Bürgerräte im Bundestag: Guter Rat nicht erwünscht
Die Union findet Bürgerräte überflüssig bis gefährlich. Dabei stärkt das die Politik beratende Gremium die Mitte und die Demokratie.
A nscheinend möchte die Union nicht, dass sich die demokratischen Verfahren behutsam erneuern. So sorgten vor allem die Christdemokraten dafür, dass die für Bürgerräte zuständige Stelle in der Bundestagsverwaltung aufgelöst wurde und der entsprechende Haushaltstitel verschwand.
Auf den ersten Blick mögen Bürgerräte merkwürdig erscheinen, denn die Mitglieder werden per Losverfahren bestimmt. Doch gerade dadurch werden antagonistische Meinungen nicht weiter auseinandergetrieben, sondern eher zusammengeführt. Oft stehen am Ende unaufgeregte, sinnvolle und konstruktive Vorschläge zur Lösung politischer Probleme. Das erste offizielle Experiment beim Bundestag vor zwei Jahren, der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“, brachte sein Ergebnis mit breiter Mehrheit zustande.
Das Verfahren stärkt die Mitte. Es schwächt die repräsentative Demokratie nicht, sondern kann das Gegenteil erreichen – auch wenn die Politik den Gremien bisher nur beratenden Charakter zubilligt. Wobei eine Weiterentwicklung hin zu einer gewissen Art von Verbindlichkeit der Ergebnisse sinnvoll erscheint. Sonst fragen sich die Teilnehmenden, warum sie Zeit und Kraft investieren.
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Die zeitgenössische Union betrachtet solche Innovationen und Entwicklungen jedoch als gefährlich, die Hartrechten wie die AfD sowieso. Dabei bleibt eine Gesellschaft nur lebenswert, wenn sich aus Nischen heraus neue gesellschaftliche und politische Bedürfnisse artikulieren und sie schließlich breiteren Einfluss gewinnen können. Zum Beispiel: neues Arbeitsrecht (Lieferkettengesetze), neue Formen von Mobilität (ohne Erdöl), neue Geschlechterverhältnisse (Regenbogenfamilien), neue Ausdrucksweisen (Gendern), neue Ernährung (mal keine Wurst).
Konservative und Rechte mögen so etwas nicht. Sie verhindern Fortschritt. Und befürworten Rückschritt. Wobei diese Einschätzung – das muss man einräumen – davon abhängt, was unter Fortschritt zu verstehen ist.
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