CDU-Politikerinnen mit Zukunft: Die Frauenfrage
Wenn Angela Merkel als Kanzlerin abtritt, gibt es in der ersten Reihe der CDU fast keine Frau mehr. Welche Politikerinnen könnten aufsteigen?
M itte Januar, er ist gerade zum CDU-Chef gewählt, sitzt Armin Laschet im ZDF-Studio und soll Halbsätze vervollständigen. „Dass die nächste Kanzlerin ein Mann ist …“, gibt die Moderatorin vor. „Ist sehr wahrscheinlich“, antwortet er. „Ein Kabinett Laschet zur Hälfte mit Frauen zu besetzen …“, fährt der Co-Moderator fort, „… muss das Ziel sein“, ergänzt Laschet. Und sagt: „Wir brauchen Parität in der nächsten Bundesregierung.“
Sechzehn Jahre lang stand eine Frau an der Spitze der Bundesrepublik, gut zwanzig Jahre führten Frauen die Christlich Demokratische Union. Nach der Bundestagswahl im September wird Angela Merkel als Kanzlerin abtreten, als Parteichefin ist auch ihre Nachfolgerin bereits Geschichte.
Schaut man jetzt auf die erste Reihe der CDU, sieht man kaum noch eine Frau. Für den Parteivorsitz kandidierten drei Männer, um die Kanzlerkandidatur stritten sich zwei. Der CDU-Generalsekretär: ein Mann, der Fraktionschef im Bundestag ebenso. Und die beiden CDU-Minister, die in der Pandemie vor allem im Fokus der Öffentlichkeit standen, weil sie das Gesundheits- und das Wirtschaftsressort leiten und damit das Bild der Regierung stark prägten: ebenfalls Männer.
Armin Laschet, inzwischen Kanzlerkandidat der Union, hat erkannt, dass dies für seine Partei ein Problem werden könnte. 2017, bei der letzten Bundestagswahl, haben deutlich mehr Frauen als Männer die CDU gewählt. Will er Kanzler werden, muss Laschet die Wählerinnen halten. Seit dem Interview im ZDF im Januar hat er das Versprechen, als Kanzler die Hälfte der Bundesregierung mit Frauen zu besetzen, mehrfach wiederholt. Für sein Kompetenzteam im Wahlkampf aber hat Laschet bislang nur eine Person benannt: Friedrich Merz. Damit will er den Wirtschaftsflügel der Partei einbinden.
Fragt man Armin Laschet bei der Vorstellung des Union-Wahlprogramms nach seinem Team, antwortet er ausweichend: „Lassen Sie sich überraschen. Man wird noch andere Persönlichkeiten sehen als die, die wir alle schon kennen.“
Bleibt die Frage: Wer könnten die Frauen sein, die mit Laschet an der Spitze weiter aufsteigen?
An einem Montag Ende April hat er sich im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses zu einer Pressekonferenz eingefunden. Der CDU-Chef hangelt sich tapfer an seinem Sprechzettel entlang: „Wir brauchen eine neue Gründerzeit“, sagt er, spricht von altem und neuem Mittelstand, von Start-ups und Digitalisierung.
Dann hat Nadine Schön das Wort, die an dem Redepult neben Laschets steht. Fröhlich lächelnd und mit saarländischer Färbung sagt sie, dass Start-ups weit mehr als ein „hippes Thema“ seien. Sie spricht über Mut und Gestaltungswillen, schlägt lässig den Bogen von Klimawandel und Pandemie über innovative Ideen, die in Unternehmen stecken, und eine dringend notwendige Staatsreform bis hin zu Geopolitik und der Künstlichen Intelligenz, die man nicht China überlassen dürfe. Das sei auch eine Frage der Werte.
Schön, 38, ist eine von elf stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Co-Chefin des Netzwerks Digitalisierung der CDU und einer der Köpfe hinter „Neustaat“. Mit diesem Projekt will die Unionsfraktion staatliche Strukturen reformieren, sie effektiver und schneller machen. Wie dringend nötig das ist, hat Corona gezeigt. „Wir müssen den Staat ganz neu denken“, sagt Schön. Und zu der Erkenntnis kommen, dass die Art, wie wir arbeiten, kein Modell für die Zukunft ist. Vierzig Maßnahmen hat die Fraktion dafür vorgeschlagen, im Bereich Bürokratieabbau etwa oder in der Digitalisierung. Hört man sich in Berlin um, mit welchen CDU-Frauen künftig zu rechnen sei, ist Nadine Schön meist dabei.
Ein anderer Name, der stets fällt, ist der von Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen. Güler, 40, ist die einzige Muslima im Bundesvorstand ihrer Partei. Jetzt kandidiert sie zum ersten Mal für den Bundestag.
Ein Mittwochmittag Anfang Juni, Serap Güler nickt dem Besuch kurz zu, dann spricht sie weiter auf Türkisch in ihr Handy. „Das war meine Mutter“, entschuldigt sie sich später, „das war jetzt wichtig“. Güler sitzt in einem nüchternen Besprechungsraum im achten Stock eines Hochhauses in Düsseldorf-Unterbilk. Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration ist vorübergehend hier untergebracht.
„Integrationspolitik ist vor allem ein symbolisches Thema“, sagt sie. „Wenn wir die Integration in diesem Land voranbringen wollen, müssen wir für Menschen mit Einwanderungsgeschichte ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen.“ Das aber fehle bei vielen Menschen. Und es gebe diese politischen Debatten, die erschweren würden, dass dieses Gefühl entsteht – etwa jene über Mesut Özil und sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan. Das Foto sei zweifellos falsch gewesen. Viele türkischstämmige Menschen aber habe erschreckt, dass Deutschtürken offenbar nur unter Vorbehalt akzeptiert würden – und es damit schnell vorbei sein könne.
„Da müssen wir besser werden“, sagt Güler und meint auch die eigene Partei damit. „Mit Armin Laschet als Parteivorsitzenden und auch als Kanzler wird Integrationspolitik stärker in den Mittelpunkt rücken.“
Laschet, heute nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, war von 2005 bis 2010 Integrationsminister in Düsseldorf, der erste bundesweit. Er hat Güler damals als Referentin im Ministerium eingestellt und sie dann auch in die Politik geholt. Güler wiederum kann man getrost als „Laschet-Ultra“ bezeichnen. Kaum jemand hat sich im Machtkampf zwischen ihm und CSU-Chef Markus Söder öffentlich so klar für Laschet starkgemacht.
Nadine Schön stand in dem erbitterten Kampf auf der anderen Seite. Sie war eine der CDU-Bundestagsabgeordneten, die Söder wollten, weil sie ihn für den aussichtsreicheren Kanzlerkandidaten hielten. „Das Meinungsbild in der CDU Saar war überwiegend für Markus Söder.“ Mittlerweile sei sie aber überzeugt davon, dass die Union die richtige Entscheidung gefällt habe, sagt Schön und lobt Laschets Integrationsfähigkeit.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es ist Ende Juni, die letzte reguläre Sitzungswoche in dieser Legislaturperiode, Schöns Terminkalender quillt über. Sie hat ein Büro im fünften Stock des Jakob-Kaiser-Hauses, vom Balkon aus kann man auf die Spree blicken.
Schön ist in einem Dorf im Saarland aufgewachsen, der Vater war Polizist, die Mutter Krankenschwester. Aus Langeweile kam sie mit 15 zur Jungen Union. „Es gab nichts, wo wir uns abends mit Freunden treffen konnten, außer der Bushaltestelle oder an der Schulmauer.“ Deshalb habe man die JU wiederbelebt und sich für einen Jugendraum und ein Basketballfeld eingesetzt. „Von den Themen her hätte es aber auch eine andere Jugendorganisation sein können. Es ging nicht um die große Politik“, sagt Schön und lacht.
Auf das Abitur folgt ein Jurastudium, dann macht sie mit der CDU schnell Karriere. Mit 21 Jahren zieht die Saarländerin als jüngste Abgeordnete in den Landtag ein, mit 26 Jahren, im Jahr 2009, in den Bundestag, seit 2014 ist sie Vizevorsitzende der Fraktion mit den Schwerpunkten Familie, Frauen und Digitale Agenda.
Sie sei überrascht gewesen, als ihr Kreisvorsitzender sie fragte, ob sie sich eine Landtagskandidatur auf einem Nachrückerplatz vorstellen könne, erzählt Schön. Groß war die Überraschung auch, als der Platz bereits wenige Wochen nach der Wahl frei wurde. Der Anfang ihrer Landtagszeit sei megaanstrengend gewesen, sagt Schön. Parallel dazu musste sie ihr Jurastudium und die Journalistenakademie der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Ende bringen. „Damals habe ich sieben Kilo weniger gewogen als heute.“
Serap Gülers Eltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei ins Ruhrgebiet, die Familie lebte in einer Bergarbeitersiedlung in Marl. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, dann studierte sie Kommunikationswissenschaften und schloss mit einer Arbeit über die „Konstruktion eines Mythos genannt Parallelgesellschaft“ ab.
Güler war 13 Jahre alt, als Rechtsextremisten im Sommer 1993 in Solingen das Haus der Familie Genç in Brand steckten, fünf Menschen starben. Von Solingen bis Marl ist es nicht weit, Gülers Familie stammt wie die Gençs aus der Türkei, sie sind Muslime.
„Das hat in mein Leben eine Schwere gebracht: Diese Angst, dass das jedem von uns hätte passieren können“, sagt Güler. „Mit Cem gab es dann aber plötzlich ein Vorbild, das uns allen Hoffnung gemacht hat.“ Gemeint ist damit Cem Özdemir, der 1994 als erster türkischstämmiger Abgeordneter in den Bundestag einzog. „Das war ein Knaller“, sagt Güler. „Erst hieß es: ‚Unsere Leute werden hier angegriffen‘, dann: ‚Einer von uns sitzt im Bundestag‘.“ Özdemir sei immer ein „Riesenvorbild“ gewesen, seine Parteizugehörigkeit völlig egal.
Politisiert worden sei sie aber während des Studiums. Anfang der 2000er Jahre diskutierte die Republik erregt über Parallelgesellschaften, über Ehrenmorde und Zwangsehen. „Auf einmal“, sagt Güler, „standen viele junge Frauen wie ich im Visier der Gesellschaft.“ Ihre deutschen Freunde hätten sie damals sogar vor einem Urlaub in der Türkei gefragt, ob sie jetzt zwangsverheiratet werde. „Menschen, die mich und meine Familie kannten, nur weil wir aus der Türkei stammen und Muslime sind. Das tat ganz schön weh.“ Da habe sie gemerkt, wie eine öffentliche Debatte das gesellschaftliche Klima vergiften kann.
Auf einer Veranstaltung, auf der sie dem Grünen Cem Özdemir zuhören will, lernt Güler schließlich Armin Laschet kennen, der ihr nach dem Studium einen Job als Referentin in seinem Ministerium anbietet. 2009, mit 29 Jahren, tritt Güler in die CDU ein, 2012 wird sie Landtagsabgeordnete, fünf Jahre später Staatssekretärin.
Politikerinnen wie Güler und Schön braucht die CDU dringend – nicht nur, weil sie Frauen sind, und die eine auch noch aus einer Familie mit Migrationsgeschichte stammt. Güler und Schön stehen für Kompetenz in Zukunftsthemen: Integration und Digitalisierung. Und sie verkörpern Aufbruch und Modernität.
Hat Angela Merkel, Deutschlands erste Kanzlerin, etwas mit ihrem Weg in der CDU zu tun? Schön und Güler winken ab. Sie wurden von Männern in die Politik geholt. Von Männern, die begriffen haben, dass die CDU diverser werden muss, wenn sie Volkspartei bleiben will. Noch immer sind nur 26 Prozent der CDU-Mitglieder Frauen. Auch bei den Bundestagsabgeordneten tut sich wenig: Gerade 40 Christdemokratinnen sitzen in der Unionsfraktion, das ist ein Fünftel der CDU-Abgeordneten. Damit, das hat ein interner Bericht der CDU 2018 leicht frustriert festgestellt, ist der Anteil so hoch wie vor gut 20 Jahren.
Merkel selbst hat sich nie dezidiert als Frauenpolitikerin positioniert. Aber sie hat Frauen wie Ursula von der Leyen den Weg geebnet, die als Familien- und Frauenministerin eine – für eine Christdemokratin – bemerkenswert moderne Politik gemacht hat. Und als eine Art Türöffnerin sieht sich die Kanzlerin schon. „Niemand lacht ein junges Mädchen heute mehr aus, wenn es sagt, dass es später einmal Ministerin oder sogar Bundeskanzlerin werden will“, sagte Merkel 2018 bei einer Veranstaltung zu „100 Jahren Frauenwahlrecht“. Und fügte hinzu: „Es soll sogar schon Fragen geben, ob es auch ein Mann werden darf.“ Im Jahr darauf sagte sie im Interview mit der Zeit: „Parität scheint mir logisch.“
Auch Schön betont, dass Merkels Kanzlerschaft für die Gleichberechtigung eine große Bedeutung habe. „Wir brauchen solche Vorbilder.“ Merkel habe sich nach außen nicht exponiert, intern habe sie, etwa im Kabinett, Frauen aber durchaus unterstützt. Merkel verlieh Güler im CDU-Präsidium sogar eine Art Ritterschlag, wie es im Spiegel vor Jahren hieß. Nach den Anschlägen von Paris hatte Güler in der FAZ geschrieben, die deutschen Muslime müssten sich stärker von gewaltbereiten Islamisten abgrenzen. Merkel ließ demnach Kopien des Textes im Präsidium verteilen – und signalisierte damit, dass Güler in der CDU-Spitze durchaus richtig sei.
Zu der Zeit, als Nadine Schön 2009 in den Bundestag einzieht, beginnen ihre Freundinnen mit der Jobsuche – und sind dabei weniger erfolgreich als Männer mit gleich guten Abschlüssen. Es sind Erfahrungen wie diese, die Schön zu einer Befürworterin der Quote machen. 2012 unterschreibt sie eine überparteiliche Petition für eine 30-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände, später fordert sie eine Quote für ihre Partei. Damit ist sie der CDU um Jahre voraus. Auch Güler sagt: „Eine Quote wäre eine Möglichkeit, für mehr Frauen zu sorgen. Das kann und darf aber nicht das einzige Mittel sein.“
Oft sind es aber auch die Frauen selbst, die zögern. Schön sagt: „Wenn man Frauen fragt, sagen die: ‚Ich weiß nicht, ob ich das kann. Und ich kann nicht bei jeder Sitzung dabei sein.‘ Männern ist das oft völlig schnuppe.“ Auch sie selbst habe gezögert, als der ehemalige Fraktionschef Volker Kauder sie zu seiner Vize machen wollte. Ich kann das nicht, das ist doch erst meine zweite Legislaturperiode – das habe sie gedacht. Doch Kauder war hartnäckig. „Meine Erfahrung ist: Es kostet mehr Kraft und Mühe, Frauen zu animieren, und manchmal gibt es Ärger. Aber es lohnt sich“, sagt Schön.
Eigentlich sollte die CDU inzwischen eine Frauenquote haben. Vor gut einem Jahr hatte sich die Struktur- und Satzungskommission nach zähem Ringen auf eine stufenweise Einführung einer Quote bei Vorstandswahlen ab der Kreisebene geeinigt. Der Parteitag im Dezember sollte das beschließen. Dann kam Corona – die Abstimmung steht bis heute aus. Das Bewusstsein aber, sagt Schön, habe sich auch in der CDU verändert: „Ein Bild wie das aus dem BMI wird es nicht mehr geben.“ Das Bundesinnenministerium hatte bei Amtsantritt 2018 ein Foto der neuen Hausspitze veröffentlicht, darauf: neun Männer, keine einzige Frau.
Inzwischen achtet die Parteispitze vielerorts immerhin darauf, dass Frauen bei Listenaufstellungen stärker berücksichtigt werden. Es bleibt aber noch viel zu tun: Erst im März trat in Sachsen-Anhalt die stellvertretende Landesvorsitzende der Frauenunion empört aus, weil die Liste zur Landtagswahl die „frauenfeindlichste“ sei, die die Landes-CDU jemals aufgestellt habe. Auf die ersten 20 Plätze wurden nur drei Frauen gewählt.
Die CSU hingegen hat gerade medienwirksam eine paritätisch besetzte Liste für die Bundestagswahl beschlossen. Weil die meisten der Unionsabgeordneten über Direktmandate einziehen, hat das aber vor allem symbolische Bedeutung. In den Kreisverbänden hapert es häufig noch am Bewusstsein für Parität.
Nadine Schön und Serap Güler haben beide keine sicheren Wahlkreise, aber ziemlich sichere Listenplätze. Die Saarländerin hat sich allerdings bereits dreimal hintereinander in St. Wendel durchgesetzt. Güler will den Wahlkreis 101, zu dem Köln-Mülheim und Leverkusen gehören, dem omnipräsenten SPD-Coronaexperten Karl Lauterbach abnehmen.
Warum aber überhaupt die CDU? Güler sagt, an ihr sei nichts links. Sie sei konservativ, aber auch liberal – „und vor allem sozial“. Familie ist ihr wichtig, Abtreibung, das hat sie jüngst Tilo Jung in einem Interview verraten, will sie nur im engen Rahmen zulassen und der Forderung nach einer neuen Leitkultur kann sie durchaus etwas abgewinnen. Furore machte Güler 2018 mit dem Vorstoß, Mädchen unter 14 Jahren das Kopftuchtragen zu verbieten. Weil er juristisch schlecht vorbereitet war, musste sie ihn wieder kassieren. Inhaltlich aber steht sie dazu.
Güler und Schön sind beide in der CDA, der christlichen Arbeitnehmerschaft. Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei es, was sie unter konservativ verstehe, sagt Schön. Ob sie sich als Feministin bezeichnen würde? „Ja. Ich trete ein für Frauen, ihre Rechte und Verwirklichungschancen.“ Güler dagegen winkt ab. „Ich bin eine emanzipierte Frau, aber es ist nicht so, dass ich das Frausein über alles stelle.“ Auch die Kanzlerin will sich selbst nicht so bezeichnen.
Für manche aber passt Serap Güler, die Muslima, lange nicht in die CDU, die das Christliche im Namen trägt. 2012, bei ihrer ersten Landtagskandidatur, fragt ein Parteifreund sie auf offener Bühne, wann sie konvertiere. „Nicht ob, sondern wann war die Frage“, sagt sie. Seitdem aber habe sich in der CDU viel verändert.
Güler wollte lange keine Deutsche werden, weil sie dafür den türkischen Pass abgeben muss. Heimat, das ist eben auch der Ort in der Türkei, aus dem die Eltern kamen – und wohin es jedes Jahr in den Sommerferien ging. Ihr Vater, der gerade gestorben ist, ist dort begraben. Doch nachdem Güler 2010 für die CDU erstmals Wahlkampf machte, entschied sie sich doch für die deutsche Staatsbürgerschaft. Plakate kleben und dann selbst nicht wählen dürfen – das passte ihr nicht.
Bei der doppelten Staatsbürgerschaft liegt Güler quer zur Mehrheit in der CDU, auch wenn sie diese nur für die erste Generation nach der Einwanderung und dann einen Schnitt will. Als die CDU 2016 auf einem Parteitag beschloss, den Doppelpass für Kinder wieder abzuschaffen, stimmte sie gegen den Antrag. Wenn es um Rassismus und Diskriminierung geht, kann die Deutschtürkin auch kräftig austeilen. Den südthüringischen Christdemokraten, die den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen jüngst zu ihrem Direktkandidaten machten, bescheinigte sie via Twitter: „Ihr habt echt den Knall nicht gehört!“
Dafür musste sie von Friedrich Merz heftige Kritik einstecken. Von Migrantenorganisationen aber wird die medienpräsente Güler gelobt. „Ich schätze ihre Arbeit“, sagt etwa Kenan Küçük vom Multikulturellen Forum in NRW, der selbst SPD-Mitglied ist und im Landesbeirat für Migration sitzt. Güler sei „ein Sprachrohr“ für die Migrant:innen geblieben.
Auch Nadine Schön ist immer wieder mit Positionen ihrer Partei nicht einverstanden. Sie setzte sich früh für die Homoehe ein, schloss sich einem fraktionsübergreifenden Netzwerk an, das die Bedingungen für junge Mütter im Bundestag verbessern will, auch mit dem Betreuungsgeld kann sie wenig anfangen: „Das hätte ich nicht gebraucht.“ Nachdem Verbesserungen ausgehandelt wurden, stimmt sie aber zu.
Schön erzählt, dass sie mit sich gerungen habe, ob sie bei der Bundestagswahl im September noch einmal antreten soll. „Abgeordnete, das ist ja nichts, was man vom Anfang des Berufslebens bis zum Ende macht.“ Dann aber habe sich das „Neustaat“-Projekt so rasant entwickelt, die Unterstützung sei – auch durch Corona – groß. „Da muss der Ball jetzt ins Ziel.“ Dieter Janecek von den Grünen sitzt mit Schön im Bundestagsausschuss für Digitale Agenda. Schön sei im Umgang angenehm und verbindlich, sagt er. „Aber mir ist nicht klar, wofür sie inhaltlich wirklich steht.“ Pointierte Einlassungen jedenfalls gebe es nicht.
Fragt man Güler, was sie auf Bundesebene in Sachen Integrationspolitik verändern würde, sagt sie zweierlei: Sie würde eine Bundeseinwanderungsbehörde schaffen, die Einwanderung zentral steuern soll. Und ein Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt einrichten, das mehr sein soll als ein Integrationsministerium. „Es geht ja nicht nur um Menschen mit Einwanderungsgeschichte.“ Ein Problem derzeit sei, dass die wichtigen Entscheidungen in Sachen Integration im Bundesinnenministerium fallen, wo man insbesondere die Risiken sehen würde. „Man muss aber vor allem die Chancen im Blick haben. Das ist unser Ansatz in Nordrhein-Westfalen, mit dem wir sehr erfolgreich sind.“
Ein Bundesintegrationsministerium, das Laschet in der Vergangenheit gefordert hat, steht nicht im Wahlprogramm der Union. Für Güler könnte das Amt der Integrationsstaatsministerin im Bundeskanzleramt bleiben. Ein Digitalministerium hingegen will die Union nach der Wahl einrichten.
Wäre das etwas für Nadine Schön? Als Reaktion auf diese Frage betont sie, wie einflussreich die parlamentarische Arbeit sei. „Ich hätte nichts dagegen, das weiter zu tun.“ Jedoch habe sie zwei kleine Söhne und wohne im Saarland, „da muss man das Private und das Politische gut abwägen“.
Wie hatte sie zu Beginn des Gesprächs noch gesagt? Frauen sind manchmal ganz schön zögerlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch