Buch über „Mein Kampf“: Ein lügenumwobenes Druckerzeugnis
Bevor „Mein Kampf“ nächstes Jahr wieder gedruckt werden darf, räumt der Historiker Sven Kellerhoff mit diversen Mythen über das Machwerk auf.
Drei Monate noch, und der deutsche Buchmarkt kann eine Wiederveröffentlichung erwarten, die nicht gerade mit Begeisterung begrüßt wird. Am 31. Dezember 2015 läuft das Urheberrecht für Adolf Hitlers „Mein Kampf“ aus, und trotz verschiedener Bemühungen des Noch-Rechteinhabers, des Freistaats Bayern, eine künftige Publikation mithilfe des Strafbestands der Volksverhetzung zu verhindern, ist zu erwarten, dass einige dubiose Verlage sich dieses Geschäft nicht entgehen lassen werden.
Die Faszination, die von diesem Buch bis heute ausgeht, hat so einiges mit seiner Tabuisierung zu tun – die nicht eben neue Erkenntnis, dass das, was verboten ist, erst recht scharf macht, gilt auch für „Mein Kampf“. „Das Buch ist durch das Verbot erst gefährlich gemacht worden“, so der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff am Montag bei der Vorstellung seines Buchs über „Mein Kampf“. Ohnehin ist der Hitler-Schmöker schon jetzt jederzeit über das Internet verfügbar.
Dass Bayerns Verbot eines Neudrucks auch die wissenschaftliche Aufarbeitung von Hitlers Schrift jahrzehntelang mehr als nur behindert hat, machte Magnus Brechtken vom Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) deutlich. Anfang Januar wird nun endlich die wissenschaftliche Edition von „Mein Kampf“ erscheinen – auf 1.900 Seiten, versehen mit rund 3.500 Fußnoten.
„Frühere Versuche, eine kommentierte Ausgabe zu veröffentlichen, scheiterten am Urheberrecht“, sagte Brechtken. Ja, selbst ein vor 1945 niemals veröffentlichtes Manuskript Hitlers konnte nur unter dem verbrämten Titel „Außenpolitische Neuorientierung“ editiert werden.
Lügen in und um das Buch
Kellerhoff untersucht „Mein Kampf“ unter der Fragestellung der „Karriere eines deutschen Buchs“. Warum zum Teufel konnte dieses miserabel geschriebene Machwerk voller inhaltlicher Fehler, peinlicher Stilblüten, ständiger Wiederholungen und offensichtlicher Widersprüche – die Kellerhoff durchaus vergnüglich auszubreiten weiß – eine solche Karriere hinlegen? Wie konnte es geschehen, dass das Buch mit einer Auflage von sagenhaften 12 Millionen Exemplaren uneinholbar die Bestsellerliste deutscher Autoren anführt?
Da räumt Kellerhoff mit so einigen Mythen auf. Der Zahl der Lügen in „Mein Kampf“ stehen die Lügen über „Mein Kampf“ kaum nach. Das beginnt schon bei der Entstehungsgeschichte, nach der der in Landsberg inhaftierte Autor angeblich seinem Vertrauten Rudolf Heß das Buch diktiert haben soll.
Das setzt sich fort bei der Tatsache, dass „Mein Kampf“ in den ersten Jahren zwar kein Ladenhüter war, aber doch deutlich unter den erhofften Verkaufszahlen blieb, während hingegen die in der NS-Zeit erfolgte angebliche Zwangsabgabe für alle frisch Vermählten viel weniger, als gerne behauptet, zum Massenabsatz beitrug.
Kein versehentlicher Fehlkauf
Die Deutschen mussten sich ihren Hitler in aller Regel schon selbst kaufen, und das zu einen vergleichsweise hohen, nicht rabattfähigen Preis, den der Autor ab 1935 steuerfrei kassieren durfte. Als es bald darauf unschicklich ward, das Buch erworben zu haben, behaupteten viele Deutsche gar, es gar nicht gelesen zu haben.
Sven Felix Kellerhoff: „‚Mein Kampf’. Die Karriere eines deutschen Buches“. Klett-Cotta, Stuttgart 2015, 367 Seiten, 22,95 Euro.
Doch auch diese Behauptung vom quasi versehentlichen millionenfachen Fehlkauf entlarvt Kellerhoff mithilfe alter US-Akten als Mythos: Immerhin 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung verrieten in einer Meinungsumfrage im Jahr 1946, das Buch zumindest zum Teil gelesen zu haben.
Was aber taugt diese NS-Bibel zur Erklärung der Person Hitler und des Nationalsozialismus? Zu Ersterem so gut wie nichts, darüber waren sich Brechtken und Kellerhoff im Saal des Deutschen Historischen Museums einig. Hitler habe seine Biografie gefälscht; so sei das Buch vielmehr „eine Quelle darüber, was Hitler gewollt habe, wie man über ihn denkt“, so Kellerhoff, während Brechtgen darauf verwies, dass in dem Machwerk auch nichts Originäres zu finden sei, weil sich der spätere Massenmörder ähnlich auch in anderen Schriften geäußert habe.
Unendliche Langeweile
Bei der Frage, ob „Mein Kampf“ als Blaupause für Hitlers spätere Politik als Diktator zu verstehen sei, gingen die Meinungen auseinander. Hitler habe mit seinem Rassismus und der Vorstellung der Eroberung von „Lebensraum“ im Osten Mitte der 1920er Jahre das formuliert, was er später auch umsetzte, sagte Brechtken. Kellerhoff verwies dagegen auf eklatante Widersprüche wie den Hitler-Stalin-Pakt. In „Mein Kampf“ hatte er noch postuliert, Verträge mit den Machthabern in Osteuropa seien grundsätzlich abzulehnen.
Es steht zu erwarten, dass die Lektüre des Neudrucks vor allem ein Gefühl auslösen wird, das diejenigen, die sich die historische Ausgabe angetan haben, schon gut kennen: das einer unendlichen Langeweile. Und wenn schon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, bleibt die Frage, welchem tieferen Sinn die wissenschaftliche Edition, über Debatten im kleinen Kreis der ernsthaften Hitler-Forscher hinaus, dienlich sein soll.
Nun, schaden kann es auf jeden Fall nicht.
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