piwik no script img

Simone Schmollack über Bürgergeld und LohnabstandNicht auf Kosten der Armen

Wer in den 1990er Jahren interne Debatten einiger So­zi­al­ex­per­t:in­nen über die Sozialhilfe verfolgte, dürfte sich über den aktuellen CDU-Vorstoß, das Bürgergeld abzuschaffen, nicht gewundert haben. Damals verwiesen die Ana­lys­t:in­nen auf die USA, wo Sozialhilfe nur insgesamt fünf Jahre gezahlt wird, verteilt über die gesamte Lebenszeit. Und maximal zwei Jahre ohne Unterbrechung. Das wird, so warnten die Expert:innen, auch irgendwann in Deutschland so kommen.

Nun ist die Debatte um staatliche Leistungen für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeiten – über die Stufen Sozialhilfe, Hartz IV, Bürgergeld – genau da angekommen, wo die USA schon vor 25 Jahren standen. Bekanntermaßen ist Amerika das „reichste Armenhaus“ der Welt – und mitnichten Vorbild für das deutsche Sozialsystem. Und trotzdem trifft CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen Punkt, wenn er fordert, es brauche mehr „Anreize für die Jobaufnahme“. So weist das Institut für Weltwirtschaft in Kiel nach, dass manche Ar­beit­neh­me­r:in­nen mit einem relativ normalen Einkommen durchschnittlich 2,30 Euro in der Stunde mehr verdienen als Bürgergeldempfänger:innen. Dieser Lohnabstand ist tatsächlich zu gering.

Wer als Bä­cke­r:in um 3 Uhr in der Früh aufsteht, damit um 7 Uhr warme Brötchen in der Auslage liegen, wer als Pfle­ge­r:in ab 6 Uhr morgens in einem Altenheim reihenweise bettlägerige Menschen umdreht und wäscht, wer als Reinigungskraft nachts Büros schrubbt, hat mehr verdient als nur ein paar Euro mehr. Das Ziel darf jedoch nicht sein, das Bürgergeld abzusenken, sondern vielmehr die Löhne anzuheben. Insofern birgt die Linnemann-Idee beim Bürgergeld ein Verhetzungspotenzial, das den sozialen Frieden erheblich stören kann.

Ungeachtet dessen hat aber jede Lohnerhöhung Folgen – Brot, Pflege, Restaurantessen, solche Dinge werden teurer werden – und zwingt sicher manches Kleinunternehmen dicht­zumachen, weil es seine Angestellten nicht mehr bezahlen kann. Um Lohngerechtigkeit herzustellen, braucht es bessere Vorschläge als die der CDU.

inland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen