piwik no script img

Chaos am Wahlsonntag in BerlinDebakel für die Wahlleitung

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Mal fehlten Stimmzettel, die Schlangen vor vielen Wahllokalen waren extrem lang: Der Wahlsonntag verlief chaotisch. Das sollte ein Nachspiel haben.

Ganz schön umständlich verlief der Wahlsonntag vielerorts in Berlin Foto: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

D as größte Wahldebakel erlebte am Super-Wahlsonntag in Berlin nicht etwa eine bestimmte Partei – sondern die Landeswahlleitung. Als um kurz vor 20 Uhr am Sonntagabend die erste Hochrechnung für die Berliner Abgeordnetenhauswahl über die Bildschirme lief, standen ReporterInnen zufolge Menschen noch immer an den Wahllokalen an. Wer sich bis 18 Uhr in die Schlange eingereiht hatte, durfte nämlich noch wählen.

Vorausgesetzt, es gab in den Wahllokalen genügend Wahlzettel: Die wurden mitunter knapp und konnten dann auch vielerorts nicht so schnell nachgeordert werden. Eine Wahlleiterin in Pankow berichtete – da war es bereits weit nach 18 Uhr – die Wartezeit betrage noch ungefähr eine Stunde. Die Zettel für die Bundestagswahl seien bereits am Nachmittag aus gewesen. Die Leute seien wütend.

Auch in der taz-Redaktion riefen am Nachmittag immer wieder empörte LeserInnen an, die über lange Wartezeiten oder fehlende Stimmzettel klagten. KollegInnen berichteten ähnliches: Mal 40 Minuten Wartezeit, mal länger.

Natürlich kann man nun sagen: Sechs Kreuze in der Wahlkabine zu verteilen, das dauert eben. Manch ei­ne*r war vielleicht noch unentschlossen, gerade angesichts der Vielzahl der Wahlzettel, durch die man sich arbeiten musste. Zahlreiche Wahl­hel­fe­r*in­nen sprangen offenbar kurz vor knapp ab. Und dann war ja auch noch Marathon in der Stadt. Gut möglich, dass da ein paar Laster mit dem Wahlzettel-Nachschub im Stau standen.

Der Montag dürfte interessant werden

Und dennoch: Dass der Marathon durch die Stadt laufen würde, war lange klar. Offenbar hat man sich aber zugetraut, beides parallel organisieren zu können. Falls der Marathon überhaupt eine Rolle spielte: Die Pressekonferenz, die die Landeswahlleitung im Nachgang zur Wahl am Montag für 11 Uhr angesetzt hat, dürfte interessant werden.

Diese Wahl wird vermutlich noch ein Nachspiel haben, so viel ist klar. Und das sollte auch so sein: Denn hinter diesen semi-witzigen BER-Vergleichen a la „In Berlin dauert eben alles etwas länger“ steckt ja durchaus ein gewisser Ernst. Man kann es sympathisch finden, wenn Berlin sich so durch den Wahlabend wurstelt, klar. Aber wenn Menschen angesichts stundenlangen Wartezeiten eventuell von ihrer Stimme nicht Gebrauch gemacht haben, oder wenn Wahlunterlagen unvollständig sind, dann ist das kein guter Tag für die Demokratie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Offenbar hatte ich Glück. Die Wählerei hat nicht länger gedauert als sonst. Ein bisschen Anstehen draußen vor der Turnhalle, dafür ging's drin dann um so schneller. Alles in allem 15, maximal 20 Minuten. Kein Wunder im disziplinierten Kreuzberg, wo fast alle Straßen nach preußischen Generälen benannt sind!

    Ich wundere mich aber, daß überhaupt während die Wahl schon läuft noch Stimmzettel durch die Gegend transportiert werden müssen. Es ist doch vorher bekannt, wie viele Wahlberechtige es jeweils gibt. Und wenn wirklich welche nachgeliefert werden müssen, warum dann nicht mit dem Lastenrad? Das darf sogar den BWM-Marathon queren.

  • Das Schlimme ist, dass man weiß, dass es wieder mal überhaupt keine Konsequenzen geben wird. In einer Stadt, in der man es für völlig normal hält, dass jede Fassade und mittlerweile sogar Fensterscheiben mit Tags beschmiert werden, übernimmt erst recht niemand die Verantwortung für massives Versagen der Verwaltung.

  • Verstehe das Gejammer nicht - in Berlin funktioniert seit Jahren bekanntermaßen nicht viel. Das ist eben die Folge wenn man in der Politik Ideologie vor Faktenlage stellt. Früher hieß es "arm aber sexy", nach so langer Zeit ist es jetzt eben nur noch arm.

  • Failed State Berlin

    • @Uranus:

      Eindeutig richtig.

      Gucken Sie sich die Regierungsparteien an, und dann freuen wir uns, dass diese Konstellation so auf Bundesebene wenigstens nicht auch noch möglich ist.

      • @rero:

        Falls Sie es sich nicht schon dachten - mit meinem Kommentar zielte ich nicht auf Koalitionen/Senat ab sondern auf den Umstand, dass Prognosen bereits veröffentlicht wurden, bevor alle gewählt hatten.

        • @Uranus:

          Das Eine beruht auf dem Anderen.

          Zu einem Failed State gehört immer auch eine unfähige Regierung.

    • @Uranus:

      Siehe auch:



      "Berlin-Wahlen 2021. Berliner wählten auch noch nach 20 Uhr "



      www.rbb24.de/polit...arteschlangen.html



      Wählen bis nach 20 Uhr, aber es wurden ab 18 Uhr bereits Wahlprognosen veröffentlicht, jay Musterdemokratie! Zusätzlich zu den Wahlumfragen konnten sich also diejenigen, die aufgrund Verzögerungen spät wählen mussten, durch die Prognosen beeinflussen lassen.

      • @Uranus:

        Ob man künftig internationale Wahlbeobachter nach Berlin schicken wird? Konsequent wäre es zumindest

  • Ist das eine weitere Folge der unsäglichen "freiheitlichen Coronapolitik"? In der Impf-Warteschlange konnte sich im Mai/Juni vordrängeln, wer sich als Wahlhelfer registrieren ließ. Und sich nun zum Wahltag krankmeldete.