Bundesregierung gegen EU-Taxonomie: Atom bremsen, Gas geben
Die Regierung lehnt die EU-Kriterien für nachhaltige Investitionen ab. Kernkraft gehöre nicht da rein. Beim Erdgas hätte sie es aber gerne lascher.
Darin drohte die Regierung mit einer Ablehnung, wenn der umstrittene „delegierte Rechtsakt“, den die Kommission Mitte nächster Woche erlassen will, nicht nachgebessert werde. Die grünen Klimaminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke erklärten: „Sollte der delegierte Rechtsakt unverändert bleiben und die Kommission die kritischen Stellungnahmen etlicher Mitgliedsstaaten und auch unsere unberücksichtigt lassen, sollte Deutschland ihn unserer Meinung nach ablehnen.“ Ob Deutschland sich einer möglichen Klage anderer Staaten anschließt, ist noch unklar. Die Mitgliedsstaaten oder das Parlament können den Erlass allerdings wegen der komplizierten Mehrheitsverhältnisse in der EU kaum verhindern.
Die EU-Kommission hatte am 31. Dezember den Mitgliedsstaaten ihren Vorschlag für einen „delegierten Rechtsakt“ geschickt, der die Details zur „grünen Taxonomie“ regeln soll. Darin stehen Kriterien, wann eine Investition in der EU als nachhaltig gilt. Unter bestimmten Bedingungen hatte die Kommission auch Geld für den Ausbau der Atom- und Gasindustrie aufgenommen. Das hatte zu einer Welle des Protestes in Europa geführt: Das Etikett „grün“ für die Atomkraft wird von Umweltgruppen und Staaten wie Österreich und Luxemburg kritisiert. Die Aufnahme von Gas hatten etwa „Fridays for Future“ als „Schlag ins Gesicht der Klimabewegung“ bezeichnet.
2036 nur ein „Richtwert“
Im Einzelnen erklärt die Bundesregierung: „Atomenergie ist nicht nachhaltig“ und gehöre deshalb nicht in die Taxonomie. Das Risiko von Unfällen und die ungelöste Endlagerfrage sprächen dagegen, Investitionen in die Nukleartechnik grün zu etikettieren.
So sehr die Bundesregierung Atom als grünes Investment ablehnt, so sehr macht sie sich für laschere Regeln bei Investitionen in Erdgas stark. „Auch die Nutzung von Erdgas ist langfristig nicht nachhaltig“, schreibt sie. Allerdings „bildet fossiles Gas in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen begrenzten Übergangszeitraum eine Brücke, um den schnellen Kohleausstieg zu ermöglichen.“ Damit Gaskraftwerke erneuerbare Energien ergänzen können, die Stromversorgung sichern und schnell auf Wasserstoff umgestellt würden, brauche es allerdings „Verbesserungen an technischen Kriterien“ zur Taxonomie, so die deutsche Forderung.
So seien Emissionsgrenzen für Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung in der Industrie und für Fernwärme in Gebäuden notwendig. Vor allem findet die Regierung die Regeln und Zeitrahmen zu streng, nach denen Gaskraftwerke von fossilem auf grün erzeugtes Gas umsteigen sollen: Die Zwischenschritte für 2026 und 2030 seien nicht zu schaffen, und der Wechsel zu 100-prozentigem grünem Gas in 2036 könne nur ein „Richtwert“ sein, weil unsicher sei, dass bis dahin genug grünes Gas auf dem Markt ist.
In einer ersten Reaktion kritisiert die Linksfraktion, dass die Regierung den „Brandbeschleuniger der Klimakatastrophe“ als nachhaltige Investition bezeichne. Auch die Deutsche Umwelthilfe stört sich am „Jein zur Aufnahme fossiler Erdgaskraftwerke“. Selbst wenn sie notwendig seien, mache das die Technik „noch lange nicht zu einer grünen Technologie“, erklärte Geschäftsführer Sascha Müller-Kränner. „Deshalb muss sich die Regierung der von Österreich und Luxemburg angekündigten Klagen gegen den Taxonomie-Rechtsakt anschließen.“
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