piwik no script img

Bürgergeld und ZuwanderungVergiftete Stimmung

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Um Mi­gran­t:in­nen im Bürgergeld rankt sich viel negatives Storytelling der Sozialpolitik. Dabei wäre der Jobmarkt ohne Zugewanderte schlecht dran.

UkrainerInnen versammeln sich 2022 in Berlin Mitte, um sich für die Unterstützung der Deutschen zu bedanken Foto: snapshot/imago

W ie konnte die Stimmung so schnell kippen? Im November 2022, als das Bürgergeld mit den Stimmen auch der Union beschlossen wurde, hatte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) noch als „sehr glücklichen Arbeitsminister“ bezeichnet. Das neue Bürgergeld biete die Chance, „die gesellschaftliche Polarisierung zu entgiften“. Heute hat man den Eindruck, die Stimmung gegenüber So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen, erst recht mit Migrationshintergrund, ist vergifteter denn je. Die starke Dynamik dieses Stimmungswandels fällt ebenso auf wie die Brutalität der Sprachbilder.

So schlug CDU-Innenpolitiker Alexander Throm unlängst vor, einen „verpflichtenden gemeinnützigen Dienst“ für Flüchtlinge einzuführen. „Morgens Sprache lernen, nachmittags den Park pflegen. Jeder muss seinen Beitrag leisten“, sagte Throm der Bild-Zeitung. Dieses Bild erinnert eher an eine Strafkolonie und ist das Gegenteil der Schutzversprechen, die Po­li­ti­ke­r:in­nen vor zwei Jahren den Geflüchteten aus dem Ukrainekrieg und vor mehr als acht Jahren den Sy­re­r:in­nen aus dem Bürgerkrieg gaben.

2022 hatte die Bundesagentur für Arbeit noch erklärt, man wolle die Geflüchteten aus der Ukraine „ausbildungsadäquat“ vermitteln. Heute sollen Ukrai­ne­r:in­nen mit der Kampagne des „Job-Turbo“ irgendeinen Job annehmen, wurschtegal, was sie mal gelernt haben.

Die aggressiven Narrative gegen migrantische Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen gründen auf Ver­änderungen, die teilweise nichts mit den Geflüchteten zu tun haben. Bedingt durch die Coronazeit, in der auch kleine Selbstständige plötzlich zu Bürgergeldempfängern wurden, erleichterte die Regierung die Zugangsbedingungen für Hartz IV, milderte Sanktionen ab und erweiterte die Formel für die jährliche Anpassung der Regelsätze im dann neuen „Bürgergeld“.

Migrant:in­nen sind Ret­te­r:in­nen der Demografie. 40 Prozent der Kinder unter fünf sind ausländischer Herkunft

Plötzlich soll das Bürgergeld zu hoch sein

Jetzt aber erscheint das Bürgergeld vielen als zu üppig, die FDP würde den Regelsatz am liebsten kürzen. Die Angst vor einem unkontrollierbaren Absaugen von Sozialleistungen durch Mi­gran­t:in­nen wird medial geschürt, zumal inzwischen fast die Hälfte der Emp­fän­ge­r:in­nen des Bürgergeldes eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Dieser Anteil ist vor allem durch die Ukrai­ne­r:in­nen gestiegen und auch durch anerkannte Flüchtlinge aus arabischen Herkunftsländern.

Die Sozialmissbrauchsdebatte verschärft sich generell. Laut Studien des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung (IAB) erhöhen Sanktionsmöglichkeiten die Zahl der Leistungsempfänger, die in den Arbeitsmarkt wechseln. Das ist nicht überraschend. Nur muss man daraus nicht schließen, dass Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen in der Regel faul sind.

5,5 Millionen Menschen leben vom Bür­ger­geld­, darunter viele Kinder. Nur 1,7 Millionen der Bürgergeldempfänger gelten überhaupt als arbeitslos. Die anderen betreuen den Nachwuchs oder pflegen Angehörige, sind krank, gehen zur Schule, befinden sich in Maßnahmen oder müssen einen geringen Lohn mit Bürgergeld aufstocken.

Doch solche Faktenchecks ändern das negative Storytelling wenig. Dabei fällt die wachsende Empathielosigkeit gegenüber anerkannten Geflüchteten auf. Mehr oder weniger offen sagen Politiker:innen: Fliehen kriegsbedingt noch mehr Menschen aus der Ukraine, soll Deutschland nicht als das attraktivste Zielland in Europa gelten. Es herrscht eine Art Sozialwettbewerb nach unten: Norwegen, Irland und andere Länder haben die Sozialleistungen für Ukrai­ne­r:in­nen bereits deutlich verschlechtert. Vor diesem Hintergrund fordern auch Union und FDP, Ukrai­ne­r:in­nen nach der Ankunft jetzt ins schlechter ausgestattete Asylsystem und nicht gleich ins Bürgergeld zu schicken.

Der Streit lenkt ab von Wichtigerem

Liest man in den Facebook-Gruppen der Ukrai­ne­r:in­nen mit, gilt das Bürgergeld in Deutschland zwar als Pluspunkt, die komplizierte deutsche Sprache, die den Zugang zu attraktiven Jobs verschließt, die Bürokratie und die Unterbringung in Massenunterkünften schrecken wiederum ab.

Diese Feinheiten allerdings interessieren nicht, denn die Fokussierung auf Migrant:innen, die den deutschen Sozialstaat belasten, ist auch ein politisches Ablenkungsangebot. Es hat den Neben­effekt, dass nicht so auffällt, wie wichtige Gebiete des Sozialen derzeit politisch verwaisen: Zum Pflegedesaster und der Wohnungsnot gibt es kaum politische Vorschläge aus Regierung und Opposition, dabei sind davon Millionen Menschen betroffen.

Die Frage ist, ob und wie sich die Rollenverteilungen an Zuwanderer in den öffentlichen Narrativen erweitern und drehen lassen. Aus­län­de­r:in­nen sind ja langfristig Ret­te­r:in­nen der Demografie in Deutschland. Rund 40 Prozent der Kinder unter fünf Jahren hierzulande haben einen Migrationshintergrund. Wenn in manchen Milieus vielköpfige Familien und nicht materieller Wohlstand als wichtigster Lebensinhalt gelten, profitiert möglicherweise zukünftig auch die deutsche Gesellschaft davon.

Dienstleistungsbranchen würden verkümmern

Bei den Geflüchteten selbst, etwa aus Syrien und der Ukraine, ruhen die Zukunftshoffnungen oft auf den Söhnen und Töchtern, weil diese die deutsche Sprache schneller lernen als die Eltern und sich leichter integrieren.

Laut Bundesarbeitsagentur ist der Beschäftigungsaufbau derzeit ausschließlich Aus­län­de­r:in­nen geschuldet. Ohne sie würden die Dienstleistungsbranchen verkümmern. Mi­gran­t:in­nen gelten medial aber erst dann als Hoffnungsträger, wenn sie für Deutschland Medaillen gewinnen oder Tore schießen.

Zugewanderte, die es in Deutschland gut in den Arbeitsmarkt geschafft haben, sind übrigens besonders kritisch gegenüber Migrant:innen, die sich mit Sozialleistungen und Arbeitslosigkeit langfristig einrichten.

Mit negativem Storytelling kommt man also nicht weiter. Abgesehen davon ist jede auch indirekte Schuldzuweisung an Kriegsflüchtlinge schäbig. Die Narrative zu erweitern – nur darin liegt eine Zukunft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.                   Die Moderation                 
  • Der Artikel ist voller Widersprüche…



    das ist zu einfach!

  • "(...) Laut Bundesarbeitsagentur ist der Beschäftigungsaufbau derzeit ausschließlich Aus­län­de­r:in­nen geschuldet. Ohne sie würden die Dienstleistungsbranchen verkümmern. (...)"

    Ich war in letzter Zeit krankheitsbedingt öfter bei Ärzten und im Krankenhaus; meine Schwiegermutter wurde zeitweise vom hiesigen Sozialdienst unterstützt.



    Mit Blick auf die dort Arbeitenden habe ich mich mehrmals gefragt, was diese Dienstleister und ihre PatientInnen (!), wohl machen würden, ohne ihre ausländischen Arbeitenden.

  • Insgesamt sind für das Bürgergeld 26 Milliarden im Bundeshaushalt vorgesehen.



    Davon die Hälfte sind ca. 13 Milliarden.



    Dafür ließe sich eine Menge Kitas, Schulen, Elterngeld, Betreeung etc. bezahlen.



    Die meisten Menschen, die ich kenne wollen keine Kinder, weil sie finanzielle Sorgen befürchten. Das Geld ist da, es muss nur entsprechen ausgegeben werden.

  • Danke für diesen dezidierten und klaren Artikel.

  • Die meisten Deutschen verstehen offensichtlich nicht wie Demografie funktioniert. Daher lassen sie sich irgendwelchen populistischen Schwachfug auftischen durch Hetzmedien und soziale Medien. Lustigerweise sind diese Menschen häufig über 50, womit sie dann relativ zeitnah erfahren werden, was Mangel an Pflegekräften bedeutet. Dummheit wird bestraft.

  • Diese Debatten um faule Arbeitslose, Migranten, Geflüchtete sollen nur davon ablenken, dass es in Deutschland ein relativ schlechtes System für Arme und Arbeitslose gibt.

    Aber das Kernproblem ist eben nicht das Sofa, wo der Arbeitslose pennt und sich verweigert, sondern das System und besonders die hohen Anforderungen an die Mitarbeiter im Jobcenter. Regelmäßig landen Sachen vor Gericht, viele Bescheide sind falsch, viele Vermittler können gar nicht vermitteln und nur selten gibt es eine faire, vertrauenswürdige Zusammenarbeit.

    Es gibt eher einen Mix aus Misstrauen, Auflagen und Zwang. Rein sachlich wäre die Regierung gut beraten, dieses System zu schrotten und ein anderes einzuführen.

    Das passiert aber nicht, sondern seit 2005 gibt es immer wieder neue Debatten um die Betroffenen. Die aber zu keinen Veränderungen führen.

    So bleibt für mich: Politiker reden ahnungslos über Armut und sehr niedrige Leistungen, ohne etwas nachhaltig verbessern zu wollen. Parallel leben viele chronisch kranke und belastete Menschen in Armut, viele Kinder und Jugendliche wachsen arm und abgehängt auf, fühlen sich abgetrennt vom Rest und perspektivlos.ihre Eltern werden dann noch vorgeführt....

  • "Der Streit lenkt ab von Wichtigerem"

    Das ist der Kernpunkt: ist die (neo-) liberale Schraube unten angekommen, dann guckt man sich eine vulnerable Gruppe aus, zeigt auf die und sagt: "die warn's". Dann geht noch 'ne halbe Umdrehung (dadurch entsteht die nächste vulnerable Gruppe).

    Neoliberalismus gebiert Faschismus.

    • @tomás zerolo:

      Wahre Worte. Ein Blick in die USA beweist das relativ eindrücklich.

    • @tomás zerolo:

      genau.



      Und Lindner und seine Truppe grinsen sich einen. Läuft.

  • Ist doch schön, wenn sich der Mittelstand - dem es ständig schlechter geht - gegen die ärmsten aufhetzen lässt, dann kommt niemand auf die Idee mal bei den reichsten anzuklopfen. Wie oft haben wir alle in der letzten Zeit durch die liebe Presse gehört : "arbeiten lohnt sich nicht mehr, da kann man gleich zu Hause bleiben mit Bürgergeld" ? Es wurde den Menschen geradezu eingeimpft.



    Und dann immer Berichte im TV von irgendwelchen Menschen die einfach keinen Bock haben auf Arbeit. In meinen Augen war bzw ist das eine einzige Hetz-Kampagne, während es fast jedem aus Mittelschicht und drunter schlechter ging seit Corona haben die sehr Reichen seitdem ihr Vermögen verdoppelt. Gelungenes Ablenkungsmanöver!

    • @Des247:

      Wer erinnert sich noch an die arbeitslosen auf Mallorca? Das war auch genug reisserisch um die paar die tatsächlich auf Mallorca lebten ein riesen Thema zu machen. Als wenn es nix wichtigeres geben würde, was ein paar Leute so anstellen.. Aber darauf konnte man dann das h4 aufbauen. Die Bevölkerung war entsprechend geimpft.

  • Ohne eine massive Liberalisierung des Arbeitsmarktes und einer starken Entlastung des Faktors Arbeit wird das nix werden mit der erfolgreichen Einwanderungsgesellschaft. Denn dazu müssen die Zugezogenen so arbeiten können wie es für sie selber passt und wie sie einen Mehrwert für die Firma generieren. Leider wird seit Jahren versucht die Leute auf das deutsche System zurechtzufeilen. Das funktioniert aber nur teilweise, das kann Deutschland sich nicht leisten. Das hat ja auch mit Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung nur bedingt funktioniert, jetzt kommen noch größere kulturelle Unterschiede und die Sprache hinzu.



    Und das Thema Rentensicherung ist doch nicht zu Ende gedacht: Ja, auch ältere Zugezogene zahlen auch in die Rentenkasse ein, werden später aber vielfach in der Sozialhilfe landen und die Gesamtrechnung ist dann trotzdem deutlich negativ.

  • Was in diesem Land passiert ist doch nicht mehr normal. Ich erinnere mich noch an den Satz, " wie das denn damals passieren konnte. Schaut man sich aber die Hetzte der Politiker, der Medien und vielen Mitmenschen an, wundert es mich nicht, das vor 90 Jahren Deutschland den Faschismus gewählt hat. Irgendwann werden sich wieder die ganz "mutigen" aufraffen, um dann vor Jobcentern Menschen anzugreifen, und der "Rechtsstaat" wird zusehen.

    • @Pebbles:

      >wundert es mich nicht, das vor 90 Jahren Deutschland den Faschismus gewählt hat.

      Wann hat es ihn denn gewählt? Fünf Wochen nachdem Hitler zum Reichskanzler ohne parlamentarische Mehrheit ernannt worden war, hat am 5. 3. 1933 die NSDAP nur 43,9 Prozent erhalten, also keine Mehrheit.

  • Dass die Stimmung "gekippt" ist würde ich nicht sagen. Gefühlt ist es eher ein zäher Brei. Frühjahr 2022 schon gab es die Fraktion, die sich an der Hilfe nicht beteiligt hat, sich ihre Missbilligung wegen der damaligen Stimmungsmehrheiten nicht hat anmerken lassen. Diese trauen sich jetzt mehr aus der Deckung. Das ist alles, würde ich sagen. Es gibt in jeder Gesellschaft die notorisch Hilfsunwilligen und Hilfebehinderer, dagegen brauchten wir schon immer einen eigenen Paragraphen im Strafgesetzbuch. Dass das Bürgergeld im wesentlichen im Land bleibt, für den Staat und die Gesellschaft ein "von der rechten Tasche in die linke Tasche" ist, verstehen die "Kritiker" nicht, oder da es so einfach zu verstehen ist, wollen es nicht verstehen. Dagegen kann man nichts machen, das höre ich mir an bis zum Themenwechsel.

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Der Krieg war frisch, da haben sich mehr Leute zurückgehalten mit Fluchtlingsbashing. Dennoch gab es Berichte von Männern die ukrainische Frauen von Bahnhöfen abholen wollten.. 🙈🙈

  • Was zu diesem Thema gehört, ist der Umstand, dass die Beschäftigungsquote unter Ukrainern in den Niederlanden deutlich höher ist.

    Das schont natürlich die Sozialausgaben, so dass mehr Geld für andere bleibt.

    Für Politiker ist das attraktiv.

    Gehört auch zur Story beim Storytelling.

  • Vielen Menschen stören sich halt daran, dass Menschen Bürgergeld bekommen können die gar keine Bürger sind. Das hätte man durchaus vorraussehen können.



    Natürlich können Geflüchtete eine Bereicherung für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt sein.



    Die Anreize die die europäischen Länder haben sind halt sehr unterschiedlich. Wer z.B. als Ukrainer schnell arbeiten möchte geht nach Schweden oder Polen. Wer z.B. aus Altersgründen oder auf Grund der familiären Situation andere Prioritäten setzt für den besitzt das Bürgergeld eine große Anziehungskraft.



    Ukrainische Flüchtlinge sollte man da nicht für verurteilen. Letztendlich ist die Politik für die Rahmenbedingungen verantwortlich.

    • @Alexander Schulz:

      Neben dem Burgergeld plediere ich immernoch für die Einführung des Biergelds. Die Mäckespampe is immer so trocken ohne Bier.