Bundesamtschef über Atommülllagersuche: „Vertrauen kann man nicht verordnen“
Wolfram König, Chef des zuständigen Bundesamts, verspricht breite Beteiligung bei der Endlagersuche. Entscheiden müsse am Ende aber die Politik.
taz: Herr König, wie viele Flaschen Champagner haben Sie aufgemacht, als vor gut zwei Wochen Gorleben als Endlager ausgeschlossen wurde?
Wolfram König: Ich glaube, Champagner können wir erst trinken, wenn das Problem der Endlagerung gelöst ist. Mit dem Wegfall von Gorleben ist ein wichtiges Zeichen gesetzt worden, dass das Verfahren sehr ernst genommen wird. Und die, die jahrzehntelang gegen Gorleben gekämpft haben, haben allen Grund, sich zu freuen. Aber unsere Aufgabe ist nun, die Erfahrungen, die wir mit Gorleben gemacht haben, zu nutzen, um ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu finden, das die besten Sicherheitsbedingungen in Deutschland bietet.
Sie haben schon 2011 in einem taz-Interview die Festlegung auf Gorleben kritisiert, was Ihnen Ärger eingebracht hat. Sie müssen sich doch freuen, recht gehabt zu haben.
Zumindest hat mir die Forderung nach einem Standortvergleich nicht nur Beifall eingebracht. Für mich war wichtig, dass Gorleben nicht zum Referenzfall werden darf, dass sich also nicht weiterhin beide Seiten nur an diesem Standort abarbeiten.
Waren Sie von der Entscheidung denn überrascht?
Ich war als Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz 18 Jahre lang Betreiber von Gorleben. Ich kenne die Schwächen des Salzstocks sehr gut. Darum war mir immer klar, dass Gorleben in einem vergleichenden Verfahren herausfallen wird. Nicht ganz so klar war, ob es schon im ersten Schritt herausfallen muss. Wieso das der Fall ist, wird die Bundesgesellschaft für Endlagerung, BGE, auch im Beteiligungsverfahren sicherlich intensiv und gut beantworten.
Ist die frühe Entscheidung aus Ihrer Sicht für das weitere Verfahren eher hilfreich oder eher schädlich?
Auf der einen Seite unterstreicht es die Ernsthaftigkeit des vergleichenden Verfahrens und zeigt, dass es eben – anders als von vielen Kritikern behauptet – keine Vorfestlegung auf Gorleben gegeben hat. Auf der anderen Seite interpretieren interessierte Kreise es so, dass angeblich doch eine politische Einflussnahme erfolgt sei. Ich bin sicher, das wird die BGE aber deutlich widerlegen können. Möglicherweise gibt es aber noch ein weiteres Problem: Das Interesse am Verbleib des Atommülls hat ohnehin schon nachgelassen, seit klar ist, dass Deutschland aus der Atomenergie aussteigt. Durch das Ausscheiden von Gorleben, das ja für eine ganze Generation ein wichtiges politisches Symbol war, könnte das Interesse der Zivilgesellschaft nachlassen, wie wir ein Endlager finden. Die Abfälle verschwinden ja nicht dadurch, dass Gorleben jetzt aus dem Verfahren genommen wurde.
Der 62-jährige Ingenieur ist seit über 20 Jahren Deutschlands oberster Atommüll-Aufseher: Seit 2016 ist er Präsident des neuen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Zuvor leitete er ab 1999 das Bundesamt für Strahlenschutz; eingesetzt worden war er damals vom grünen Umweltminister Jürgen Trittin.
Rechnen Sie trotzdem damit, dass es bei den Konferenzen, die an diesem Wochenende beginnen, ordentlich Krawall gibt?
Viele Reaktionen aus den Regionen machen nicht unbedingt den Eindruck, dass sie dazu beitragen wollen, das Verfahren konstruktiv zu begleiten. Sondern die erste Reaktion ist: Bei uns nicht! Meine Aufgabe als Atomaufsicht für die Endlagerung ist es dagegen, zu schauen, wie wir mit breiter Beteiligung das Ziel erreichen, am Ende ein Endlager zu errichten. Das Verfahren wird verhindern, dass es ein zweites, drittes und viertes Gorleben geben wird.
Im ersten Schritt sind 54 Prozent der Fläche Deutschlands zum potenziellen Endlager-Standort erklärt worden. Wie soll da die Beteiligung der Öffentlichkeit funktionieren?
Es hat auch mich überrascht, dass eine derart große Fläche ausgewiesen worden ist. Das ist einerseits positiv, weil es zeigt, dass es mehr geologisch geeignete Flächen in Deutschland gibt als bisher angenommen. Aber der große Anteil führt auch dazu, dass bei vielen der Eindruck existiert: Es wird uns schon nicht treffen. Aber damit müssen wir jetzt umgehen. Und zur ersten Sitzung der Fachkonferenz, die an diesem Wochenende als Online-Format stattfindet, gibt es dennoch schon über 700 Anmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern, aus der Kommunalpolitik, aus der Wissenschaft und von Verbänden.
Innerhalb von einem Dreivierteljahr soll dann von den 54 Prozent der Landesfläche weniger als 5 Prozent übrig bleiben – ohne dass neue geologische Daten erhoben werden. Wie will man verhindern, dass das irgendwie willkürlich wirkt?
Willkürlich ist es schon deswegen nicht, weil es genaue gesetzliche Vorgaben für den Vorhabenträger und die Aufsicht gibt und die Zivilgesellschaft genau hinschauen wird. In der nächsten Phase hat die BGE die Aufgabe, anhand der bestehenden Kriterien eine vertiefte Bewertung durchzuführen – durch Zusammenführung der geologischen Informationen, die bisher vorliegen. Das soll zügig geschehen, damit die Kommunen Klarheit bekommen und die Diskussionen sich auf diejenigen Regionen konzentrieren können, die näher zu untersuchen sind.
Aus der Anti-Atom-Bewegung wird kritisiert, dass die Menschen aus den betroffenen Regionen zwar Einwände vorbringen dürfen. Aber wirklichen Einfluss haben sie nicht. Am Ende entscheidet die BGE allein, welche Kritik an ihren eigenen Vorschlägen sie berücksichtigt und welche nicht.
Die BGE hat zugesagt, sich mit allen Einwänden und Anregungen auseinanderzusetzen. Um es aber ganz klar zu sagen: Es gibt eine Mitwirkung, aber keine Mitentscheidung über den Standort. Am Ende entscheidet die Politik, die dafür durch Wahlen legitimiert ist. Und diese Verantwortung darf sie auch nicht an irgendjemanden delegieren. Entscheidend ist, dass im Prozess bis dahin deutlich wird, dass transparent und nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen wird. Ich glaube, bei aller Kritik wären mehr Gelassenheit und Vertrauen ins Verfahren nötig. Auch die Befürchtung mancher, dass das Verfahren nur dazu dient, Gorleben zum Endlager zu machen, hat sich ja schon jetzt als unbegründet herausgestellt.
Am kommenden Wochenende beginnt die große öffentliche Debatte über die Suche nach einem atomaren Endlager für 1.900 Castorbehälter. Bei einer virtuellen Konferenz wird am Samstag die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren „Zwischenbericht Teilgebiete“ im Detail präsentieren. Demnach sind 54 Prozent Deutschlands geologisch für ein Endlager geeignet.
Der umstrittene Standort Gorleben wurde ausgeschlossen. Am Sonntag sollen die bisher etwa 700 angemeldeten Teilnehmer:innen (Beteiligung ist nach Registrierung möglich, die Debatte im Netz zu verfolgen) sich einigen, wie das Verfahren weiter organisiert wird. Weitere Konferenzen sind für 2021 geplant, in Darmstadt, Kassel und Berlin. Dabei können Einwände und Anregungen zum BGE-Bericht eingebracht werden.
Im weiteren Verfahren schlägt die BGE unter Aufsicht des BASE die ober- und später unterirdische Erkundung einiger Regionen vor. 2031 soll der Bundestag einen Standort beschließen.
In der Atomdebatte gibt es seit Jahrzehnten viel Misstrauen. Wie soll denn dieses Vertrauen jetzt entstehen?
Vertrauen kann man nicht verordnen. Aber wir tun, was möglich ist: Die im Gesetz vorgesehene Beteiligung in drei Konferenzterminen innerhalb eines halben Jahres haben wir um drei Monate verlängert und um einen zusätzlichen Termin zum Auftakt erweitert, damit sich jeder schon früh informieren und einbringen kann. Daneben gibt es das nationale Begleitgremium, das den Prozess begleitet, und uns als Behörde, die ihn überprüft.
Wie sehr hilft es dem Verfahren, dass zusätzlich zum Endlager für hochradioaktiven Müll ein weiteres für schwach- und mittelradioktiven Abfall gesucht wird – und zwar möglichst am selben Standort?
Da wird im Moment nichts gesucht. Es stimmt, wir brauchen ein weiteres Endlager für den Abfall aus der Asse und weitere Stoffe, die nicht nach Schacht Konrad dürfen, das Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Aber im Gesetz steht im ersten Paragrafen: Die Suche wird konzentriert auf einen Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle. Erst wenn ein Standort ausgesucht ist, soll geschaut werden, ob er sich für ein zweites Bergwerk eignen würde. Das ist aber erst in einem weit vor uns liegenden Schritt Thema.
Aber in der öffentlichen Kommunikation ist davon keine Rede. Birgt das nicht die Gefahr, dass sich Leute betrogen fühlen, wenn es später heißt: Übrigens, hier kommt noch ein zweites Endlager hin?
Es wird keiner betrogen. Dieses Verfahren war auch schon in der Endlager-Kommission ein intensives Thema.
Gerade deshalb sind wir erstaunt, dass es jetzt kein Thema ist.
Noch mal: Es ist zurzeit kein Thema. Gesucht wird ein Endlager für hochradioaktive Abfälle. Aber Ihre Kritik an der Kommunikation nehme ich gerne auf.
Sie kommen von Ihrer Biografie her selbst aus der Anti-Atom-Bewegung. Die übt aber deutliche Kritik am neuen Suchverfahren, etwa an der Öffentlichkeitsbeteiligung und den Kriterien. Wie sehr trifft Sie das?
Wenn mir Kritik wehtäte, würde ich nicht seit 21 Jahren diesen Beruf ausüben. Und weil ich selbst aus der Bewegung komme, weiß ich, wie wichtig es ist, dass immer wieder alle Beteiligten gezwungen sind, sich mit den Sorgen und Ängsten, aber auch dem Wissen aus der Zivilgesellschaft ernsthaft zu beschäftigen. Meine Rolle als Behördenleiter ist es nicht, irgendwelchen Gruppen zu gefallen. Ich versuche, die verschiedenen Interessen zu verbinden – und deutlich zu machen: Wenn parlamentarische Entscheidungen gefallen sind, ist das die Grundlage, auf der wir arbeiten.
Wie gefährlich ist die Kritik aus der Anti-AKW-Szene, aber auch aus Bayern, für das ganze Verfahren?
Ich werde nicht zulassen, dass ein gutes Verfahren mit Argumenten diskreditiert wird, die nicht auf Umsetzung gemünzt sind, sondern auf Einzelinteressen. Die Expertise aus den Ländern ist willkommen, wenn sie dem Verfahren dient. Und ich finde es bedauerlich, dass die Bewegung offenbar so wenig stolz darauf ist, was sie erreicht hat: Dass eine führende Industrienation nicht nur aus der Atomkraft aussteigt und früh auf regenerative Energien gesetzt hat – sondern auch einen Neubeginn bei der Endlagersuche hinbekommen hat. Nun geht es aber nicht mehr darum, etwas zu verhindern, sondern einen Weg zu beschreiben, wie das Problem zu lösen ist.
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