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China, der Westen und die GefahrFakes mit Drachen

Selbst in der chinesischen Mystik gilt das Fabelwesen nicht als friedlich. Doch das stört Propagandisten nicht.

Selfies im Jahr des Drachen in Peking im Februar Foto: Andy Wong/ap

W as haben Mystik und Fake News gemeinsam? Eine ganze Menge. Beide basieren nicht oder nur in Teilen auf Tatsachen. Beide lassen sich rational nicht erklären. Beide bedienen sich der menschlichen Psyche, auch um harmlos zu erscheinen. „Der Fantasie sind nun mal keine Grenzen gesetzt“, mag man zur Verteidigung der Phänomene sagen. Last but not least: Beide lassen sich unendlich weiterstricken, bis in die Groteske oder bis in die Verschwörungserzählung.

Zunächst gilt: Der Drache ist ein Fabeltier – in China genauso wie im Westen. Er existiert allein in der menschlichen Fantasie und ist von dort in Kunst und Kitsch eingefallen. In der chinesischen Mystik hatte es ihn bereits gegeben, nicht aber in den Horoskopen. Diese kamen überhaupt erst mit dem Buddhismus von Indien nach China, wo sie dann um die Figur des Drachen ergänzt wurden.

2024 ist das Jahr des Drachen. Darüber hinaus ist jedes Jahr einem der fünf Elemente – Erde, Metall, Wasser, Feuer und Holz – zugeordnet. Und die Mystik besagt: In einem Feuerjahr ist der Drache gefährlich, in einem Holzjahr (wie dem aktuellen) deutlich weniger. Ob man das glauben mag oder nicht, sei jedem und jeder selbst überlassen. Ist auch egal, was soll’s!

Weit weniger harmlos ist, wenn sich Mystik ihren Weg in die Politik bahnt, besonders in populistische. Zu Beginn des Jahres produzierte und präsentierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua auf ihrer Homepage einen Zeichentrickfilm mit dem Titel „Dialog der Drachen“. Darin belehrte ein chinesischer Drache – natürlich ein „Guter“ – einen westlichen – natürlich ein „Böser“. Der chinesische wird darin dargestellt als Symbol des Glücks, Selbstvertrauens und Friedens. Derweil verbreitete das westliche Monster bloß Unfrieden, Zerstörung und Tod.

Guter Drache, böser Drache

„Du kannst aber auch so werden wie ich“, nickt die niedliche Cartoon-Figur am Ende ihrem westlichen Kumpel ermutigend zu: „Wenn du nur aufhörst, Feuer zu speien und alle in Angst und Schrecken zu versetzen.“ Der Lehrsatz von politischen Fabeln wie dieser lautet: „China als politische Macht ist gut, der Westen ist böse.“ Doch diese Fabel arbeitet mit Fake News: Denn in der chinesischen Mystik gilt der Drache gar nicht als friedliebend. Auch er speit oft Feuer, löst Hochwasser aus und frisst vor Tollwut Menschen auf.

Zahlreiche Geschichten wurden in der fantastischen Literatur erfunden, in denen es darum geht, ihn zu zähmen. Die bekannteste kennen wir aus dem Roman „Die Pilgerfahrt nach Westen“ von Wu Cheng En. Darin hält ein Affenkönig mit Hilfe buddhistischer Übermacht einen dämonischen Drachen davon ab, gutherzige Pilger in Stücke zu reißen. Am Ende wird der gezähmte Drache in ein kräftiges Pferd verwandelt. Das trägt den Pilger ins Ziel, allen Strapazen trotzend.

Was ein chinesischer Drache, wenn er einmal wütend wird, tun kann, hat zu Beginn des Jahres auch ein Blogartikel belegt, der genau derselben Logik folgt: Nach einem Börsencrash, der nicht nur in China Anleger beunruhigte, sondern Anleger aus aller Welt zur Kapitalflucht aus China trieb, beschönigte ein mutmaßlich vom Regime beauftragter Blogger die Katastrophe sinngemäß so: Dieser Börsencrash tut uns zwar weh, aber er ruiniert auch den amerikanischen Imperialismus, weil so viele von diesen Gierigen bei uns investiert haben. Wie heißt es so schön? In einer grausamen Schlacht scheut ein tapferer Kämpfer nicht einmal davor zurück, sich selbst einen Arm abzuhacken, wenn das den Sieg bringt.

Und siehe da, hier haben wir wieder beides: Mystik und Fake News. Zusammen können sie Wunder bewirken.

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