Bürgerschaftswahl in Hamburg: Strategisches Dilemma der Grünen
Das Projekt einer anschlussfähigen Volkspartei wackelt stark: Gerade junge Wähler sind mit dem mittigen Kurs der Hamburger Grünen unzufrieden.

A uf Augenhöhe mit der CDU – was anderswo klingen mag wie ein Erfolg, ist für die Hamburger Grünen ein Rückschlag. Nach den Prognosen haben sie ordentlich eingebüßt gegenüber der vorigen Bürgerschaftswahl vor fünf Jahren.
Zugegeben, damals war es eine „Klimawahl“ im Aufstieg der Klimabewegung, und die Grünen hatten ihr Rekordergebnis erzielt, zeitweilig sogar davon geträumt, mit dem Koalitionspartner SPD die Plätze zu tauschen.
Dass es nun ganz anders gekommen ist, nur auf den Bundestrend nach dem Ampel-Aus zu schieben, wäre zu billig. Zumal die Verluste viel größer sind als bei der Bundestagswahl. Und zumal sich der Abwärtstrend der Hamburger Grünen schon bei den Bezirkswahlen im vergangenen Frühsommer deutlich gezeigt hatte.
Das Projekt der anschlussfähigen Volkspartei wackelt
Die Partei steckt in einem strategischen Dilemma: Wie auf Bundesebene wackelt auch in Hamburg das Projekt einer in alle Richtungen anschlussfähigen Volkspartei – ausgerechnet in jenem Landesverband also, der mit der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene mal so etwas wie die Speerspitze dieses Projekts war.
Für einen Moment hatte es 2020 so ausgesehen, als ließe sich die Expansion ins etablierte Bürgertum mit den sozial-ökologischen Wurzeln vereinbaren. Doch bei dieser Wahl haben die Grünen nun an beide Seiten verloren.
Die klimabewegte Jugend ist in Scharen zur Linken übergelaufen. Weil die Grünen in Hamburg in diesem Feld wenig Sichtbares erreicht haben und sich dann auch noch schwergetan haben, dieses Wenige als ihre Erfolge zu reklamieren.
Gleichzeitig haben sie es versäumt, der Parteilinken in symbolisch hoch aufgeladenen Fragen die Hand zu reichen: Wie sie eine Abgeordnete abgekanzelt haben, die es gewagt hatte, mit der Linken für einen NSU-Untersuchungsausschuss zu stimmen, hat viele Grünen-Sympathisant:innen verstört.
Noch schwerer wiegt vielleicht die Dehnbarkeit grüner Positionen in der Migrationspolitik – auf Bundesebene, aber auch in Hamburg selbst. Da haben die Grünen dem Vorpreschen der SPD mit einer sehr restriktiv ausgelegten Bezahlkarte für Geflüchtete ebenso wenig entgegengesetzt wie der unmittelbar bevorstehenden Einrichtung von Deutschlands erstem Dublin-Abschiebezentrum.
Die Folge war der Auszug der kompletten Führungsebene der Grünen Jugend – wie in vielen Ländern. Aber in Hamburg hat das Partei-Establishment das mindestens mit demonstrativer Gleichmut hingenommen. Auf ihrem Programm-Parteitag klangen in vielen Reden sogar Triumphalismus und Häme der mittelalten und sehr alten Grünen gegenüber dem nervigen Nachwuchs durch, wo Schmerz über den Verlust der engagierten Jugend angebracht gewesen wäre.
Noch vor wenigen Wochen hat das Spitzenpersonal der Partei hinter verschlossenen Türen freimütig darüber schwadroniert, dass man die jugendlichen Bedenkenträger:innen ja nun hinter sich gelassen habe und bereit sei für eine grün-schwarze Koalition – in dieser Reihenfolge, bitte schön.
Es ist fast ein bisschen ungerecht, dass es auch auf der anderen Seite in der grünen Kernklientel rumort: Besserverdiener vor allem in den dicht besiedelten, innenstadtnahen Vierteln. Dort sind sie besonders stark davon betroffen, wie die Grünen noch am ehesten grüne Inhalte durchgesetzt haben: von einer Verkehrspolitik, die ernsthaft versucht, den Vorrang der Autos einzudämmen. Auch der Autos der Grünen-Wähler:innen.
Die SPD hat kein Interesse, die CDU aufzuwerten
Dass sich die Grünen – egal ob sie als Zweiter oder Dritter ins Ziel gehen – keine Sorgen um ihre Regierungsbeteiligung machen müssen, ist auch kein gutes Zeichen. Es liegt nämlich daran, dass die SPD kein Interesse daran haben kann, die CDU durch eine Regierungsbeteiligung aufzuwerten. Am Ende könnten die Konservativen sich dort noch profilieren und den seit Olaf Scholz’ absoluter Mehrheit vor 14 Jahren im Niedergang befindlichen Sozialdemokraten gefährlich werden.
Der SPD kann nichts Besseres passieren als ein ewiger grüner Juniorpartner. Wenn er geschwächt ist, umso besser, solange es zur gemeinsamen Mehrheit reicht. Bürgermeister Peter Tschentscher hat schon vor der Wahl angekündigt, seinem Koalitionspartner in diesem Fall einen Senatorenposten wegzunehmen. Und Obacht: Der Mann pflegt zu tun, was er sagt. Das ist sozusagen sein Markenkern.
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