Bürgerschaftswahl in Hamburg: Schulwahlkampf fällt aus

Schulpolitik kommt im Hamburger Wahlkampf kaum vor. Das ist Absicht, denn Bildung gilt in der Stadt immer noch als Verliererthema.

In einem Klassenraum stehen die Stühle auf den Tischen.

Kein Thema im Wahlkampf: Grundschule in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa/picture alliance

HAMBURG taz | Plakate zur Schulpolitik sucht man im Hamburger Wahlkampf vergebens. Nur die FDP prophezeit auf einem Großplakat „Die Zukunft geht nicht in die Schulen von gestern“. Eine Anspielung auf Versäumnisse in der Digitalisierung. Und die AfD verspricht ironisch „Freitag wieder Schule!“. CDU, SPD, Grüne und Linke fallen bisher gar nicht mit Schul-Plakaten auf.

Das ist kein Wunder. SPD, Grüne, FDP und CDU schlossen im August im Rathaus feierlich einen neuen „Schulfrieden“. Der besagt, dass die Zwei-Säulen-Struktur aus Gymnasium und den gesamtschul-artigen Stadtteilschulen bis 2025 nicht angetastet wird. Außerdem soll es dabei bleiben, dass SchülerInnen am Gymnasium nach acht und an der Stadtteilschule nach neun Jahren das Abitur erreichen – man spricht von G8 und G9.

Ohne diese Festlegung hätte es spannend werden können. Denn der hiesige CDU-Fraktionschef André Trepol wollte mit dem Thema „Turbo Abi abschaffen“ in den Wahlkampf ziehen. Hatten doch seine CDU-Kollegen in Schleswig-Holstein erst 2017 mit diesem Versprechen die nötigen Stimmen für ihre Jamaika-Regierung errungen. Trepol argumentierte mit einer Umfrage des Abendblatts, laut der auch Dreiviertel der Hamburger das Turbo-Abi ablehnten.

Doch im Stadtstaat Hamburg bieten bereits alle 58 Stadtteilschulen das Abi nach neun Jahren an. Das soll auch ein Anreiz für Eltern sein, ihre Kinder mit Gymnasialempfehlung dort anzumelden, wollen viele doch erstmal nicht, dass ihre Kinder mit den vermeintlichen „Schmuddelkindern“ auf den Stadtteilschulen spielen. Würde auch das Gymnasium G9 anbieten, wäre dieser Anreiz weg, die Stadtteilschulen könnte das weiter schwächen. Deshalb ist das Turbo-Abi in Hamburg Teil des Schulfriedens und die CDU wurde überzeugt, von ihrer Forderung zu lassen.

(Fast) keiner will den Job als Schulsenator

Dieser Schulfrieden ist seit 2010 eine heilige Kuh. Denn Grüne und CDU hatten damals gemeinsam regiert und versucht, die sechsjährige Primar-Grundschule durchzusetzen. Dies wurde von einer Volksinitiative der Gymnasial-Eltern gestoppt. Seit dieser Niederlage wollen die Grünen sich nicht wieder am Thema Bildung die Finger verbrennen.

Das Schulressort leitet seit 2011 der Gymnasiallehrer Ties Rabe (SPD), der auch einst Primarschulgegner war. Er ist kein so visionärer Reformer wie seine Grüne Vorgängerin Christa Goetsch. Er gilt als konservativer Pragmatiker und ist durchaus umstritten. Kurz nach Unterzeichnung des neuen Schulfriedens lud ein Bündnis für „Mehr Zukunft in der Schule“ die Presse ein und kritisierte den Stil des Schulsenators.

Schulleiter-, Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen forderten „mehr Dialog“, über Bildung dürfe man nicht nur „hinter verschlossenen Türen“ entscheiden. Die Schulpolitik sei geprägt von „zu viel old school“, oft gebe es „bildungspolitische Vorgaben ins Klein-Klein“. Nötig sein ein „Bildungsrat“ für offene Diskussion. Rabe ließ prompt erklären, das sei doch eine gute Idee.

Der Schulsenator gilt als Mann, der sein Amt im Griff hat und an den Schulen für Ruhe sorgt. Er mag seinen Job als Schulsenator, und es gibt bei SPD und Grünen niemand sonst, der ihn haben will. Zu seinen Erfolgen zählt er, dass Hamburgs Schüler bei Ländervergleichen in Deutsch oder Mathematik nicht mehr an der letzten Stelle stehen. Dabei spielen ihm auch eben die Weichenstellungen in die Hände, die Schwarz-Grün auf den Weg brachte.

Einzig die Linke brich den Frieden

Die 2009 gegründeten Stadtteilschulen fasste die früheren Gesamtschulen und Haupt- und Realschulen unter einem Dach zusammen. Fast jede Stadtteilschule hat nun eine eigne Oberstufe. Und die Schüler nutzen diese Chance: Inzwischen liegt Hamburg Abiturienten-Quote zwischen 51 und 55 Prozent.

Doch die Probleme der „sozialen Spaltung“ der Stadt sind längst nicht behoben. Weiterhin kann ein Viertel bis ein Fünftel der Schüler nach Klasse 4 einen Text nicht so lesen, dass sie den Inhalt verstehen. Deshalb gibt es jetzt neue Lesetrainings. Noch ein problem: Nach der 10. Klasse haben nur vier von zehn Schulabgängern eine Ausbildung in der Tasche. Die übrigen besuchen erst mal Berufsschulen und Praktika.

Und weil die Gymnasien das „Turbo-Abi“ haben, aufs Tempo drücken und keine Rücksicht nehmen, müssen Jahr für Jahr fast 900 Sechstklässer und bis Ende Klasse 10 noch mal etwa 1.000 ältere Schüler die Gymnasien Richtung Stadtteilschule verlassen. Die Inklusion der Kinder mit Lernförderbedarf bleibt ebenfalls Aufgabe dieser „zweiten Säule“.

Die Linke hat den Schulfrieden nicht unterschrieben. Ihre Fraktionscheffin Sabine Boeddinghaus legte im November ein eigenes Schulgesetz vor, dass es untersagt, vom Gymnasium auf eine niedrigere Schulform wechseln zu müssen. „Kinder haben ein Recht darauf, nicht ausgesondert und nicht beschämt zu werden“, sagt die Schulpolitikerin.

Doch auch wenn sie namhafte Experten hinter sich sammelt, ist die Sache politisch gerade chancenlos, weil Bündnispartner fehlen. Im Grünen Wahlprogramm steht nichts mehr von „Schule für alle“. Stattdessen wollen die Grünen nun mit der „Campus-Schule“ eine Misch- Schulform etablieren, mindestens sechs sind schon geplant. Gemeint ist eine Stadtteilschule mit Gymnasialzweig.

Kritiker, vor allem aus den Reihen der bestehenden Stadtteilschulen, sehen darin eine Degradierung ihrer Schulform und eine Rückkehr zu Dreigliedrigkeit aus Gymnasium, Realschule und Hauptschule, die Hamburg seit zehn Jahren ja eigentlich glücklich hinter sich weiß.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.