Bundestag beschließt Ehe für alle: 393 Ja-Worte
Fraktionsübergreifend verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Öffnung der Ehe. Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmt dagegen.
Konfetti regneten herab, als das Ergebnis verkündet wurde. Volker Beck, Grüner und Vorkämpfer der Ehe für alle, hatte die Abstimmung zuvor schon als historischen Moment bezeichnet. „Die Phase der Toleranz ist beendet, die Epoche der Akzeptanz kann beginnen“, sagte Beck. Seine Fraktion gratulierte ihm mit Standing Ovations.
„Liebe Kollegen von der SPD, ich habe Sie selten so gelöst erlebt“, frohlockte der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. „Das hätten Sie auch vier Jahre lang haben können“, sagte Bartsch auf die rein rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag anspielend.
Tatsächlich war es die erste Abstimmung dieser Legislaturperiode, bei der die SPD gegen den Koalitionspartner Union gestimmt hatte, was per Koalitionsvertrag ausgeschlossen ist. Dem faktischen Koalitionsbruch hatte Kanzlerin Angela Merkel am Montag mit ihrem Auftritt in einer Talkrunde Vorschub geleistet, wo sie erklärte, sie wolle die Abstimmung über die Ehe für alle zur Gewissensentscheidung machen. Die SPD hatte die Gunst der Stunde genutzt und einen schon fertigen rheinland-pfälzischen Gesetzentwurf aus dem Bundesrat blitzschnell aus der Schublade gezogen. Daneben lagen noch quasi gleichlautende Gesetzentwürfe der Linken und der Grünen vor. Im Rechtsausschuss war sie sich am Mittwoch mit der Opposition einig geworden.
Danke Merkel
Doch selbst in den Reihen der SPD waren nicht alle in reiner Feierlaune. „Dass wir heute darüber entscheiden, ist vielleicht nicht gut für die Koalition, aber gut für die Menschen“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann zu Beginn der Debatte. Sein Kollege, Johannes Kahrs, eigentlich bekennender Anhänger der Großen Koalition, griff gar die Bundeskanzlerin mit bitteren Worten an: Sie habe sich am Montag einfach verstolpert, nachdem sie seit 2005 nichts gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen getan habe. „Das war erbärmlich, Frau Merkel. Vielen Dank für Nichts.“
Empfohlener externer Inhalt
Was ist Homophobie für dich?
![](https://taz.de/picture/2098209/14/Bildschirmfoto_2017-06-30_um_140805.png)
Noch schärfer attackierte nur die Ex-Unions- und nunmehr fraktionslose Abgeordnete Erika Steinbach die Kanzlerin von rechts. Die Ehe für alle sei eine Sturzgeburt, der Auftritt der Kanzlerin an Peinlichkeit nicht zu überbieten gewesen, sagte Steinbach, die nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Merkel wandte sich betont gelöst und lächelnd zu ihrer Regierungsmannschaft um.
Dem von Linken und Grünen unterstützten SPD-Antrag hatten sich auch einige Unionsabgeordnete angeschlossen. Einer von ihnen, der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak, outete sich schon in der Debatte: „Gerade weil ich Christdemokrat bin, bin ich für die Ehe für alle“, sagte Luczack. Denn die Ehe stünde für Verlässlichkeit und Beständigkeit, also konservative Werte. An seine Fraktion gewandt sagte er: „Gebt euch einen Ruck und stimmt zu. Das ist ein wichtiges Zeichen für moderne, tolerante, wertkonservative Politik.“ Beifall erhielt er aus der eigenen Fraktion kaum, CDU-Generalsekretär Peter Tauber klopfte ihm am Ende der Debatte auf die Schultern.
Die Gewissensfrage
Zuvor hatte der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, erklärt die Ehe für alle gerade wegen seines Gewissens nicht zu unterstützen. Er habe aber Respekt für beide Seiten.
Einen Seitenhieb auf den SPD-Justizminister Heiko Maas konnte er sich aber nicht nehmen lassen: die Erklärung des Justizministeriums, die Ehe für alle sei verfassungskonform, widerspreche einem früheren Gutachten. „Vorsicht Herr Minister, es darf nicht Eindruck entstehen, dass unter politischer Opportunität geurteilt worden ist“, warnte Kauder.
Sie freue sich über das Ergebnis, bekannte Angela Marquardt, SPD-Fraktionsmitarbeiterin und Strippenzieherin für die rot-rot-grüne Denkfabrik. „393 Stimmen für rot-rot-grün. Das wird es wohl so schnell nicht wieder geben.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben