CDU/CSU in der Großen Koalition: Planspiele fürs Kanzlerinnenamt
Einiges spricht dafür, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Wechsel an die Spitze der Regierung vorbereitet. Wichtig dabei: Friedrich Merz einhegen.
Im politischen Berlin wird seit Längerem spekuliert, ob – und gegebenenfalls wann – Angela Merkel das Kanzleramt für ihre Nachfolgerin räumt. Oder ob sie, wie sie stets wiederholt hatte, die Legislaturperiode vollmacht. Dabei hatte sie immer betont, Regierungs- und Parteiamt gehörten in eine Hand.
Dass Merkels Worte nicht in Stein gemeißelt sind, weiß man spätestens seit dem Oktober letzten Jahres, als sie in Gegenwart ihrer ziemlich perplexen damaligen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt hatte, sich vom Amt der Parteivorsitzenden zurückzuziehen – aber Kanzlerin zu bleiben.
Die Folgen sind bekannt. Kramp-Karrenbauer musste von jetzt auf gleich ihren Anspruch auf den Parteivorsitz anmelden und einen innerparteilichen Wahlkampf starten. Selbst ihrem Ehemann konnte sie gerade noch rechtzeitig nur eine SMS schicken. Den Wettlauf gegen ihre männlichen Mitbewerber Friedrich Merz und Jens Spahn auf dem Parteitag in Hamburg Anfang Dezember gewann sie denkbar knapp. Mit gerade einmal 18 Stimmen lag sie vor Merz. Auf die Freude über den Sieg folgte der Kater über die in der Führungsfrage tief gespaltene Partei.
Geordneter Rückzug
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wäre dieser Sommer 2019 perfekt für den personellen Wechsel im Kanzleramt. Und das unter gleich mehreren Gesichtspunkten.
Nach der Europawahl ist vor den Landtagswahlen im Osten. Je nachdem, wie die Brüsseler Ergebnisse für die Union ausschauen – aktuell wird mit leichten Verlusten um drei Prozent gerechnet –, könnte Merkel die Verantwortung dafür übernehmen und ihren geordneten Rückzug ankündigen. Carsten Linnemann, der Vorsitzende der einflussreichen CDU-Mittelstandsvereinigung, hat schon mal vorsorglich dem Handelsblatt gesagt: „Am Tag nach der Europawahl müssen wir anfangen, an unserem Programm für die Bundestagswahl zu arbeiten“, wann immer die stattfinde. „Wir müssen vorbereitet sein.“ Das klingt nicht nach einem „weiter so“.
Zugleich käme der AfD in den anstehenden Landtagswahlkämpfen im Osten ihre Lieblings-Hassfigur Merkel abhanden. Die drei SpitzenkandidatInnen der CDU in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnten im Wahlkampf einerseits die Verdienste der scheidenden Kanzlerin erwähnen, um andererseits die politischen Fähigkeiten ihrer Nachfolgerin zu preisen und einen politischen Neuanfang zu versprechen.
Zöge die SPD mit?
Fraglich ist, ob in diesem Planspiel die SPD mit im Boot wäre. Die SozialdemokratInnen haben mehrfach und laut erklärt, sie stünden nicht als Kanzlerwahlverein zur Verfügung. Zudem hatte Parteichefin Andrea Nahles der Basis versprochen, es werde zur Halbzeit der Großen Koalition Bilanz gezogen.
Gegen eine Revolte samt Neuwahlen spricht, dass die SPD in aktuellen Umfragen bei 17 Prozent liegt, also seit der Bundestagswahl noch drei bis vier Prozentpunkte verloren hat. Die Machtbasis im Parlament könnte noch einmal schmelzen, und zwar so weit, dass sie nicht einmal mehr zur Koalitionspartnerin der Union reichen würde. In der Regierung bliebe zudem noch Zeit, eineN eigeneN KanzlerkandidatIn aufzubauen. Aktuell hält sich Vizekanzler Olaf Scholz für geeignet.
Kann also Annegret Kramp-Karrenbauer die Kanzlerschaft von Angela Merkel übernehmen? Wenn ja, hätte sie sowohl im Adenauer-Haus als auch im Kanzleramt ausreichend Zeit, ihre Machtbasis auszubauen. In gut zwei Jahren beginnt der Bundestagswahlkampf. Es wäre gut, wenn die Union eine Kandidatin – oder einen Kandidaten – präsentieren könnte, die der Wählerschaft gut bekannt, wenn nicht gar vertraut ist.
Aber auch strategisch könnte der richtige Moment für Annegret Kramp-Karrenbauer bald kommen. Je mehr Zeit sie verstreichen lässt, bevor sie das Amt der Regierungschefin einfordert, desto mehr Zeit haben auch ihre GegnerInnen, Merkels Wunsch-Nachfolgerin doch noch zu verhindern.
Endlich Macht
Eine wichtige Rolle für Kramp-Karrenbauers Erfolg spielt deswegen das Einhegen von Friedrich Merz und dessen Anhängerschaft. Bei einem gemeinsamen Auftritt kürzlich im Sauerland überließ AKK dem Gründungsmitglied des Fördervereins der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die große Bühne. Im März wurde bekannt, dass Merz als Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats, einem Unternehmerverband, kandidieren will. Und gerade berichtete der Spiegel, Annegret Kramp-Karrenbauer sei bereit, Merz in ein von ihr geführtes Kabinett aufzunehmen, wenn er sich bis dahin ihr gegenüber wohl verhielte.
Überhaupt: das Regierungsamt. Bald Kanzlerin zu sein hätte gleich mehrere Vorteile für Kramp-Karrenbauer. Sie, die über kein Mandat verfügt und kein Amt außer dem der Parteivorsitzenden ausübt, würde endlich über eine politische Machtbasis verfügen. Bislang sitzt sie nur dabei, etwa im geschäftsführenden Fraktionsvorstand oder in der Morgenlage im Kanzleramt. Als CDU-Vorsitzende nimmt sie an den Koalitionsausschüssen teil. Sie ist das, was man ein lernendes System nennt. Ein machtpolitisches System.
Wohin die Reise mit ihr auch nach einer zu gewinnenden Bundestagswahl 2021 gehen würde, könnte sie kraft ihres Amtes als Regierungschefin umreißen. Bis auf Jens Spahn, der als Bundesgesundheitsminister seit seinem ersten Arbeitstag Full Speed fährt, machen die Unionsminister keine gute Figur. Kramp-Karrenbauer könnte, wenigstens personell, einlösen, was über dem Koalitionsvertrag steht: „Eine neue Dynamik für Deutschland“.
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