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Bundestag debattiert Familiennachzug„Pure Ermessensregelung“

Union und SPD verteidigen im Parlament ihre Einigung zum Familiennachzug für Flüchtlinge. Aus allen anderen Fraktionen kommt deutliche Kritik.

Syrische Flüchtlinge im Grenzdurchgangslager Friedland Foto: dpa

Berlin taz | Für Thomas de Maizière (CDU) gibt es keine Verlierer. Mit der Einigung von Union und SPD zum Familiennachzug für Flüchtlinge könnten beide Seiten leben, sagte der Innenminister am Donnerstagvormittag im Bundestag. „Der Kompromiss ist die vernünftigste Art des Interessenausgleichs. Dieser Kompromiss ist nun unterschiedlich bewertet worden. Aber das ist normal.“ Jeder wolle zeigen, dass er gut verhandelt habe. Deswegen verkauften sowohl CDU und CSU als auch SPD das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen in diesem Punkt als Erfolg. Laut de Maizière ist das kein Widerspruch: „Das ist okay, und das ist normal“, sagte er.

Der Kompromiss sieht nach Angaben der Koalitionsparteien so aus: Bürgerkriegsflüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus, das sind vor allem Syrer, war es seit zwei Jahren verboten, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen. Ab August wird es ihnen wieder erlaubt – allerdings nur für höchstens 1.000 Angehörige im Monat zuzüglich einiger Härtefälle. Die Union präsentiert das als Erfolg, weil der Nachzug begrenzt bleibt. Die SPD präsentiert das als Erfolg, weil es überhaupt wieder einen Nachzug gibt.

Um die neue Regelung umzusetzen, muss das Parlament bis zum Sommer ein neues Gesetz verabschieden. Bis dahin bleibt der Familiennachzug ganz ausgesetzt. Über diese Übergangsregelung diskutierte der Bundestag am Donnerstag, 376 von 678 Abgeordneten stimmten nach der Debatte zu.

Für die SPD hatte die Innenpolitikerin Eva Högl die Einigung mit der Union verteidigt. Für die Sozialdemokraten sei es immer sehr schwer, den Familiennachzug „auszusetzen, zu begrenzen oder deutlich zu reduzieren“. Trotzdem sprach sie wie de Maizière von einem „akzeptablen Kompromiss, den wir auf jeden Fall mittragen werden“. Sie kündigte zudem an, im anstehenden Gesetzgebungsprozess noch mal darüber zu sprechen, wer alles von der vereinbarten Härtefallregelung profitieren wird. Die SPD will die Bedingungen dafür möglichst breit auslegen.

Anders als die Koalitionsparteien sehen die übrigen Bundestagsfraktionen die SPD als Verlierer. „Ich bin gespannt, Frau Nahles, Herr Schulz, wie Sie ihrer Partei das, was hier als Kompromiss ausgehandelt worden ist, schmackhaft machen wollen“, sagte Stephan Thomae (FDP). Der SPD-Parteitag vor zwei Wochen hatte Nachbesserungen beim Familiennachzug gefordert, ob den Parteimitgliedern die beschlossene Regelung ausreicht, ist noch unklar.

Deutliche Kritik an der Einigung kam von Linkspartei und Grünen. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem „faulen Kompromiss“. Wer seine Angehörigen nachholen dürfe und wer nicht, sei nirgends festgelegt. „Das wird ein Lottospiel, und Familie darf kein Lottospiel sein“, sagte Bartsch. Auch er stellte die SPD als Verlierer da. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sage, es gebe durch die neue Regelung keinen Anspruch auf Familiennachzug mehr. „Da hat er recht. Ersetzt wird das durch eine pure Ermessensregelung.“

Was wäre, wenn es Ihr Kind wäre?

Katrin Göring-Eckardt, Grüne

Katrin Göring-Eckardt argumentierte emotional: „Jeder Einzelne in diesem Haus sollte sich fragen: Was wäre, wenn es Ihr Kind wäre?“ Auf einer Demonstration von Betroffenen vor dem Reichtstagsgebäude habe sie am Morgen mit zwei Kindern aus Nordsyrien gesprochen, die seit zwei Jahren auf den Nachzug ihrer Eltern warteten. „Ich habe den beiden Jungs versprochen, dass ich ihnen das hier erzählen werde“, sagte sie.

Die AfD wiederum möchte den Familiennachzug komplett abschaffen. Ihr Vertreter Christian Wirth forderte am Donnerstag, Betroffene aus Deutschland zurück nach Syrien zu bringen. Der Krieg dort sei größtenteils vorbei, Familien könnten also in „Schutzzonen“ vor Ort zusammenkommen.

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2 Kommentare

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  • "Katrin Göring-Eckardt argumentierte emotional: „Jeder Einzelne in diesem Haus sollte sich fragen: Was wäre, wenn es Ihr Kind wäre?“ Auf einer Demonstration von Betroffenen vor dem Reichtstagsgebäude habe sie am Morgen mit zwei Kindern aus Nordsyrien gesprochen, die seit zwei Jahren auf den Nachzug ihrer Eltern warteten."

     

    Es gibt keine 3000 minderjährigen Flüchtlinge mit subsidärem Status und nur für einen Teil von ihnen wurde ein Antrag auf Familiennachzug gestellt. Natürlich muss hier nach Kräften geholfen werden aber bei der großen Mehrheit der Fälle (niedrige Schätzung 50 bis 70.000 Angehörige) geht es nicht um Eltern wie in KGEs Beispiel sondern um Ehefrauen und Kinder.

     

    Ich denke,das sollte jeder wissen, der wie ich auf KGEs Frage je nachdem, ob Eltern oder Kind nicht nachziehen können, eine völlig unterschiedliche Antwort geben würde.

  • Zitat: „Der Kompromiss ist die vernünftigste Art des Interessenausgleichs. Dieser Kompromiss ist nun unterschiedlich bewertet worden. Aber das ist normal.“

     

    Kompromiss? Welcher Kompromiss? Wer hat denn die Betroffenen gefragt? Thomas de Maizière ganz sicher nicht. Der hat lieber wieder über die entscheidenden Köpfe hinweg entschieden.

     

    Oh doch, es gibt Verlierer! Verlierer sind die, deren Interessen gar nicht verhandelt wurden in den Diskussionsrunden. Weil sich die, die da gekungelt haben, selber genug gewesen sind. Auch das ist „normal“. Aber „vernünftig“, werter Thomas de Maizière, ist dann doch sehr viel anders.

     

    Dieser „Kompromiss“ wird uns alle noch teuer zu stehen kommen. Der Großteil derer, die hier in Deutschland festsitzen und sich nicht wegrühren dürfen, wenn sie nicht jede Hoffnung fahren lassen wollen, doch noch 'ne Chance zu kriegen, muss sich nun weiter bis zum Wahnsinn sorgen um das Leben seiner Lieben. Schließlich: Man selber ist in Sicherheit. Die, die man liebt, nicht. Der psychischen Gesundheit kann der Spagat unmöglich zuträglich sein. Schon deswegen schadet es der Fähigkeit zur Integration. Die ist schließlich eine Leistung, für die man alle Kraft braucht.

     

    Hätte man die Betroffenen gefragt, hätten die das sicherlich erklärt. Man durfte sie nicht fragen. Weil man sich sonst nämlich hätte schämen müssen, den Wutbürgern ihren albernen Willen gelassen zu haben aus Angst vor der Bestrafung am nächsten Wahlsonntag.

     

    Übrigens: Die Formulierung, die Dietmar Bartsch mit Rücksicht auf seine Funktion gewählt hat, ist viel zu vornehm. Nein, das „Lottospiel“ ist keine „pure Ermessensregelung“. Es ist schlicht und einfach ein Ausdruck von Willkür. Und wer das nicht klar sagt, der macht sich mitschuldig.