CSU-Politiker über Muslime in der Partei: „Mir fehlen die Worte“
Die CSU in Wallerstein verweigerte einem Bürgermeisterkandidaten die Unterstützung – weil dieser Muslim ist. CSU-Politiker Ozan Iyibas ist entsetzt.
taz: Der CSU-Ortsvorstand im bayrischen Wallerstein fragte Şener Şahin, ob er als Bürgermeister kandidieren wolle. Doch Teile der örtlichen CSU liefen dagegen Sturm, Şahin zog seine Kandidatur zurück. Herr Iyibas, waren Sie überrascht über den starken Gegenwind, den ihr Parteifreund aus den eigenen Reihen erfuhr?
Ozan Iyibas: Ich muss sagen, mir fehlen die Worte. Man zweifelt am Verstand einiger Funktionäre. Dass ein Mensch, der jahrzehntelang vor Ort ist und alles dafür getan hat, in der Gesellschaft Fuß zu fassen, nur wegen seiner Herkunft einen solchen Widerstand bekommt, ist überhaupt nicht zu akzeptieren.
Wie steht es um Muslime in der CSU?
Viele in der CSU sind offen sind gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte, auch türkischer Herkunft. Aber wenn man Ämter bekleidet, die in Richtung Landrat, Staatssekretär, Minister gehen, ist der Gegenwind sehr, sehr heftig. Jemanden zu verhindern, bloß weil er türkischstämmig ist oder einen muslimischen Hintergrund hat – das gibt es vom Kreisverband bis zur Bundesebene.
Das können wir uns nicht leisten. Sonst vergraulen wir die Engagierten in den Orts- und Kreisverbänden – nach dem Motto: Du bist gut fürs Plakatekleben, aber wenn es um die Aufgaben geht, wo man gestalten kann, dann brauchen wir den Türken nicht.
Wie geht es Ihnen als Politiker mit Migrationsgeschichte damit?
Ich will nicht der Quotentürke sein. Ich bin einer, der in Freising geboren, in Neufahrn aufgewachsen ist und in der CSU seine Heimat gefunden hat. Ich gehe gern in die Kirche, weil es mir Kraft gibt, aber vergesse auch nicht, wo meine Eltern herkommen.
37, ist Landesvorsitzender des Arbeitskreis Migration und Integration der CSU.
Wenn meine Herkunft zum Vergehen wird, liegt der Fehler nicht bei mir. Sondern bei denen, die mich nur aufgrund meiner Herkunft beurteilen und nicht danach, was ich geleistet habe und wer ich als Mensch bin. Ich will auch nicht nur zu Migration und Integration arbeiten, sondern alle anderen Politikfelder ebenso mitgestalten.
Haben Sie in der CSU selbst die Erfahrung gemacht, aufgrund Ihrer Migrationsgeschichte von Ämtern ausgeschlossen zu werden?
In der CSU gibt es zwar Muslime, aber die sind nicht sehr weit verbreitet. In meinem Kreisverband bin ich der einzige, der etwas erreicht hat und die Möglichkeit gehabt hätte, ein höheres, öffentliches Amt zu bekleiden. Das ist daran gescheitert, dass einige alteingesessene Mitbürgerinnen und Mitbürger alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um mich zu verhindern – nicht auf Orts-, sondern auf Kreisebene.
Eine Aussage, die mich wirklich getroffen hat, war: „Er ist türkischstämmig, das kann man ja gar nicht vermitteln.“ Teilweise sind das Leute, mit denen ich befreundet war. Die habe ich nicht wiedererkannt. Die sagen: „Du bist ein Pfundskerl und bayrischer als mancher Bayer, aber das ist vielleicht schon ein bisschen hoch für dich.“
Bezogen sich die Proteste gegen die Kandidatur von Şener Şahin vorrangig auf seine Migrationsgeschichte oder seinen muslimischen Glauben?
Auf beides. Unsere Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat beispielsweise serbisch-kroatische Wurzeln, aber weil sie christlich ist, ist das nicht so ein großes Problem. Wenn Sie aber türkischer Herkunft sind und gleichzeitig noch muslimischen Glaubens, fahren in der CSU bei einigen Leuten die Klappen runter.
Das darf nicht sein. Natürlich gibt es Menschen, die hier leben und sich vielleicht nicht integrieren wollen, aber dieses grundlose Stigmatisieren ist der CSU nicht würdig. Integration hat etwas mit Akzeptanz zu tun – und zwar von beiden Seiten. Die sehe ich hier nicht.
Was erwarten Sie jetzt von Ihrer Partei?
Die Führungskräfte in der CSU müssen ganz klar und deutlich ein Machtwort sprechen. Tun sie das nicht, werden wir in zehn, zwanzig Jahren noch immer mit diesen hinterwäldlerischen Gedanken konfrontiert sein. Ich erwarte von meinem Parteivorsitzenden, dem Generalsekretär und der CDU, dass sie sich deutlich positionieren.
Als Partei müssen wir verschiedene Lebenswirklichkeiten und Strukturen in der Gesellschaft widerspiegeln. Da gehören auch Menschen mit Migrationsgeschichte dazu. Das darf eine Partei nicht vergessen. Nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern es ernst zu meinen – das fehlt mir hier. Dass man „noch nicht so weit sei“, ist eine faule Ausrede.
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