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Bundesdelegiertenkonferenz der GrünenAb jetzt ist das Motto: Habeck oder Barbarei

Die Grünen hoffen, vom Flirt der CDU mit der AfD zu profitieren. Rote Linien oder eine Absage an Schwarz-Grün gibt es auf ihrem Parteitag aber nicht.

Sieht die Wahl als „Weichenstellung“: Robert Habeck mit Parteichefin Franziska Brantner auf dem Grünen-Parteitag in Berlin Foto: dpa

Berlin taz | Am Sonntagmittag geht es für einen kurzen Moment um eine der Wahlkampfpannen, mit denen sich die Grünen das Leben selber schwermachen. Susanne Hilbrecht, Delegierte aus der Parteibasis in Schleswig-Holstein, steht auf der Bühne der Berliner Messehalle. Sie spricht über den Grünen-Vorschlag, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben – was Robert ­Habeck vor zwei Wochen vorgeschlagen hatte, ohne zu erwähnen, dass Klein­spare­r*in­nen ausgenommen sein sollen.

„Was ihr uns hier geboten habt, hat zumindest bei uns an den Wahlkampfständen einiges an Unruhe verursacht“, sagt Hilbrecht über den Aufruhr, der danach durchs Land ging.

Aber viele Zu­hö­re­r*in­nen hat sie in diesem Moment nicht: Die Rede von Kanzlerkandidat Robert Habeck ist schon zwei Stunden her, bis zu der von Annalena Baerbock ist es noch eine Weile hin. Viele Delegierte des eintägigen Grünen-Parteitags holen sich gerade einen Kaffee oder tratschen in den Gängen. Die Debatte über die Kapitalerträge, die Affäre um den geschassten Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar und die Tatsache, dass die Umfragewerte der Grünen im Moment wieder leicht zurückgehen: Zur Prime Time ist davon keine Rede.

Im Gegenteil: „Was in den letzten Wochen, in den letzten zweieinhalb Monaten passiert ist, übertrifft alle Erwartungen“, sagt am Vormittag Robert Habeck zu Beginn seiner Rede. Der Grünen-Wahlkampf, meint er, läuft super.

Stunde Null dank Merz

Wozu soll er die Pannen auch erwähnen? Wenn nicht alles so ernst wäre, könnten die Grünen am Montag einen Präsentkorb ins Büro von CDU-Chef Friedrich Merz schicken lassen. Nachdem der Unions-Kandidat als Reaktion auf den Messer-Angriff von Aschaffenburg radikale Verschärfungen des Asylrechts forderte und sich dabei auch in Richtung AfD öffnete, fragt von den Jour­na­lis­t*in­nen auf dem Grünen-Parteitag kaum noch jemand nach den Geschichten der letzten beiden Wochen. Die Agenda hat sich geändert. Und die Grünen – bei aller ehrlichen Bestürzung über Merz’ neuen Kurs – wittern ihrerseits eine neue Chance für ihren Wahlkampf.

Knapp 25 Minuten spricht Habeck vor den Delegierten und den größten Teil seiner Rede widmet er der Gefahr, dass die Konservativen in Zukunft wirklich mit der AfD zusammenarbeiten könnten. „Wir sehen in Europa, dass die Dinge ins Rutschen geraten“, sagt er. Für ihn gelte weiter, dass „die Gemeinsamkeiten der demokratischen Parteien der Mitte immer stärker sein müssen als die Nähe zu den rechtsradikalen Populisten“. Ob es dabei in Deutschland und der EU bleibt, sei eine „entscheidende Weiche in diesen Jahren, die nicht falsch gestellt werden darf“.

Und weiter, mit Verweis auf die drohende Regierungsübernahme der FPÖ in Österreich: „Wenn es in Österreich passieren kann, kann es auch in Deutschland passieren. Die Entscheidung, ob es passiert, steht jetzt zur Wahl.“ Bei den Grünen im Saal kommt dieser Sound gut an: Wenig später gibt es Standing Ovations, als Habeck vom „besten Deutschland, dass wir jemals hatten“ redet, dass es zu verteidigen gelte. Der genaue Wortlaut geht im Beifall unter.

Schon mal gescheitert

Doch bei aller Begeisterung unter den Delegierten: Falls das ab sofort wirklich der Wahlkampfschwerpunkt der Grüne sein sollte, ist nicht gesagt, dass sie bei der Wahl auch wirklich davon profitieren. Schon bei den Landtagswahlen im Osten im vergangenen Jahr hat die Partei stark auf das Thema „Demokratie retten“ gesetzt. Das Ergebnis, wie Umfragedaten nahelegen: Ihre An­hän­ge­r*in­nen sind zwar zur Wahl gegangen, haben dann aber nicht für die (im Osten kleinen) Grünen gestimmt, sondern für die jeweiligen Amtsinhaber von SPD und CDU. Ziel vieler Wäh­le­r*in­nen war es offenbar, die AfD als stärkste Partei zu verhindern.

Jetzt ist die Konstellation freilich etwas anders. Auf welcher Seite die Union steht, ist nach den letzten Tagen ja nicht mehr ganz eindeutig. Habeck hegt die Hoffnung, CDU und CSU Wäh­le­r*in­nen abnehmen zu können, die von einem Rechtskurs nichts halten. In seiner Rede erinnert an die Deko früherer CDU-Parteitage. „Die Mitte“ habe auf den Kulissen gestanden. „Diese Mitte ist jetzt leer“, sagt Habeck.

Und die SPD? Anders als zuletzt bei den Ost-Wahlen hat sie in den bundesweiten Umfragen nur einen kleinen Vorsprung vor den Grünen. Für eine Zuspitzung des Wahlkampfs auf ein Duell zwischen Merz und Scholz spricht also nicht viel. Und um sicherzugehen, dass es dabei bleibt, erwähnt Habeck auf dem Parteitag den amtierenden Kanzler aus der SPD noch nicht mal.

Rückenwind oder Misstrauen?

Umso ausführlicher reden die Grünen an diesem Tag über die Demonstrationen gegen rechts, die es an diesem Wochenende gab und die an die große Protestwelle des vergangenen Winters anknüpfen könnte. „Wir sehen, dass auf einmal das Land wach wird“, sagt Habeck. Fraktionschefin Britta Haßelmann berichtet in ihrer Rede, dass sie am Samstag selbst am Brandenburger Tor demonstriert habe. „Jede und jeder Einzelne dort hat gespürt: Es kommt auf sie, auf ihn an, dort präsent zu sein.“

Allerdings: Als die Demonstrationswelle des letzten Jahres abebbte, hatte sich unter vielen Teil­neh­me­r*in­nen ein Gefühl der Enttäuschung eingestellt. Eine erkennbare Resonanz in der Politik hatte der Protest damals nicht gefunden. Der Rechtsruck setzte sich nicht nur bei Wahlen fort. Die Bundesregierung, unter Beteiligung der Grünen, verschärfte die Asylgesetze. Auf ein Demokratiefördergesetz konnte sich die Ampel dagegen bis zum Schluss nicht einigen.

Unter Teilen der Wählerschaft könnte sich Misstrauen gehalten haben. Und es könnte jetzt noch mal angefacht werden. Den Grünen ist es ja weiterhin ein großes Anliegen, auch nach der Wahl zu regieren. Neben Schwarz-Grün haben sie im Moment aber keine realistische Machtoption. Und nach den letzten Tagen müssten sie dafür inhaltlich wohl noch einige Schritte mehr auf die Union zugehen, als ohnehin schon absehbar war.

Bereitschaft dazu scheint noch da zu sein: Bei aller Kritik an Merz formuliert auf dem Parteitag niemand aus der Grünen-Führung rote Linien für mögliche Koalitionsverhandlungen. Geschweige denn, eine grundsätzliche Absage an Schwarz-Grün. Stattdessen setzen die Spitzen-Grünen darauf, dass es in der Union innere Bruchlinien geben könnte und dass der weitere Kurs der Konservativen noch keine beschlossene Sache ist. Als Appell formuliert das unter anderem Haßelmann: „Ich kenne so viele engagierte Leute auch in der CDU. Aber was ist bei euch los, wo ist der Kompass?“, sagt sie.

Wolkig im Wahlprogramm

Ein Wahlprogramm beschließen die Grünen an diesem Tag nebenbei auch noch. Friedrich Merz kommen sie dabei nicht direkt entgegen. Gegenüber dem Entwurf des Parteivorstands aus dem Dezember konnte der linke Flügel einige Ergänzungen durchsetzen – auch im Kapitel zur Migration.

„Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es jetzt zum Beispiel. Oder: „Die Menschenrechte sind unverhandelbar“.

Viele der Änderungsanträge wurden in Verhandlungen aber auch noch abgeschwächt. So wollen sich die Grünen nicht „gegen Verschärfungen“ im Asylrecht stellen, wie es die Grüne Jugend beantragt hatte. Sondern, wolkiger formuliert: gegen „reine Symbolpolitik und einen Kurs der Asylrechtsverschärfungen, die nur zu Lasten der Schutzsuchenden gehen“. Wieder andere Anträge scheiterten komplett, zum Beispiel einer, der die Möglichkeit des Familiennachzugs auch auf die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten ausweiten wollte.

Falls die Union also doch wieder zu einer Politik der Kompromisse zurückkehrt: Mit den Grünen ließe sich noch was machen.

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13 Kommentare

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  • Friedenspolitiker (darunter eine ehemaliger Bundeswehr-Offizier), die die Partei einst gegen die Aufrüstungspolitik von Helmut Schmidt gründeten und auf dem Parteitag sprachen, wurden mit ihren Änderungsanträgen zu fast 100 Prozent niedergestimmt. Darunter ein Antrag, die Habeksche Aufrüstungspolitik von mehr als 3 Prozent des BIP intensiver diskutieren zu wollen.



    Ein Grüner aus einem grünen galischen Dorf in der Eifel, wies gegen den Parteitrend darauf hin, dass deutsche Soldaten im Fall eines Krieges völkerrechtswidrg in der Eifel gelagerte US-Atombomben mit Jets bis nach Russland tragen könnten. Vollkommen egal aus Sicht der Delegierten.

    Die Grünen sind längst eine Machtmaschine wie die CDU geworden. Kompromisse in der Asylpolitik werden sich nach einigen hin und her nach der Bundestagswahl mit der CDU schnell finden, auch in der Asylpolitik, zumal die NRW-CDU genau das will. Die CSU wird sich das teuer erkaufen lassen.



    Die Linke zu wählen ist aufgrund der massiven Aufrüstung, die soziale Kürzungen bedeuten muss, alternativlos. Die Linke wird aufgrund abtrüniger Grünen- und SPD-Wähler locker über 5 Prozent kommen.

    • @Lindenberg:

      Das sehe ich so wie Sie!



      .



      P.s. Berichten Sie aus erster Hand, also vom Parteitag, oder gibt es irgendwo Quellen für alle, in denen sich nachlesen liesse, was beantragt und wie abgestimmt wurde? Wäre daran sehr interessiert!

    • @Lindenberg:

      Die Alternativlosigkeit für linke/kritische SPD’ler und Grüne, bei dieser BTW die Linkspartei zu wählen, sehe ich genau so gegeben wie Sie. Nur bin ich nicht so optimistisch anzunehmen, dass die Linke die 5%-Klausel tatsächlich auch schaffen kann.

      • @Abdurchdiemitte:

        Die Linkspartei ist doch die Partei die der Ukraine die Waffen verweigern will, die die Ukraine benötigt, um sich gegen den vom Zaun gebrochenen Angriffskrieg von Russland zu wehren benötigt.

        Also ist diese Partei, da Russland nicht wirklich verhandeln will, bei dieser BTW leider nicht wählbar.

        Nach einem gerechten Frieden Ukraine-Russland wahrscheinlich ja.

        • @Whatever1984:

          Wenn Sie Ihre Wahlentscheidung alleine durch das Nadelöhr der Haltung der Parteien zum Ukrainekrieg zwängen wollen und alle anderen Themen für Sie irrelevant sind, dann bitte, ich will Sie nicht aufhalten.



          Wenn Deutschland dann allerdings weiter braun eingefärbt, der Sozialstaat gänzlich zerschlagen wird und Menschenrechte nur noch ein Thema für Sonntagsreden sind, kommen Sie nicht an beschweren sich bei mir.



          Bei meinem heutigen Einkauf in der Stadt blitzte mich die schöne Sahra von einem Wahlplakat an: „Deutschland will Frieden!“ Komisch, dachte ich mir, ich wusste garnicht, dass Deutschland sich überhaupt mit irgend wem im Krieg befindet. Ich möchte allerdings, dass das auch so bleibt.



          Also, die Freunde Putins würde ich eher immer noch bei der AfD und dem BSW verorten (und in der sächsischen CDU😉).

  • Merz entwickelt sich zum Vollsverhetzer. Gut, dass die Grünen eine Version eines bunten, offenen Deutschlands noch nicht vergessen haben



    Bei den Linken war diese Zukunft für D allerdings stets präsent.

    • @Michael Witek:

      Mich dünkt, das diese Vision der deutschen Zukunft gegenwärtig in der Gesellschaft nicht mehrheitsfähig ist.

  • Offensichtlich ist Migration das entscheidende Thema dieser Wahl.



    Die Grünen wollen noch mehr vom bisherigen.



    Die AfD will das absolute Gegenteil.



    Bei SPD und CDU bin ich mir nicht sicher, was die überhaupt wollen. Vielleicht wissen sie es selbst nicht

    Aber für jeden Wähler ist was dabei

  • Echt die sehr dunkel grünen, bis schon in schwarz rein Verfärbten? Sorry, die Linke oder Barberei! Wenn, wir keine Antwort auf die viel zu reichen und damit viel zu mächtigen finden leben wir bald in einer total überwachten, ethnisch reinen Tech-Autokratie.

    • @Lui:

      Hallo Lui



      Den Step von Habeck zu "1984" müssten Sie mir mal bitte näher ausführen. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie anführen, die Grünen würden sich der CDU anbiedern, nur um regieren zu können. Was ich persönlich für Mumpitz halte, aber nun gut.

      Aber wie die Linke das nun retten soll, ist mir schleierhaft. Die Mitglieder:innen würden sich vermutlich am Begriff "Barberei" so zerstreiten, dass sie sich abermals teilen würden. Das ist doch die Kernkompetenz

  • naja, ich möchte mal noch eine weitere Alternative anbieten:



    Nachdem sich die nationalen (sozialistischen) Teile in das BSW verabschiedet haben, ist seit Langem mal wieder Die Linke eine echte Möglichkeit, wirklich links zu wählen.

    Ich glaube nicht, dass mit dem "Du, ich bin der Robert, ich bin Dein Mensch Robert" eine wirklich linke Alternative gewählt werden kann.



    Da geht es am Ende nur darum, sich mit dem bayrischen S-Anhängsel der CDU zu streiten, wer welchen Ministerposten bekommt...

  • Merz hat es wohl versemmelt und bekommt das nicht mehr in die Flasche. Sauerlandrente ist auch schön.



    Denkbar ist nun sogar eine AfD mit mehr Stimmen als die rasant abschmelzende Union.



    Natürlich aktiviert das zusammen mit Bürgerprotesten die Parteien der Mitte, die das internationale Recht kennen und teils schon 1933 den damaligen Demokratiefeinden die Stirne boten.

  • Standing Ovations, als Habeck vom „besten Deutschland, dass wir jemals hatten“ redet?

    War das Höchstalter der Delegierten auf sieben Jahre limitiert?

    Und ab jetzt das Motto: Habeck oder Barbarei?

    Sorry, Menschen, die über 25 Jahre alt sind, werden jetzt denken, aber hallo, das Land verroht seit 10 Jahren, und Barbarei ist längst allgegenwärtig. Einfach mal in die Zeitungen schauen!

    Habeck ist auf vielen Wahlplakaten mit dem Slogan "Zuversicht" zu sehen. Niemand, der Wirtschaftszeitungen liest, wird bei Habeck an "Zuversicht" denken. "Absturz" trifft es eher.

    Fazit: Das Land wird voll gegen die Wand gefahren und verliert auf allen Ebenen!

    Mit den Grünen wird sich das weiter fortsetzen.