Bundesregierung will Ruhe bewahren: Der Hitzkopf als kühler Kopf

Die Bundesregierung betont, sie bewahre kühlen Kopf. Dabei wirken ihre Schreckensbilder von den Folgen eines russischen Gasstops irre erhitzt.

Ein Mettbrötchen mit Zwiebeln liegt auf einem grünen Teller

Robert Habeck hat bei Markus Lanz den Konsum der Deutschen, inklusive Mettbrötchen, kritisiert Foto: Schoening/imago

Neulich ruft eine Supermarktkassiererin ihrem Kollegen gut gelaunt zu: „Drucks doch nicht immer so rum. Sprich einfach ganz normal mit mir!“ „Ich bin schüchtern“, antwortet er. „Du? Bist doch sonst so ein Hitzkopf“, sagt sie und fragt einen Kunden: „Was meinen Sie?“ „Ich bin auch schüchtern“, antwortet er. Und während alle lachen, noch: „Ich bin auch Team Kühler Kopf.“

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Vor wenigen Wochen hätte mir diese Szene nicht weiter zu denken gegeben, auch nicht der Umstand, dass der Kollege und der Kunde einen wesentlich geringeren Melaninanteil in Haar und Haut haben als die Kassiererin. Doch seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine sind meine Sensoren für deutsche Verdruckstheit in höchster Alarmbereitschaft. Zwanghaft unterziehe ich alles, was ich höre und sehe, einem Deutschtest. Dabei hatte ich diese Schnäppchenmarktsoziologie des „Typisch deutsch“-Urteils längst in mein persönliches Museum für Ur- und Frühgeschichte gestellt. Für Gegenwartsdiagnosen schien es mir eher unbrauchbar, unzureichend, unlustig geworden zu sein.

„Typisch deutsch“ meint: Lieber nichts als das Falsche sagen und schon gar nicht tun. Lieber Team Kühler Kopf als Team Hitzkopf. Lieber mal abwarten, als was riskieren. Lieber vor Hitler warnen, als Hitler bekämpfen. Lieber raushalten als einmischen. So ungefähr jedenfalls, denn so eine Landsleute-Pauschalisierung ist ja kein Laborwert.

Die deutsche Haltung irritiert im Angesicht des Ukrainekrieges inzwischen Leute, die eher konservativ als linksradikal sind, eher Systeme stabilisieren als stürzen wollen und von estnischen Politikern bis zu deutschen Ökonomen reichen.

Während sich die deutsche Regierung als Team Kühler Kopf inszeniert, stellt sie ihre Kritiker als unverantwortliche und ahnungslose Hitzköpfe dar. Dabei sind es die kritisierten Ökonomen, die kühlen Kopfes Modelle berechnen. Und es ist die Regierung, die immer erhitztere Szenarien entwirft: In den Debatten über Swift und Gashähne erwecken diese heißgelaufenen Horrorbilder den Eindruck, die drohende Verwüstung der deutschen Wirtschaft gleiche den Ruinen Mariupols am Tag 26 nach der Belagerung durch Putins Armee.

Die Rede von den „Hunderttausenden Arbeitslosen“ suggeriert, die 2020er könnten die 1920er Jahre werden, die Deutschen wieder Hitler wählen, wenn sie altes Brot essen und alte Klamotten auftragen müssen. Die einzige deutsche Firma, die diese Szenarien lautstark mitmalt? BASF. Ausgerechnet die deutsche Firma, die mit russischem Gas eng verbandelt ist und mit giftigem Gas historische Erfahrungen hat.

Das alles ist, um es typisch deutsch zu sagen: verstörend.

Die Mehrheit der Deutschen aber sind laut Umfragen zurzeit null hysterisch und sind bereit, für die Unabhängigkeit vom russischen Gas zu zahlen. Ist also der Finanzminister eher ein Hitzkopf als ein Kühler Kopf, da er die Ukraine völlig falsch einschätzte und keine Waffen liefern wollte? Ist der Wirtschaftsminister wirklich Team Kühler Kopf, wenn er den Verzehr von Mettbrötchen als Teil einer „Spur der Verwüstung“ bezeichnet, die wir alle täglich hinterließen, und damit ein Verbrechen assoziiert, das gerade Putin in der Ukraine begeht?

Mir wird zurzeit jedenfalls immer sehr heiß im Kopf, wenn ich deutschen Politikern zuhöre. Ich hoffe, die kommen bald wieder ins Team Kühler Kopf.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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