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Bürgerkrieg in SyrienAleppos Kliniken im Visier

Seit sechs Tagen wird die Stadt im Norden des Landes bombardiert. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist nicht mehr gewährleistet.

Im OP-Raum dieser Klinik bei Aleppo wurde vor kurzem noch operiert Foto: reuters

BERLIN taz | Nirgends ist es mehr sicher. Daher funktioniert in dem von Rebellen kontrollierten Osten der nordsyrischen Stadt Aleppo selbst die Nothilfe nur noch bedingt, von der Versorgung Verletzter ganz zu schweigen. Ein Freiwilliger der Zivilverteidigung, genannt Weißhelme, berichtete am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, sein Team habe nicht auf einen Notruf reagieren können, weil Granaten auf die Straßen fielen. Er habe noch nie „einen solch intensiven Artilleriebeschuss erlebt“, fügte der Helfer hinzu.

Mohamad Abbusch aus Ost-Aleppo berichtete, zwei seiner Verwandten seien am Freitagmorgen bei einem Luftangriff getötet worden. Als er ärztliche Hilfe für weitere Angehörige gesucht habe, die bei der Bombardierung verletzt wurden, hätte ein Krankenhaus in Trümmern gelegen und ein anderes habe in Flammen gestanden.

Das Gesundheitsamt von Aleppo teilte am Samstag mit, kein Krankenhaus der früheren Handelsmetropole sei noch funktionsfähig. Die Zerstörung gehe so weit, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu lebensrettenden Maßnahmen mehr habe. Die Weltgesundheitsorganisation der UNO bestätigte diese Angaben, wobei sie sich auf Hilfsorganisationen in der Türkei berief.

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London teilte hingegen mit, einige Krankenhäuser seien noch einsatzbereit. Die Menschen trauten sich aber wegen der Angriffe kaum noch dorthin. Anwohner, Mediziner und Rebellen berichteten, Kliniken seien bei den Luftangriffen zum Teil direkt getroffen worden. Auch seien aus Kampfhubschraubern Fassbomben auf die Gebäude abgeworfen worden.

Ärzte gegen Klinik auf

Die Unabhängige Ärztevereinigung, eine syrische Hilfsorganisation, die nach eigener Darstellung eine Million Menschen in der Provinz Aleppo versorgt, teilte am Freitag in einer Stellungnahme mit, bei den Angriffen sei auch das letzte Kinderkrankenhaus in Ost-Aleppo zerstört worden. Das Gebäude sei am Freitagmorgen von zwei Geschossen getroffen worden.

Zu diesem Zeitpunkt sei das medizinische Personal dabei gewesen, Dutzende von Verletzten zu versorgen, die Symptome eines Chlorgasangriffes zeigten. Angesichts der wiederholten gezielten Angriffe auf das Krankenhaus entschieden die drei anwesenden Kinderärzte, die Klinik zu schließen.

„Dies ist ein schwarzer Tag für Ost-Aleppo“, sagte Teresa Sancristoval von Ärzte ohne Grenzen. „Die Angriffe haben ganze Kliniken, Generatoren, Notaufnahmen und Krankenstationen zerstört und die Schließung erzwungen. Die Botschaft ist einfach, und ich weiß nicht, wie ich es deutlicher sagen soll: „Hört auf, Kliniken zu bombardieren!“

Keiner will's gewesen sein

Seit Dienstag haben die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und ihre Verbündeten Ost-Aleppo wieder stark unter Beschuss genommen. Syriens Staatsfernsehen meldete Angriffe auf „Stellungen von Terroristen“. Die Regierung in Damaskus bezeichnet alle Rebellen als Terroristen und spricht im Zusammenhang mit den Bombardierungen von der Vorbereitung einer Bodenoffensive. Die mit Assad verbündete russische Luftwaffe erklärte, sie fliege Angriffe nur in anderen Teilen Syriens.

Beide Regierungen haben Vorwürfe zurückgewiesen, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen absichtlich ins Visier zu nehmen. Die Weltgesundheitsorganisation rief alle Konfliktparteien dazu auf, die Sicherheit und Neutralität von medizinischem Personal und den entsprechenden Einrichtungen zu respektieren. (mit Reuters)

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19 Kommentare

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  • Alles was dort passiert ist leicht zu verstehen (leichter als im Osten Kongos):

    - Menschengruppen suchen Zuflucht von Ort zu Ort, deshalb schwanken die Zahlenschätzungen.

     

    Über die Zahl der Verhungerten wissen die wenigsten etwas.

     

    Der Assad-Clan und sein Erpressungsnetzwerk meint, er müsste alles verlieren und das Land verlassen, wenn er nicht total alles beherrsche.

    Ein grausiges Vorbild für die Personenherrscher der Zukunft.

     

    Syrien war kein einheitlicher Flächenstaat, sondern wurde von der Staatspartei Baath und den Geheimdiensten "mukhabarat" beherrscht.

    Die kommunale Selbstverwaltung, die Verteidigung der Kommune hat Tradition - das ist der Bezugsraum.

     

    Die anti-Assad-Kämpfer, die nicht streng religiös, sondern demokratieinteressiert sind, sind v.a. Deserteure, die nicht auf die Demonstrationen schießen woll(t)en.

     

    Kaum gibt es eine Feuerpause, gibt es wieder Demonstrationen.

    • @nzuli sana:

      "Kaum gibt es eine Feuerpause, gibt es wieder Demonstrationen."

       

      Und Offensiven der Rebellen.

  • Die Bevölkerung Syriens tot zu machen zu vernichten ist das Kriegsziel des Regimes von Assad, Machluf und Shishakly - schauen Sie unter Maher al-Assad, dem Bruder des Präsidenten die englische Wiki.

    Ja regierungs- und russische Truppen wollen die Bevölkerung so terrorisieren, dass die kapituliert.

     

    Die ganze Bevölkerung ist gegen das Regime.

     

    Sie glauben nur der russischen Propaganda und das einzig aus dem Grund, dass sie alle Syrer als Dschihadisten sehen und der Meinung sind, diese seien alle zu ermorden.

     

    Fragen Sie Syrer, sie treffen sich auch in Städten in Deutschland, um gegen diese Vernichtungspolitik zu protestieren:

    Aushungern, vergiften, zu Tode foltern in den Gefängnissen, Verschleppung, es wird nicht unterschieden zwischen alt und jung, bewaffnet oder nicht.

    Denken Sie an die Somoza-Diktatur.

    • @nzuli sana:

      "Die Bevölkerung Syriens tot zu machen zu vernichten ist das Kriegsziel des Regimes von Assad..."

       

      Irrtum. Assad will nur seine Gegner tot machen. Sie und Ihre Rebellen sind nicht das syrische Volk. Sie haben sich nur selbst dazu ernannt.

       

      In Westaleppo leben übrigens viel mehr Menschen, als in Ostaleppo und die werden auch nicht vernichtet. Aber nach Ihrem Verständnis sind das wohl keine Syrer.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "Assad will nur seine Gegner tot machen."



        In dem seine und die russische Luftwaffe alle Kliniken bombardiert.



        [...]

         

        Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich.

        • @nzuli sana:

          Drücken wir einfach die Daumen, dass die "Befreiung" Ostaleppos diesmal gelingt. Dann hören auch die Bombardierungen auf.

  • "Die Weltgesundheitsorganisation der UNO bestätigte diese Angaben, wobei sie sich auf Hilfsorganisationen in der Türkei berief."

     

    Eine dieser türkischen Hilfsorganisation dürfte diese hier sein:

    International Pitying Hearts Society - IPHS

    https://twitter.com/IraqiSecurity/status/780467855255040000

  • Ich höre immer nur 'Aleppo' - das ist ein Begriff geworden, wo immer 'Russland war's' mitschwingt. Irgendwo in der taz war auch eine kleine Meldung über grosses Leiden in 'Mossul'.

    Mir fällt da sehr unangenehm auf, daß Mossul bei weitem nicht so thematisiert wird wie Aleppo, obwohl doch im Grunde das gleiche passiert: eingegrabene, über Tunnel verbundene IS-Standorte werden bombardiert, und es werde auch Behelfskrankenhäuser getroffen, die eben auch im Keller sind. IS-Leute nehmen Menschen als Schutzschilde, etc. etc.

    Aber Mossul wird nicht von russischen und syrischen Bomben getroffen, das ist wohl der Unterschied in den nicht-lügenden Qualitätsmedien...?!?

  • Es ist Krieg dort. Warum regen wir uns eigentlich immer so auf? Ich lese immer wie schlimm es doch ist das die Krankenhäuser getroffen werden. Kennen wir nicht die Geschichte? Alleine beim Bombenangriff der Alliierten auf Dresden wurden in einer Nacht mehr als 19 Krankenhäuser zerstört. Wenn diese im Zielgebiet liegen, dann kann das in einem Krieg passieren.

    Mal abgesehen davon, brennt mir schon lange eine Frage unter den Fingern. Und zwar wieso eigentlich immer der amtierende Präsident schuld ist. Es ist eine Rebellion dort. Wir im Westen haben daraus einen Krieg gemacht, weil wir die Rebellen als Regierung (vorzeitige) aktzeptiert haben. Sogenanntes Völkerrecht.

    Aber Hand aufs Herz. Im Krieg gibt es immer zwei Parteien. Warum fordert eigentlich niemand die Rebellen auf, aufzugeben und dadurch die armen Kinder und Menschen in Aleppo zu retten? Wir sollten uns mal fragen, wieviel Infrastruktur und Menschenleben die Rebellen hätten retten können.

    • @WortAbstrakt:

      Warum wir uns aufregen? Weil es sich um Kriegsverbrechen handelt gezielt Krankenhäuser anzugreifen.

       

      Das Beispiel Dresden ist ein netter Versuch das russische und syrische Militär reinzuwaschen, aber das waren damals ungelenkte Bombenteppiche und ein anschließender Feuersturm. Das was in Syrien passiert sind gezielte Angriffe auf Krankenhäuser.

      • @Eichet:

        "Weil es sich um Kriegsverbrechen handelt gezielt Krankenhäuser anzugreifen."

        Sorry, aber das ist reine Propaganda. Bei der Befreiung Aleppos kommt es leider manchmal zu Kollateralschäden. Diese sind trotz aller präzise ausgeführten Schläge nicht immer vermeidbar. War in Jugoslawien und im Irak ähnlich. In Aleppo kommt erschwerend hinzu, dass sich die Terroristen hinter Zivilisten verstecken.

      • @Eichet:

        "Das was in Syrien passiert sind gezielte Angriffe auf Krankenhäuser."

         

        Die haben eine Quelle im russischen Generalstab, die Ihnen die Zielliste zuspielt?

  • Zählt man die Meldungen der letzten Monate zusammen, so muss Ostaleppo die Gegend mit der größten Krankenhausdichte weltweit gewesen sein. Und zwar mit Abstand.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es sind ja eher Behelfskrankenhäuser ohne Kennzeichnung.

      • @WortAbstrakt:

        Aber angeblich werden die Krankenhäuser doch gezielt angegriffen?

         

        So richtig passt das alles nicht zusammen. Man sollte in London wenigstens darauf achten, dass die Meldungen keine groben logischen Fehler enthalten.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Naja, ist ja die Frage der Definition. Wenn man aus einem echten Krankenhaus, die Geräte und Betten herausnimmt und in 20 Gebäude bringt, hat man dann 20 Krankenhäuser? In der Kriegspropaganda auf jeden Fall. Aber wohl auch in den Medien.

          • @WortAbstrakt:

            Es ist ja nicht nur das. Nach den Meldungen dürfte es keine Ärzte mehr geben. Es sei denn, es apparieren immer wieder neue Ärzte nach Ostaleppo.

             

            Trotz Belagerung und Lebensmittelmangel steigt auch die Einwohnerzahl Ostaleppos rasant. Zu Beginn der Belagerung war von 200.000 bis 250.000 Menschen die Reede. Dann meist von 250.000. In den letzten Wochen wurden es 250.000 bis 300.000. Und in den letzten Berichten auf SPON ist nur noch von 300.000 die Rede. Nicht mehr lange und in Ostaleppo leben 500.000 Menschen.

  • Was ich über die Bombardierung der Krankenhäuser von ÄoG schrieb, kann man übrigens auch bei Wikipedia genau so nachlesen. Oder eben in der Mitgliederpost oder der Webseite von ÄoG bzw. MSF.

  • Natürlich entsetzt sich Ärzte ohne Grenzen über diese Bombardierungen!

    Das ist doch wohl so klar wie nur was.- Aber diese vollkommen neutrale Organisation hat bis heute, weder in der Mitgliederpost noch auf ihren Online-Seiten, jemals einen Beschuldigten genannt. - Das heißt, doch ein einziges Mal. Das war in Kundus.