Bulgarien streitet über die Nato: Verwerfungen in Sofia
Der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew bleibt dem Nato-Gipfel in Washington fern. Grund sind Differenzen in Sofia über die Haltung zur Ukraine.
Die Meinungsäußerung findet sich unter einem Beitrag über innenpolitische Verwerfungen in dem Balkanstaat Bulgarien aus Anlass des Nato-Gipfels, der vom 9. bis zum 11. Juli in Washington stattfindet. Bei der Jubiläumsveranstaltung zum 75. Jahrestag der Gründung des westlichen Verteidigungsbündnisses wird Bulgarien, das seit 2004 der Nato angehört, nicht durch seinen Präsidenten Rumen Radew vertreten.
Noch vor kurzem hatte der Staatschef seinen Wunsch zu Protokoll gegeben, als einer von zwei Repräsentanten Bulgariens in Washington präsent zu sein. Kurz darauf nahm der Ex-Militär, der den Sozialisten nahesteht, jedoch von dem Vorhaben Abstand. Zur Begründung hieß es, er sei mit der Position der Regierung in Sofia zur Ukraine nicht einverstanden. Diese sei zudem mit ihm vorher nicht abgestimmt worden.
Am Freitag vergangener Woche schaltete sich dann der derzeitige Chef der Übergangsregierung Dimitar Glawtchew in die Debatte ein. Er habe für Washington eine Unterstützung für die Ukraine in Höhe von 80 Millionen Euro im Gepäck, jedoch müssten die Abgeordneten des Parlaments dem noch im Rahmen des noch zu verabschiedenden Gesetztes über den Staatshaushalt zustimmen. Gleichzeitig wies er noch einmal darauf hin, dass Sofia nicht beabsichtige, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden.
Kein Cash für Kyjiw
Kurz zuvor hatte der langjährige Regierungschef Bojko Borrisow, dessen konservative Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgarien (GERB) bei der Parlamentswahl am 9. Juni 2024 stärkste Kraft geworden war, gesagt, dass es keinesfalls darum gehen können, Kyjiw diese Summe in Cash auszuzahlen.
Laut Borissow erhalte Bulgarien von seinen Partnern schon jetzt Geld für alte, sowjetische militärische Ausrüstung – derzeit etwa 60 Millionen, weitere 300 Millionen würden erwartet. „Bulgariens Hilfe wird auch deshalb geschätzt, weil wir, wie alle demokratischen Länder, auf der Seite des Angegriffenen und nicht auf der Seite des Aggressors gestanden haben“, sagte Borissow.
Radew, der im November 2021 für eine zweite vierjährige Amtszeit wiedergewählt wurde, gilt als russlandfreundlich und ist schon länger für seine Skepsis gegenüber der Unterstützung der Ukraine durch die Nato bekannt. Immer wieder hat er in der Vergangenheit versucht, Waffenlieferungen an Kyjiw zu blockieren. Sein Argument lautet, dass dies den Konflikt anheizen würde – ein Narrativ, das auch von anderen kremlfreundlichen Politikern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán immer wieder verbreitet wird.
Im vergangenen Mai, als Sofia Gastgeber für eine Sitzung der Parlamentarischen Versammlung der Nato war, glänzte Radew ebenfalls durch Abwesenheit und reiste stattdessen nach Budapest zu Gesprächen mit Orbán.
Negative Botschaft an Nato-Partner
Indem er nicht am Nato-Gipfel teilnehme, sende Radew eine „schädliche“ Botschaft an die Nato-Partner, zitiert Radio Free Europe Assen Agow, ehemaliger bulgarischer Abgeordneter und Ex-Vize-Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung der Nato. „Radew diskreditiert das Land, weil er denkt, er punktet in einem Friedensprozess, den es nicht gibt“, so Agow.
Laut einer aktuellen Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), die auf der Webseite der US-amerikanischen Tageszeitung Politico nachzulesen ist, sind in Bulgarien 63 Prozent der Befragten der Meinung, dass weitere Lieferungen von Waffen und Munition an die Ukraine eine schlechte Idee seien. 47 Prozent der Bulgar*innen sind skeptisch, was einen EU-Beitritt der Ukraine angeht. 47 Prozent haben keine Meinung dazu.
Ohnehin haben die Menschen in dem Land mit rund 6,5 Millionen Einwohner*innen derzeit andere Probleme. Seit 2021 fanden bereits sechs Parlamentswahlen statt, die jedoch nie stabile Mehrheitsverhältnisse hervorbrachten.
In der vergangenen Woche scheiterte die GERB von Bojko Borrisow mit ihrem Versuch, eine Regierung zu bilden. Derzeit zerlegt sich gerade die Partei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), die sich vor allem als Repräsentantin der türkischen Minderheit versteht und am 9. Juni 2024 hinter der GERB landete. Somit könnten dem Land bald wieder Neuwahlen ins Haus stehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann