Bundeskongress der Jusos: Linke gegen Linken
Wer wird neue/r Juso-Vorsitzende/r? Zwei Bewerber:innen aus dem linken Lager treten an. Die Beiden eint ihre Kritik an der Ampel.
Völlig offen ist dagegen, wer neue:r Juso-Bundesvorsitzende:r wird. Hier treten mit Sarah Mohamed und Philip Türmer zwei ähnlich aussichtsreiche Bewerber:innen gegeneinander an. Eine solche Konkurrenz um den Vorsitz gab es zuletzt vor 10 Jahren. Die 300 Delegierten des Bundeskongresses haben die Wahl zwischen zwei Kandidat:innen aus dem linken Lager, die für unterschiedliche Schwerpunkte stehen.
Die 32-jährige Mohamed lebt in Bonn, wo sie Geschichte und Philosophie studiert hat. Als Jugendliche war sie in antifaschistischen Gruppen aktiv, über die Hochschulpolitik kam sie zu den Jusos. Sie setzt sich offensiv für die Rechte von Minderheiten ein, beschreibt sich selbst als queere Schwarze Frau und will Kämpfe für Gleichberechtigung mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit verbinden. „Mir ist wichtig, dass wir als Jusos wieder mehr Anschluss finden an die Klimabewegung, an antirassistische und feministische Bewegungen“, sagte sie der taz, nachdem sie im September ihre Kandidatur erklärt hatte. Sie wolle die Jusos „wieder sichtbarer als aktivistische Jugendorganisation“ machen.
Linke gesellschaftliche Bewegungen zusammenzuführen ist aber auch das Anliegen von Philipp Türmer. In seiner Kandidatur erklärt er: „Die Gemeinsamkeit klima-aktivistischer, gewerkschaftlicher, feministischer und antirassistischer Bewegungen, ist der Kampf gegen den Kapitalismus.“
Kritik an Scholz und Faeser
Große inhaltliche Differenzen zwischen beiden Kandidat:innen gibt es also nicht, es sind eher Nuancen. Sein Schwerpunkt liege stärker auf dem Thema Verteilungsgerechtigkeit, erklärt Türmer. Der studierte Ökonom arbeitet derzeit an seiner juristischen Promotion. Thema: „Die Einziehung von Vermögenswerten im Strafrecht.“
Beide eint zudem, dass sie den gegenwärtigen Kurs der SPD in der Regierung kritisch sehen und eine eigene Kandidatur für den Bundestag ausschließen. Während Mohamed den starken nordrhein-westfälischen Landesverband hinter sich hat, kann der Hesse Türmer auf ein gutes Netzwerk innerhalb der Jusos zählen. Die scheidende Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal hat es öffentlich vermieden, sich auf eine Seite zu schlagen.
Spannend werden sicher auch die Debatten zu aktuellen politischen Themen, bei denen Jusos die SPD-geführte Ampel scharf kritisieren. Das ist zum einen die Asylpolitik. Sarah Mohamed sieht beim Thema Asyl „rote Linien überschritten.“ Die Politik der Ampel trage rassistische Züge, sagte sie der taz und das trage zum gegenwärtigen unterkühlten Verhältnis der Jusos zur SPD bei.
Mohamed kritisiert vor allem den Kurs von Innenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz und deren von rechts getriebene Tonalität, man müsse jetzt in großem Stile abschieben. „Es ist an der Zeit, dass Menschen in der SPD dagegen aufstehen und klare Kante zeigen“, so Mohamed.
Im Leitantrag des Bundesvorstands lehnen die Jusos die Einrichtung von Lagern an den Außengrenzen, ein wesentliches Element der von Faeser mitverhandelten Reform des europäischen Asylsystems, ab. Sie fordern stattdessen sichere Fluchtrouten und legale Fluchtmöglichkeiten. Jeder Mensch, der vor Verfolgung oder Armut fliehe, verdiene Schutz und Asyl in der Europäischen Union.
Ein weiteres aktuelles Thema, welches auf dem Bundeskongress wohl ebenfalls zur Sprache kommen wird, sind die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte am Mittwoch entschieden, dass die Ampelregierung verfassungswidrig handelte, als sie nicht abgerufene Kredite aus Zeiten der Corona-Pandemie in den Klimafonds umwidmete. Nun fehlen 60 Milliarden Euro für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.
Schuldenbremse abschaffen
„Wenn dieses Geld im Klimafonds wegfällt, sehe ich schwarz für die Klimaziele“, so Türmer, die Ampel müsse deshalb jetzt fiskalpolitisch umsteuern. „Das einzig Richtige wäre es, die Schuldenbremse abzuschaffen oder zumindest auszusetzen. Dazu kann die Regierung den Klimanotstand ausrufen.“
Für eine Abschaffung der grundgesetzlichen Schuldenbremse bräuchte die Ampel eine Zwei-Drittel-Mehrheit und die Stimmen der Union. Doch die ist absolut dagegen. In einer akuten Krise könnte der Bundestag die Schuldenbremse aber auch mit einfacher Mehrheit aussetzen. Allerdings spielt die FDP nicht mit, die auf der Bremse besteht.
Die Jusos fordern in ihrem Leitantrag die Abschaffung der Schuldenbremse – „und das Urteil aus Karlsruhe hat uns in dieser Forderung bestärkt“, so Türmer.
Egal, wer sich am Ende durchsetzt: Die SPD kann sich wohl darauf einstellen, dass die Jusos, die sich traditionell als linke Antreiberin ihrer sozialdemokratischen Mutterpartei verstehen, in Zukunft wieder aufmüpfiger und fordernder auftreten. Hubertus Heil, SPD-Arbeitsminister mit Juso-Vergangenheit, und Kevin Kühnert, Generalsekretär und ehemaliger Juso-Bundesvorsitzender, die am Samstag als Gastredner zum Bundeskongress kommen, können sich schon einmal warm anziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland