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Cannabis-AnbauSöders Kampf gegen das Gesetz

Wo die CSU regiert, da wächst kein Gras mehr. So hätte es Markus Söder gern. Dumm nur, dass es immer noch das Cannabis-Gesetz gibt – sogar in Bayern.

Saufen sich high: Markus Söder bei Weissbier und Weißwurst, Neuburg an der Donau Foto: Peter Kneffel

Raubling taz | Ein bisschen erinnert Florian Degenhart ja an einen Veganer, der eine Metzgerei aufmachen will. Der 41-Jährige, schwarzer Vollbart, blaues Käppi, sitzt in einem Raublinger Café, zündet sich eine Zigarette an und erzählt von seinen Plänen. Degenhart raucht viel – Tabak wohlgemerkt. In seinem Fall muss man das dazusagen, denn der Mann ist Gründer und Vorsitzender des CSC Inntal, eines der ersten drei Cannabis-Social-Clubs (CSC), die gerade in Bayern eine Anbaugenehmigung erhalten haben. Und er kifft tatsächlich nicht.

Okay, früher als Jugendlicher, da habe er schon gekifft, erzählt er. Aber mit 18 habe er damit aufgehört. Er wollte seinen Führerschein nicht gefährden. Die erste Frage also liegt auf der Hand: Warum? Warum bitte will jemand, der selbst kein Cannabis braucht, einen Cannabis-Club aufmachen, einen Verein, der de facto nur ein Vereinsziel hat: Cannabis für seine Mitglieder anzubauen.

„Der Grund, warum ich das mache, ist ganz einfach“, sagt Florian Degenhart: „Konsumentenschutz.“ Es gebe eine Studie, wonach 80 Prozent des auf dem Schwarzmarkt gekauften Cannabis stark verunreinigt sei. Er möchte den Menschen die Möglichkeit geben, qualitativ hochwertiges Cannabis zu kaufen. Und das auf legalem Wege. Warum sei denn Cannabis als Einstiegsdroge verpönt, fragt Degenhart und liefert die Antwort gleich hinterher: „Doch nur aus einem einzigen Grund: Du musst dafür zum Dealer. Und der sagt dann halt: Schau mal, ich hätte da noch was anderes. Oder er schenkt dir was zum Probieren.“

Wer also Cannabis-Konsumenten den Weg zum Dealer erspart, ihnen legale Bezugsmöglichkeiten ermöglicht, so Degenharts Theorie, minimiert die Gefahr, dass sie zu illegalen Rauschmitteln wechseln. Die bayerische Staatsregierung sieht das anders.

500 Euro für Kiffen in der Fußgängerzone

Tatsächlich war der Widerstand gegen die Legalisierung von Cannabis in Bayern besonders stark. Als die Ampel das Konsumcannabisgesetz (KCanG) durch den Bundestag brachte, kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder umgehend an: „Wir vonseiten des Freistaats Bayern, wir werden uns an allem beteiligen, was dieses Gesetz außer Kraft oder verzögert oder später oder anders in Szene setzen lässt.“

So trat am 1. August 2024, nur vier Monate nach dem KCanG das Bayerische Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz in Kraft. Dies untersagte den Cannabiskonsum auf Volksfesten, in Biergärten und – besonders wichtig – auf dem Gelände des Landtags. Hier hatte zwar schon Landtagspräsidentin Ilse Aigner per Hausordnung das Kiffen verboten, aber doppelt hält besser. Zu tief saß schließlich der Schock, nachdem der Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl kurz nach der Legalisierung dort öffentlichkeitswirksam einen Joint geraucht hatte.

Auch in einigen staatlichen Parkanlagen wie dem Englischen Garten in München verbot der Freistaat umgehend das Kiffen. Und es verwundert wenig, dass just Bayern das erste Bundesland war, das bei der Fortschreibung des Bußgeldkatalogs voranschritt und Maßstäbe setzte: Wer bis zu fünf Gramm mehr als die erlaubten 25 Gramm bei sich trägt, muss mit 500 bis 1000 Euro Strafe rechnen. 500 Euro Strafe gibt es fürs Kiffen in Fußgängerzonen, 300 Euro für die Mitgliedschaft in zwei Anbauvereinigungen und bis zu 30.000 Euro für Werbung für Anbauvereine. „Bayern wird kein Kiffer-Paradies!“, jubelte Söder auf der Social-Media-Plattform X. „Wir greifen mit harten Bußgeldern konsequent durch. Bayern wird das Cannabis-Gesetz restriktiv anwenden.“

Ein Fort Knox für Raubling

Auch in Raubling wurden die Bemühungen von Degenhart und seinen Mitstreitern zumindest mit größtmöglicher Skepsis beobachtet. Raubling, eine oberbayerische, industriegeprägte Gemeinde mit gut 11.000 Einwohnern, liegt direkt am Inn, nur ein paar Kilometer südlich von Rosenheim. Die Gegend gilt selbst für bayerische Maßstäbe als sehr konservativ. Wo sonst das Vereinsleben hochgehalten wird, reagierte Bürgermeister Olaf Karlsperger (CSU) mit Kopfschütteln auf das Anbau-Ansinnen der Cannabisfreunde. „Ich weiß nicht, warum man sowas macht“, sagte er der örtlichen Presse lediglich.

Degenhart hätte sich eine öffentliche Debatte, Gesprächsformate gewünscht, um den Raublingern das Anliegen des CSC nahezubringen. Natürlich ohne gegen das Werbeverbot für Anbauvereine zu verstoßen. Werbung hat der CSC Inntal ohnehin nicht nötig. Kurz nach der Anbaugenehmigung lag die Mitgliederzahl bereits bei 440. Mehr als 500 Mitglieder darf ein Anbauverein laut Gesetz gar nicht aufnehmen.

Zum Treffen ist Degenhart in Handwerkerklamotten gekommen. Eigentlich arbeitet er in einer Behörde, gerade hat er sich aber freigenommen, um der bisherigen Mieterin, einer Wäscherei, beim Auszug aus der künftigen Vereinsimmobilie zu helfen. Und dann muss ja erst mal umgebaut werden. Allein die Sicherheitsvorkehrungen sind beträchtlich: Vergitterte Fenster, eine Zugangstür der Widerstandsklasse RC 3 und für das finale Produkt ein Safe der Sicherheitsstufe 3. „Das ist das, was Banken hernehmen.“ Degenhart spricht von „Fort Knox“.

Schafft man es doch nach drinnen, erwarten einen zwei Räume mit insgesamt 180 Quadratmetern. Um auf eine monatliche Produktion von zehn Kilogramm zu kommen, benötige man insgesamt 60 Quadratmeter Blühfläche, erklärt Degenhart. In sechs Zelten werde man das Cannabis anbauen. Um ein wirklich sehr gutes Produkt zu erhalten, müsse in jedem dieser Zelte ein fein abgestimmtes Mikroklima herrschen. Um das zu erreichen, werde der Verein eine 100.000-Euro-Anlage leasen.

Durchgezogen

Aber auch die Organisation eines Cannabis-Anbauvereins ist sehr strengen Auflagen unterworfen. So muss etwa sichergestellt werden, dass Mitglieder unter 21 Jahren statt 50 nur 30 Gramm Cannabis monatlich erhalten und dessen THC-Gehalt zehn Prozent nicht überschreitet. Der CSC Inntal umgeht das Problem, indem er überhaupt nur Mitglieder ab 21 Jahren aufnimmt.

Einen Suchtpräventionsbeauftragten braucht es ebenfalls. Und noch komplizierter wird es bei der „Mitwirkungspflicht“. Denn jedes Vereinsmitglied muss sechs Stunden im Jahr persönlich aktiv beim Anbau mitwirken. Bei 500 Mitgliedern durchaus eine logistische Herausforderung.

Auch für Degenhart war der Weg durch das Genehmigungsverfahren nicht leicht. Und ohne anwaltliche Hilfe, sagt er, wäre die Sache aussichtslos gewesen. In Bayern ist das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) für die Genehmigungen zuständig. Mit den dortigen Mitarbeitern hatte Degenhart seit letztem Sommer, als er für seinen Club den Antrag zum Cannabis-Anbau stellte, regelmäßig zu tun. Immer mal wieder kamen Unterlagen zurück, passte etwas nicht. Die Antworten ließen oft auf sich warten. Erst im April schließlich kam die Genehmigung.

Dennoch will Degenhart nichts Negatives über das LGL sagen. „Dass man das vielleicht schneller bearbeiten hätte können, ist klar. Aber dafür kann ja die zuständige Behörde nichts. Das ist ja ganz klar von Herrn Söder so bestimmt worden. Das hat er angekündigt – und durchgezogen.“

Zwölf Mitarbeiter für 39 Anträge

Fragt sich tatsächlich, wie eine Landesbehörde ein geltendes Bundesgesetz umsetzt, wenn der Ministerpräsident quasi die Parole zur Sabotage dieses Gesetzes ausgibt. Ob Antwortfristen angesichts der Söder’schen Ankündigung maximal ausgeschöpft würden, wollte die taz daher vom LGL wissen. Die Antwort war – auch auf erneute Nachfrage – ausweichend: Der Umfang der Erlaubnisvoraussetzungen mache eine zeitaufwändige Prüfung erforderlich, hieß es. Oder: Jedes Verfahren sei individuell.

An mangelndem Personal jedenfalls kann die besonders lange Genehmigungsdauer nicht liegen. Bayern hat insgesamt 20 Vollzeitstellen bei den beiden LGL-Standorten in Erlangen und Oberschleißheim eingerichtet. Zwölf davon sind bereits mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt, die sich ausschließlich um die Genehmigungsverfahren sowie perspektivisch um die Kontrolle des Anbaus kümmern sollen. Mit gerade mal 39 Anträgen hatten diese sich zu befassen, seit die ersten Anträge im vergangenen Juli gestellt werden konnten. Von den 39 Anträgen wurden acht bereits wieder zurückgenommen, einer wurde abgelehnt, fünf wurden genehmigt. Und 25 weitere sind noch in Arbeit.

Zum Vergleich: In Baden-Württemberg gingen im selben Zeitraum 97 Anträge ein, es wurden 22 Genehmigungen erteilt. Um den Aufgabenbereich sollen sich dort zwei Vollzeitkräfte kümmern, teilweise unterstützt von vier weiteren Mitarbeitern. Eine der Vollzeitstellen ist allerdings noch gar nicht besetzt.

„Online-Apotheken sind die großen Gewinner“

In Schleswig-Holstein befasst sich eine Mitarbeiterin mit den Anträgen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes hatte die Frau 24 Anträge auf dem Tisch. Effektiv wurden bislang acht Genehmigungen erteilt. Und in Niedersachsen hat ein Team von „mehreren Fachleuten“, das sich schwerpunktmäßig um diese Aufgaben kümmere, 103 Anträge bearbeitet, von denen bereits 40 genehmigt wurden.

Was freilich unklar bleibt, ist, warum die bayerische Regierung bei ihrer restriktiven Auslegung des KCanG ihren Fokus auf die Cannabis-Clubs legt. Den Cannabis-Konsum in Bayern wird dies kaum reduzieren. Denn auch hier gibt es längst Alternativen zum Gang zum Dealer: Kopfweh zum Beispiel. Oder chronische Schmerzen. Auch „Stress“ und „Appetitlosigkeit“ lassen sich auf zwielichtigen Internetplattformen anklicken. Ein Arzt stellt dann – meist ohne Nachfrage – ein Rezept aus, und das gewünschte Cannabis-Produkt kann im selben Bestellvorgang gleich mit geordert werden. Zu rein medizinischen Zwecken, versteht sich. „Diese Online-Apotheken sind die großen Gewinner“, beschwert sich Degenhart.

Der Vorkämpfer in Sachen Cannabis ist dennoch zuversichtlich. „Ich denke, dass ein Zurückdrehen der Legalisierung extrem schwierig würde. Das gäbe extremen Widerstand. Nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von der Pharmaindustrie. Und auf Lobbyisten hört die CSU doch.“ So rechnet Degenhart dauerhaft mit blühenden Landschaften auf seinen 60 Quadratmetern. Und in ein paar Monaten, so das LGL will, wird zum ersten Mal geerntet.

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