begleitet, die China mit schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen bis zu Vergleichen zu Orwells 1984 überzogen worden. Die Rache Chinas besteht in Hilfsmaßnahmen für 82 Staaten, europäische inklusive, da die Solidarität der EU bestenfalls in Reden vorkommt. Ist da ein Systemvergleich zwischen neo liberalem Kapitalismus und dem Sozialismus der chinesischen Art naheliegend. Tätige Solidarität versus Profitgier: profitorientierte Unternehmen wie adidas, H&M und Deichmann verweigern die Mietzahlungen aus nichtigen Gründen; sogar Kliniken fordern Schadensersatz für entgangene Gewinne, da sie gezwungen werden das zu tun wofür sie da: Menschen in Not helfen.

  • Es ist absolut nicht glaubhaft, dass bei einem so massiven Ausbruch einer völlig neuen Krankheit die Zahlen mal so einfach und schnell gegen Null gehen, weil man ein bischen abriegelt.

    Das wird nach hinten losgehen, so wie ganz am Anfang.



    Der einzige Unterschied zu uns ist dass da wohl ein intensives Tracking statfindet und Kontakte gleich mitkassiert werden können...könnten.

    • @Mitch Miller:

      "bisschen abriegelt"' Schauen Sie sich mal diese Dokumentation bei Arte an ( www.arte.tv/de/vid...ch-in-quarantaene/ ) Das ist ein ganzes bisschen mehr.

      Die stagnierenden gleich bleibenden Zahlen in China finde ich aber auch damit nicht überzeugend.

  • Ja, ein bißchen skeptisch ist man schon, wenn ein Ausbruch in einer 58 Mio. Provinz nach 80.000 Infizierten als gestoppt gilt. Auf jeden Fall scheint man die Überlastung des Gesundheitssystems gebremst zu haben, denn Hunderte oder Tausende von Toten würden sich nicht mehr so einfach verschweigen lassen.



    Aus diesem Grund denke ich, daß wir von China und anderen asiatischen Ländern lernen sollten (z.B. Gesichtsmasken, Desinfektionen im öffentlichen Raum).



    Ach ja, kleine Korinthenkackerei am Rande: "asmptotisch" und "asymptomatisch" ist nicht das Gleiche. .

    • @jhwh:

      Ihre Skepsis teile ich, aber das was Hilft sind wenig Kontakte, Abstand.



      Gesichtsmasken helfen nur wenn Sie alle tragen damit symptomatische und asymptomatische Infizierte weniger Tröpfchen abgeben. Den Träger schützen sie aufgrund der geringen Partikelgrösse nicht.



      Ich will nichts dazu sagen wie falsch und auch unhygienisch mit den Masken umgegangen wird. Ob eine Desinfektion im öffentlichen Raum wie immer die auch funktionieren soll was bringt da hab ich meine Zweifel.

      • @Opossum:

        Eine Gesichtsmaske hilft schon bei einem Infizierten, seine Tröpfchen nicht in die Welt zu sprühen.

      • @Opossum:

        Selbstverständlich sollten alle in der Öffentlichkeit Masken tragen, schon weil nicht jeder Infizierte zu erkennen ist. Nur stehen dafür ganz einfach bei weitem nicht genügend Masken zur Verfügung. Die Argumente, mit denen das überspielt wird, klingen ungefähr so, als ob auf der Titanic durchgegeben würde, daß Schwimmwesten sinnlos sind. Es geht nie um Komplettschutz sondern immer nur um die Senkung der Infektionswahrscheinlichkeit. Aus SARS-Zeiten gibt bspw. klare Erkenntnisse , daß das med. Personal selbst mit Papiermasken doppelt so gut gegen das Virus geschützt war als ohne. Und warum glauben Sie werden stark Immungeschwächte nur mit Masken in die Öffentlichkeit gelassen ?

        • @jhwh:

          Ich denke auch, dass die Mär von der Wirkungslosigkeit von Masken einfach Folge der Tatsache ist, dass in Deutschland viel zu wenig Masken vorhanden sind.



          Außerdem gibt es neben den normalen OP Masken auch Schutzmasken, die den Träger schützen, z.B. FFP 2 oder 3. Natürlich fehlen auch die.

          • @Rolf B.:

            Mundschutz ungleich Maske. Mundschutz kann jeder. Einen Schal hat jeder oder kann gekauft werden.Und wer ne Nähmaschine hat, beglückt an einem WE 20 Leute mit der +++ Version.

          • @Rolf B.:

            .... auch die taz scheint das ja langsam einzusehen: taz.de/Baumwollmas...hen-Sinn/!5670920/



            Ich hatte mich schon bei einem anderen Artikel über Ihr hartnäckiges Plädoyer für den Gesichtsschutz gefreut. Allerdings nerven mich die vielen Schlaumeier momentan so, daß ich fast denke, man sollte sich Darwins Gesetzen nicht unbedingt in den Weg stellen ;)