CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt: Reitende Botin
Gerda Hasselfeldt ist mächtig. Und ihre Macht als CSU-Landesgruppenchefin nutzt sie klug – zur Merkelisierung ihrer Partei.
NIEDERBAYERN taz | Ganz ruhig steht sie da und schaut sich das an. Direkt vor ihrer Nase zeigt das 21. Jahrhundert mal, was es so drauf hat. Im weißgrauen Licht der Fabrikhalle schweißen Roboter Fahrgestelle des 5er BMW zusammen. Gerda Hasselfeldt besichtigt hier in Dingolfing eine niederbayerische Idylle: Allen geht es gut, jeder hat Arbeit, und der BMW ist das beste Auto der Welt.
Auch Hasselfeldts Dienstwagen ist ein BMW. „Ein kurzer“, wie sie betont. Die meisten Dienstfahrzeuge werden mit ein paar Zentimetern mehr Gesamtlänge gebaut, wegen der Beinfreiheit auf den langen Reisen.
Gemessen an Frau Hasselfeldts Körpergröße reicht natürlich der kurze; aber gemessen an ihrer Machtfülle eigentlich nicht. Denn Gerda Hasselfeldt ist die Landesgruppenchefin der CSU im Deutschen Bundestag, also die Chefin aller 56 bayerischen Abgeordneten in der Unionsfraktion. Zugleich ist sie die Emissärin Bayerns in Berlin.
Im politischen Alltagsgeschäft kriegt man aber nicht allzu viel davon mit. „Nicht Schlagzeilen sind entscheidend, sondern ein gutes Ergebnis“, pariert sie diesen Vorhalt.
Herkunft: Gerda Hasselfeldt wurde 1950 in Straubing geboren. Ihr Vater, Alois Rainer, war Gastwirt, Metzgermeister und Bürgermeister im niederbayerischen Haibach. Von 1965 bis 1983 war er CSU-Bundestagsabgeordneter. Tochter Gerda studierte in den 70er-Jahren VWL, anschließend arbeitete sie bei der Bundesanstalt für Arbeit.
Partei: Mit 19 Jahren trat sie in die CSU ein. Nach zwölf Jahren im Kreistag von Regen rückte sie 1987 für den ausgeschiedenen Franz Josef Strauß in den Bundestag nach.
Berlin: Seit 2011 ist sie Landesgruppenchefin der CSU im Deutschen Bundestag. Wegen der vielen Arbeit, sagt sie, habe sie bisher von Berlin kaum etwas gesehen. Ihr Mann, der ehemalige CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann, kenne sich dafür umso besser aus.
Hart kann sie sein
Während die drei aktuellen CSU-Minister jederzeit ihre Ämter verlieren könnten, sitzt Hasselfeldt fest im Sattel. Sie ist gewählt worden von ihren Abgeordneten. Als Landesgruppenchefin entscheidet die Frau mit dem weißen Haar und den farbenfrohen Kostümen über politische Karrieren innerhalb der Fraktion. Sie nimmt in Berlin und München an allen wichtigen Sitzungen teil und ist in jede Entscheidung eingebunden, und zwar sowohl im Parlament als auch in der Regierung.
Das Verwirrende: Sie handhabt ihre Macht anders als alle Vorgänger. War früher die Jobbeschreibung eines Landesgruppenchefs, auch mal wadenbeißerisch laut und ausfallend zu werden, spinnt Hasselfeldt ihre Fäden leise im Hintergrund. Wenn zum Beispiel die Union der SPD die längst verabredete Frauenquote um die Ohren haut, darf man davon ausgehen, dass Gerda Hasselfeldt an dieser Entscheidung beteiligt war.
Und als zum Jahreswechsel CSU-Chef Horst Seehofer zur neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen die Parole „Wer betrügt, der fliegt“ ausgab, war die Grundlage dafür ein Papier der CSU-Landesgruppe in Berlin. Zehn Monate später, nach dem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs, Zuwanderern aus EU-Ländern Hartz-IV-Leistungen verwehren zu dürfen, freut Hasselfeldt sich. Beim weiß-blauen Stammtisch, dem Weißwurst-Frühstück für Hauptstadtjournalisten am Dienstag in Berlin, sagt sie: „Wir sind in Kreuth richtig gelegen.“ Hart kann sie sein, die Frau Hasselfeldt, wenn es um die große Linie ihrer CSU geht.
Fünf Männer streiten, eine Frau gewinnt
Seit 2011 macht sie den Job als Landesgruppenchefin. Damals löste sie den CSUler Hans-Peter Friedrich ab, der für den abgängigen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg in die Bresche springen musste. Geholt hatte Seehofer sie, nachdem fünf Männer sich um das Amt ergebnislos gekabbelt hatten.
Hasselfeldt war eine Überraschung. Die damals Sechzigjährige war zu diesem Zeitpunkt Bundestagsvizepräsidentin, ein angenehmer Repräsentationsjob. Warum nun also Landesgruppenchefin?
Sagen wir so: Seehofer benötigte eine Diplomatin in Berlin, die gut mit der Kanzlerin kann. Hasselfeldt selbst sagt, sie habe „nie im Leben eine Planung gemacht, dass ich das oder jenes werden möchte. Es ist so gekommen, wie es kam.“ Ein Amt komme zu einer Person, nicht die Person zum Amt. Eine Haltung, die im Konkurrenzgeschäft der Politik getrost als Karrierekiller eingestuft werden darf. Bei ihr jedoch nicht.
In welchem Team spielt sie?
Seit Jahrzehnten pendelt Gerda Hasselfeldt zwischen München und Berlin. Als Landesgruppenchefin ist sie eine Art reitende Botin, vermittelt und verhandelt Interessen. Sie übermittelt nach Berlin, was die CSU fordert. Und sie kommuniziert Richtung München, wozu die CDU unter Umständen bereit wäre. Die Frage, die sich viele stellen: Ist sie Team Seehofer, oder spielt sie im Team Merkel?
Vordergründig Team Seehofer. Aber mit ihrer zurückhaltenden Art, dem Bemühen, Sachverhalte erst zu analysieren und sich dann zu äußern, holt sie ihre Berliner CSU auf jene fast schon preußische Sachlichkeit herab, die manchen unter den Christsozialen als Merkel-Style aufstößt. Natürlich weiß sie das. Kritiker weist sie dann dezent darauf hin, dass die CSU im Bund ein besseres Ergebnis erreicht hat als bei der Landtagswahl.
Seit klar ist, dass Parteichef Seehofers Macht schwindet, schaut man sich in München schon mal nach der geeigneten Nachfolge um. Und auch die CSU-Landesgruppenchefin erlaubt sich mittlerweile öffentliche Ironie, wenn es um den Horst geht. Bei Angela Merkels Geburtstagsempfang Mitte Juli in der CDU-Parteizentrale überbrachte Gerda Hasselfeldt die Glückwünsche der Schwesterpartei.
Genüsslich richtete sie der Jubilarin die Grüße des dauerbeleidigten Bayern aus; leider, leider sei Seehofer wegen der Entgegennahme eines bayerisch-griechischen Kulturpreises unabkömmlich. Dann lobte Hasselfeldt, dass Merkel es immerhin zeitweise schaffe, „aus dem brüllenden Löwen Seehofer ein schnurrendes Kätzchen zu machen“. Lautes Gelächter im Adenauer-Haus.
Duzfreundin Merkel
Überhaupt scheint ihr Verhältnis zur Kanzlerin bestens. Fast gleich alt, wissen beide Frauen Fleiß, verbunden mit Diskretion, zu schätzen. Hasselfeldt ist einer der wenigen Menschen, mit denen Merkel zusammenarbeitet und sich duzt. Die beiden verbindet die Erfahrung, sich in einer mackerhaften Partei auf sture Weise nach oben gearbeitet zu haben.
Die Mutmaßung, mittlerweile für die CSU eine Merkel 2.0 zu sein, wehrt Hasselfeldt aber ab. „Ich bin weit entfernt davon, mich mit Angela Merkel zu vergleichen“, sagt sie. Und: „Wir mögen beide Humor, insbesondere wenn er etwas hintergründiger ist.“ Humor, gern Ironie, gehöre zur Politik nun mal dazu.
Weiß Gott, Humor braucht sie in dieser Großen Koalition. Es sind ja nicht nur die Rangeleien mit den Sozis, die verzweifelt bemüht sind, sich als Big Player dieser Legislaturperiode zu präsentieren. Die Lage wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass Hasselfeldts CSU in Berlin nicht jene Rolle spielt, die ihr qua Münchner Selbstverständnis zustünde. Drei Minister hat Bayern in die Regierung entsandt: Christian Schmidt und Gerd Müller heißen zwei von ihnen. Dass sie das Landwirtschaftsressort und das Entwicklungshilfeministerium führen, muss mancher erst mal googeln.
Der vorlaute Dobrindt
Und dann ist da noch der vorlaute Ex-CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Einer, der gern zu spät zu Besprechungen kommt und schon habituell ein anderes Kaliber ist als die Dame Hasselfeldt. Liebe wird das nicht mehr zwischen dem forschen Maut-Minister und der bedächtigen Landesgruppenchefin.
Im ersten Jahr der Großen Koalition ist der Ton schärfer geworden. Einerseits leiden die Sozialdemokraten unter dem Makel des Koalitionspartners: Ein Gesetzesvorhaben nach dem anderen setzen sie durch, und dennoch kleben sie in Wählerumfragen unter der Dreißig-Prozent-Marke. Andererseits fordert die CSU-Basis in der Regierungsarbeit endlich eine deutlichere Handschrift der Union. Selbst in Bayern leidet der Ruf der Christsozialen. In Städten und Gemeinden stranden Flüchtlinge aus Afrika; doch die Landesregierung bringt es offensichtlich nicht fertig, dieses Problem wie gewohnt geräuschlos zu lösen.
Gerda Hasselfeldt bleibt dennoch gelassen. Erst nachdenken, dann handeln – so hat sie es stets gehalten. Gelernt hat sie das von klein auf. 1950 in Straubing geboren, war sie eines von sechs Kindern des Metzgermeisters und CSU-Politikers Alois Rainer. Auf dem Hof und in der Gastwirtschaft mussten die Kinder mit anpacken. Gerda kümmerte sich um die Buchhaltung.
Familiär vorbelastet
Vater Rainer saß bis Mitte der Achtzigerjahre im Bonner Bundestag. Seine Tochter studierte Volkswirtschaftslehre, heiratete, bekam zwei Kinder. Acht Wochen nach der Geburt ihres Sohnes 1977 saß sie wieder an ihrem Schreibtisch im Arbeitsamt. 1987 kam sie für die CSU in den Bundestag, als Nachrückerin ausgerechnet von CSU-Übervater Franz Josef Strauß. Da war sie 36 Jahre alt. Solche Weibsbilder kannten ihre Parteifreunde bis dahin nur aus den Reihen der Sozis. 1989 wurde sie Bundesbauministerin im Kabinett Kohl, 1991 Gesundheitsministerin.
Und dann scheiterte sie. Überforderung? Vielleicht. Auch mit Bundeskanzler Helmut Kohl gab es Auseinandersetzungen. Nach nur 15 Monaten trat sie „aus gesundheitlichen Gründen“ zurück. Es war zugleich das Ende ihrer Ehe. Eine harte Zeit. In der Fraktion musste sie sich erst einmal wieder hocharbeiten.
Der Mann kauft ein
Möglicherweise ist es auch diese Erfahrung von Unplanbarkeit, die Gerda Hasselfeldt heute so gelassen erscheinen lässt. Man ahnt, dass diese Frau mit sich ringt. Aber öffentliches Zweifeln gehört nicht zur Arbeitsbeschreibung einer Spitzenpolitikerin.
Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie mit einem anderen, einem sehr selbstbewussten CSUler verheiratet. Wolfgang Zeitlmann saß bis 2005 selbst im Bundestag. Er galt als kantiger, wortgewaltiger Innenpolitiker, der gegen weiche Drogen und Asylgesetze wetterte. Heute ist er der Mann von Frau Hasselfeldt. Er kauft ein und kocht, er ist es, der für sie die knalligen Kostüme aussucht. „Die Gerda ist anders, sie macht leiser Politik“, hat er mal der Zeit erzählt.
Der Tag in Niederbayern geht zu Ende. Nach dem Termin bei BMW hat Gerda Hasselfeldt noch eine Fertighausfirma besucht. Nun muss sie los. Noch eine kurze Besprechung, danach bringt sie der Fahrer zurück nach München, zu ihrem Mann. Die Frau mit den weißen Haaren verabschiedet sich. Die Tür des BMW fällt sanft ins Schloss. Es ist das kurze Modell.
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