Eine Kulturgeschichte des Drachens: Beschützer und Bestie

In China beginnt an diesem Wochenende das Jahr des Drachens. Über einen mythologischen Allrounder.

Chinesischer Drachen schwebt über einer Straße

Die (süd)ostasiatischen Drachen sind häufig Glücksbringer und Beschützer Foto: The Trio Studio/imago

Auf den ersten Blick ist der Drache so was wie der Royal unter den zwölf Tierkreiszeichen. Bisschen besser als das gemeine Volk, bisschen überinszeniert, bisschen aus der Zeit gefallen. Und unverhältnismäßig stark verehrt für die Tatsache, dass er selbst nicht wirklich was für seinen Status leistet.

Weltweit hat es der Drache längst auf bedruckte T-Shirts, tätowierte Oberarme und einfallslose Titelseiten von Nachrichtenmagazinen geschafft – und in China gehen Anbetung und Aberglaube sogar so weit, dass in Jahren, die im Zeichen des Drachen stehen, regelmäßig ein Babyboom verzeichnet wird. Wer will schon Schaf oder Ratte zum Kind, wenn es auch das kaiserliche Wappentier sein kann?

Der Drache ist ein mythologischer Allrounder. Er taucht in zahlreichen Sagen, religiösen Schriften und popkulturellen Verarbeitungen auf, mit teils wesentlichen regionalen Unterschieden. Unter mittelalterlichen Umständen wird er zum grausigen Antagonisten eines menschlichen Helden, den es auf dem Weg zur Jungfrauenrettung zu töten gilt (Kategorie Mann mit Selbstwertproblem befreit ungefragt potenziell Minderjährige und erwartet dafür Sex und Ehe). In Fantasy-Geschichten ist er ein unberechenbarer, versehentlich aufgeweckter Risikofaktor (Kategorie Hobbit verärgert Schatzmeister und löst Inferno aus).

Und für Kinder stellt man gern ein grünes Ungeheuer auf die kurzen Hinterbeine und macht es dadurch nahbar, weil menschlich (Kategorie Tabaluga), oder gleicht sein Erscheinungsbild einem Pudelmischling an (Kategorie Fuchur).

Selbst ist der Drache – und der Mensch auch

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Bei den alten Griechen wiederum ist die Rede von mehrköpfigen, schlangenartigen Bestien, im Christentum gibt es eine Verbindung zwischen Drachen und dem Teufel, und in der hebräischen Bibel ist der Leviathan, ein drachenähnliches Mischwesen, Gottes Endgegner im Kampf um die Welt. Also alles in allem eher ein bedrohlicher Genosse.

Die (süd)ostasiatischen Drachen hingegen sind häufig Glücksbringer und Beschützer. Zwar sind sie nicht durchweg gut, aber sie speien kein Feuer oder kidnappen Prinzessinnen, sondern sind Geschöpfe des Wassers, die Regen und Fruchtbarkeit bringen. Eine chinesische Legende besagt, dass es vier Meeresdrachen waren, die sich in die vier großen Flüsse des Landes verwandelten, um die Menschen von der Dürre zu befreien. Und in Indonesien beschützt eine weibliche Drachin während der Ernte die Felder vor Mäusen.

Was all die Ambivalenz für das Jahr des Drachen bedeutet, das an diesem Samstag beginnt?

Das Schönste an Mythen ist ja, dass man sich aussuchen kann, welche einem am besten gefällt. Warum also nicht auf ein gutes Drachenjahr hoffen, in dem Schutz erhält, wer ihn benötigt (Geflüchtete, Klima, Demokratie), und sich fürchten muss, wer es verdient (Faschos, Superreiche)? Und es muss ja nicht beim Hoffen bleiben. Selbst ist der Drache – und der Mensch schließlich auch.

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