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Chaos in GuineaBefreiungsaktion für Ex-Diktator

In Guinea konnte Ex-Diktator Moussa Dadis Camara kurzzeitig aus dem Gefängnis ausbrechen. Sein Ex-Gardechef Claude Pivi ist weiterhin flüchtig.

Soldaten bewachen das Schlafzimmer des damaligen Machthabers Dadis Camara, Conakry 2009 Foto: Jerome Delay/ap

Conakry/Berlin taz | Straßensperren sind an den Hauptverkehrswegen eingerichtet, höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten in Guineas Hauptstadt Conakry, an Verkehrsknotenpunkten und Grenzposten. Die Militärregierung von Präsident Mamady Doumbouya ist in höchster Alarmstimmung, seit in der Nacht zu Samstag ein schwerbewaffnetes Kommando das Zentralgefängnis in Conakry stürmte und den ehemaligen Militärdiktator Moussa Dadis Camara und drei andere Altmilitärs aus der Zeit der Dadis-Regierung 2008 bis 2010 befreite. Dadis sowie seine ehemaligen Juntakollegen Moussa Tiegboro und Blaise Goumou wurden noch am gleichen Tag wieder gefasst. Aber ein Vierter, der einstige Präsidialgardechef Claude Pivi, befand sich am Montag weiter auf der Flucht.

Pivi galt während der Diktatur von Dadis, der 2008 dem verstorbenen Langzeitherrscher Lansana Conté gefolgt war, als brutalster General Guineas und als eigentlicher starker Mann des Landes. Alle vier sind heute Hauptangeklagte eines der spektakulärsten Menschenrechtsprozesse, die derzeit in Afrika laufen: der Prozess gegen die mutmaßlichen Befehlsgeber eines Massakers an friedlichen Demonstranten bei einer Kundgebung gegen die Militärherrschaft in Conakry am 28. September 2009, bei dem mindestens 156 Menschen getötet wurden.

Das Massaker beschleunigte das Ende der Militärherrschaft; 2010 wurde bei freien Wahlen der zivile Oppositionelle Alpha Condé zum Präsidenten gewählt. Er wurde 2021 wieder weggeputscht. Der seitherige Militärherrscher Doumbouya hat aber nicht die früheren Generäle rehabilitiert, sondern sie verhaftet und vor Gericht gestellt.

Mitten in diesen Prozess platzte nun die spektakuläre Befreiungsaktion. Bewohner Conakrys glaubten zunächst an einen erneuten Militärputsch, als am Samstag im Morgengrauen Schüsse von schweren Waffen das Regierungsviertel Kaloum von Conakry erschütterten. Kaloum ist eine langgestreckte Halbinsel und das Zentralgefängnis befindet sich an der Spitze dieser Halbinsel, ist also am schwersten erreichbar. Dies nährt Mutmaßungen über eine Insider-Aktion. Erst 2022 war das Zentralgefängnis mit einer umfassenden Videoüberwachung mit 60 Kameras ausgestattet worden, um den grassierenden Schmuggel von Drogen in die Haftanstalt und Häftlingen aus ihr heraus zu unterbinden.

Jemanden auf einem Motorrad zu entführen ist schwierig

Am Montag haben Guineas Behörden 58 Offiziere, Soldaten und Gefängniswärter entlassen, was auf eine größere Verschwörung hindeutet. Dadis Camara selbst hat seine Befreiung als Entführung bezeichnet, sein Anwalt Jocamey Haba sagte im Rundfunk, offensichtlich sei sein Mandant nicht einmal im Zentralgefängnis sicher und der Staat habe versagt.

Die Regierung weist die Darstellung einer „Entführung“ zurück. Regierungssprecher Ousmane Gaoual Diallo sagte am Sonntagabend, die drei Gefassten seien auf Motorrädern aufgegriffen worden, in jeweils 17 und 26 Kilometern Entfernung vom Gefängnis. „Kann man jemanden auf einem Motorrad entführen? Das ist schwierig, wenn er es nicht auch will.“

Er machte Oberst Pivis Sohn Verni Pivi, ebenfalls Präsidialgardist, für die Aktion verantwortlich, bei der es nach amtlichen Angaben neun Tote gab: drei Angreifer, vier loyale Militärangehörige sowie zwei Zivilisten in einem Krankenwagen, der beschossen wurde: ein sechs Jahre altes Mädchen auf dem Weg ins Krankenhaus und ihr Arzt.

Am Montag lief die Suche nach dem flüchtigen Oberst Pivi weiter auf Hochtouren. Guineas Grenze nach Mali, wo eine befreundete Militärregierung regiert, wurde wieder geöffnet.

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