COP27 in Ägypten: Die Schuldigen zur Kasse
Bei der bevorstehenden COP27 in Ägypten geht es um Klimagerechtigkeit. Die größten Leidtragenden sind oft die kleinsten Verursacher der Erderwärmung.
F ür eine Weltklimakonferenz ist Ägypten kein gewöhnlicher Austragungsort. Das musste auch der indische Klimaaktivist Ajit Rajagopal feststellen, der als Mitglied der Kampagne March for our Planet die verwegene Idee hatte, von Kairo nach Scharm al-Scheich zu marschieren, zu dem Ort, an dem die Klimakonferenz COP27 am nächsten Sonntag beginnen wird.
„On the Move for Climate Justice“ stand auf seinem Plakat, mit dem er sich auf einer der Nilbrücken in Kairo noch ablichten ließ, bevor er sich diese Woche auf den Weg vom Nil ans Rote Meer machte. Weit kam er nicht. Ein Ausländer mit Plakat zieht naturgemäß die Aufmerksamkeit der ägyptischen Sicherheitsbehörden auf sich. So endete sein Klimamarsch abrupt in einer Polizeistation, kaum dass er das Kairoer Zentrum verlassen hatte.
Erst nach Stunden intensiver Befragung kam er wieder frei. Kein gutes Omen für eine Konferenz, an der nicht nur über 90 Staats- und Regierungschefs teilnehmen werden, sondern auch eine bunte Schar aus Klimaexperten und Klimaaktivisten. Die wenigen in Ägypten verbliebenen politischen Aktivisten hoffen, die Gelegenheit nutzen zu können, um auf die Menschenrechtslage im Land aufmerksam zu machen.
Der prominenteste unter ihnen ist wohl Alaa Abdel Fatah, der vor über 200 Tagen in einem ägyptischen Gefängnis einen Hungerstreik begann. Der Blogger und Demokratieaktivist verbrachte das letzte Jahrzehnt hinter Gittern – mit Ausnahme eines halben Jahres, als er 2019 freikam, um gleich wieder wegen Verbreitung angeblich falscher Nachrichten zu fünf Jahren Haft verurteilt zu werden.
Hungerstreikender in Lebensgefahr
Am Montag hatte er angekündigt, überhaupt keine Kalorien mehr zu sich zu nehmen, mit Beginn der Konferenz am Sonntag will er auch nichts mehr trinken. Wenn er nicht freigelassen wird, wird er diese Weltklimakonferenz kaum überleben. Aber nur über Menschenrechte und absurde Verhaftungen von Klimaaktivisten zu sprechen, würde der kommenden COP27 in Scharm al-Scheich nicht gerecht.
Es ist auch die Geografie, die die diesjährige COP zu etwas Besonderem macht. Ägypten, gleichermaßen in Afrika als auch in der arabischen Welt gelegen, verleiht der Konferenz die Klimaperspektive der Länder des politischen Südens. Und die haben mit der bisherigen globalen Klimapolitik vor allem ein Problem: Sie haben den Schlamassel mit ihren im Weltmaßstab geringen CO2-Emissionen nicht verursacht, müssen aber zum großen Teil die Folgen ausbaden.
Auf den bisherigen COPs wurden die mit Abstand meisten finanziellen Mittel für die CO2-Reduktion vereinbart. Ein Ansatz, der den Ländern des Südens und dem ägyptischen Vorsitz von COP27 zu kurz greift. Sie möchten den Fokus auf zwei andere Bereiche lenken: zum einen auf einen Fonds für Anpassungsmaßnahmen, mit denen die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels eingedämmt werden sollen.
Kostenintensive Schadensbekämpfung
Der Gastgeber Ägypten gibt beispielsweise viele Milliarden Dollar aus, um seine Küste am Nildelta mit Dämmen und Wellenbrechern vor den Fluten des steigenden Mittelmeers zu bewahren. Dazu muss eine Reform der Landwirtschaft finanziert werden, die dringend effektivere und moderne Bewässerungsmethoden braucht, um ihre Produktivität bei steigender Hitze und je nach Klimamodellen mit bis zu 25 Prozent weniger Nilwasser in Zukunft zu erhalten. Ägypten hat diesen Anpassungsmaßnahmen ein Preisschild in Höhe von 8,3 Milliarden Dollar verliehen.
Und das sind nur die Kosten für ein einziges afrikanisches Land. Muhammad Nasr, der Verhandlungschef des ägyptischen COP27-Vorsitzes, spricht davon, dass afrikanische Länder inzwischen 5 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Klima-Anpassungsmaßnahmen ausgeben. Sie fühlen sich von den Hauptverursachern des Klimawandels, den Industriestaaten, vollkommen alleingelassen.
Auch bei einem zweiten Fonds, dem für „Verluste und Schäden“, die durch den Klimawandel verursacht werden, geht es den Ländern des politischen Südens darum, dass er von den Verursachern mit ausreichend Geld befüllt wird. Wer zahlt die Zeche für die klimabedingten Schäden, lautet die Frage, die in Scharm al-Scheich beantwortet werden sollte. Ginge es nach Ägypten und den Ländern des Südens, würde dafür ein globaler Fonds angelegt werden.
Das klingt alles nach dem „Verursacherprinzip“ eingängig und logisch. Aber die Industrieländer haben bisher kaum finanzielle Zusagen gemacht und versuchen, die Entwicklungsländer mit dem Versprechen abzuspeisen, nun einen Dialog zu beginnen. Mit dem folgenschweren Ukraine-Krieg, mit Energie- und Nahrungsmittelkrise steht die COP27 unter einem denkbar schlechten finanziellen Stern. Die Aufgaben sind riesig, die Kassen sind leer.
Im Kern geht es um Klimagerechtigkeit
Das Problem ist, dass der Klimawandel und dessen Folgen nicht darauf warten, bis diese anderen Krisen überwunden sind. Es ist eine Frage der Prioritäten. In der Covidpandemie zögerten die reichen Länder nicht, innerhalb von Monaten Billionen Dollar zu mobilisieren. Der Klimawandel ist für die Menschheit nicht minder gefährlich.
Im Kern dreht es sich in Scharm al-Scheich um Klimagerechtigkeit. Die 100-Millionen-Bevölkerung Ägyptens beispielsweise ist gerade einmal für 0,6 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, aber das Nilland trägt, wie viele Entwicklungsländer, ein überproportionales Risiko, wenn es um die Folgen des Klimawandels geht.
Vielleicht hätten die ägyptischen Sicherheitsbehörden den indischen Klimaaktivisten Ajit Rajagopal nicht verhaften sollen, denn was stand gleich wieder auf seinem suspekten Plakat geschrieben: „On the Move for Climate Justice“. Sie hätten ihn mit viel Publicity mit einer Sänfte nach Scharm al-Scheich tragen sollen. Das wäre besser gewesen als ihr üblicher „Erst-einmal-wegsperren“-Reflex. Der Gastgeber der Weltklimakonferenz war nicht dazu in der Lage.
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