Buch über Gentrifizierung der Kultur: Niemand ist hundertpro hetero
Guillaume Paoli vermengt in „Die lange Nacht der Metamorphose“ Modewörter, um den „weißen Mann“ zu erklären. So einfach ist es nicht.
Herzlich willkommen zur fünftausendachtundneunzigsten Ausbuchstabierung einer altbekannten Geschichte.
Die geht so: Donald Trump – ein, wie wir alle wissen, dummer, arroganter Multimilliardär – wurde nicht etwa deshalb auch von vielen Armen gewählt, weil die sich in ihm wiedererkannt zu haben glaubten; auch nicht, weil die Gegenkandidatin Hillary Clinton ihren elitären Mief bis zuletzt nicht ganz ablegen konnte; sondern, weil Clinton zu wenig rassistisch war, zu wenig Angst vor Mexikanerinnen und Schwulen äußerte, zu selten fremde Pussy grabte.
Der Autor des „Manifests der glücklichen Arbeitslosen“ und ehemalige „Hausphilosoph“ des Leipziger Schauspiels Guillaume Paoli hat das nun in einem Buch ausgewalzt und mit ein paar Modeworten vermengt – schön „Gentrifizierung“ zum Beispiel auf dem Cover, „Neoliberalisierung“, klar, und, ach ja, die „asozialen Medien“ dürfen auch nicht fehlen. Ein paar Gemeinplätze drübergestreut: Es gibt kein Klassenbewusstsein mehr, ein Apparat aus Spaß, Konsum und angeblicher Selbstverwirklichung verschleiert unser Elend („Verblendung“, „Kulturindustrie“, ist so neu jetzt auch nicht). Überdies: Die Jugend rebelliert nicht, debattiert nicht, Wein schmeckt nicht, Musik und Literatur begeistern nicht mehr. Schlimm auch das natürlich.
Und nun kommt der große Böse: die „French Theory“. Damit meint der Autor wohl so etwas wie Foucault-Deleuze-Derrida-Butler, das wird nicht so ganz klar, weil er nie konkrete Quellen nennt. Paoli behauptet munter drauflos: Der neoliberalen Umformung der Gesellschaft stehe „die“ postmoderne Theorie Pate. Gesellschaftskritik habe sie auf eine kleine „beschauliche Minderheit von Professoren, Studenten, Verlegern“ beschränkt und kulturelle Fragen in ihr Zentrum gerückt, um in einer Art Komplott die Armen nun nicht mehr als arm, sondern als konservativ denunzieren zu können. Der von ihm *pomo abgekürzte Feind wolle die Existenz von Wahrheit verleugnen, „sämtliche Diskurse und Praktiken für gleichwertig“ erklären und eine neue Welt voller „Mutanten“ schaffen, etwa durch einen „Kampf gegen die Biologie“. Die „wird entweder als bloße Materialisierung von kulturellen Diskursen, als normatives Phantasma betrachtet oder als mangelhafte Zusammensetzung von Teilen, die am liebsten rekombiniert werden sollten“.
Er kann nun mal nicht anders!
Das ist Schwachsinn. Beispiel Sex: Kaum ein seriöser Queer-Theoretiker leugnet, dass es Geschlechtsteile gibt – vielmehr geht es darum, wie wir sie betrachten, mit welchen Vorstellungen, Normen und Ordnungskategorien, und wie die sich über die Zeit hinweg verändern. Welche Teile sind überhaupt „Geschlechtsteile“? Was ist „Sex“? Warum und wie hat er stattzufinden? Welche Körperöffnungen können dabei penetriert werden? Was ist eine Vergewaltigung?
Das Buch: Guillaume Paoli: „Die lange Nacht der Metamorphose“, Matthes & Seitz, 220 Seiten, 20 Euro
Premiere: Heute Abend um 19 Uhr stellt der Autor sein Buch in den Räumen des Verlags vor, Göhrener Str. 7, 10437 Berlin.
taz lab 2018: Guillaume Paoli ist in diesem Jahr zu Gast auf dem taz lab. Das Thema ist die Zukunft der Arbeit: am 21. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Weitere Infos dazu finden Sie unter: taz.de/tazlab2018
Ähnlich verhält es sich mit dem zentralen Lustobjekt vieler (reicher) weißer Männer: dem „kleinen Mann“. Unverbesserlich reaktionär und wegen seiner Schnoddrigkeit von den „liberalen Eliten“ verfemt: Er kann nun mal nicht anders. „Bitte nicht stören“, pinseln die Kritiker einer diffus wabernden, auf jeden Fall bedrohlichen „politischen Korrektheit“ fleißig an die Tür ihres Care-Objekts, um dessen vermutetes Gefühl sich bitte alles drehen soll. Zeugt dieser Blick aber nicht von einer schrecklichen Arroganz und Vereinheitlichung??
Nicht zuletzt reden so meist die gleichen, die einst über „Sozialschmarotzer“ und „Hartzer“ ebenso wie über „Asylmissbrauch“ und „Pleite-Griechen“ ätzten und deren Kinder selbst dann noch bessere Noten bekommen, wenn sie dümmer sind als die aus der Hochhaussiedlung. Den „Mythos der tugendhaften weißen Arbeiterklasse“ nennt das der Autor Ta-Nehisi Coates in seinem Buch „We Were Eight Years in Power“ und schreibt, „die weiße Arbeiterklasse funktioniert rhetorisch weniger als reale Gruppe von Menschen denn als Werkzeug, um die Forderungen derjenigen ruhigzustellen, die ein inklusiveres Amerika wollen“. Den größten Rückhalt erhielt Trump, in der Tat, nicht bei den weißen Wählern mit weniger als 50.000 Dollar Jahreseinkommen, sondern bei denen darüber.
„Postmoderne“ so schlimm wie Stalinismus?
Die primäre Einteilung der Menschen nach Geschlechts- und Altersmerkmalen, Hautfarben, kodifizierten Namen ist nicht selbstverständlich, sondern durch unsere soziale Ordnung hervorgebracht; sie könnte etwa genauso nach Haarfarben erfolgen. Auch die vermeintliche Einheitlichkeit solcher Ordnungskategorien ist ein Phantasma. Welcher Mensch ist schon hundert Prozent hetero, weiß oder gar deutsch? Und woran lässt sich das festmachen? Selbst die dominante Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit wird nur mit ständig neuer Gewalt abgesichert: Kinder sollen ein klares Geschlecht haben – zur Not durch medizinische Eingriffe.
Dinge sind nicht einfach da. Wir machen sie erst zu dem, was sie jeweils für uns sind. Identität wird aus der Differenz heraus gebildet. Statt der Kampfvokabel „Identitätspolitik“ wäre also „Diversitätspolitik“ ein besserer Begriff. Die Feststellung, dass Minderheiten „in der Öffentlichkeit ein überproportionaler Raum gewährt wurde“ und dass sie weißen Männern Böses wollten (Täter-Opfer-Umkehr, there you go), ist nur möglich, wenn man so etwas wie eine Mehrheit voraussetzt. Erst aus der Abgrenzung von den zuvor konstruierten minoritären Gruppen, erst aus der Verdrängung des Fremden im vermeintlich Eigenen vermag die Mehrheit sich zu bilden. Vor allem für sie wird also immerfort „Identitätspolitik“ betrieben.
Es geht „postmoderner Theorie“ eben nicht darum, eine neue Welt zu erschaffen, sondern zunächst, die alte genau zu verstehen und die vermeintlichen Gewissheiten zu enttarnen, auf denen unser Denken fußt. Die „schwarze, lesbische, minderjährige, kranke Afrikanerin“ darf man auch heute verachten, sollte es aber vielleicht besser nicht tun, wenn man keinen Gegenwind erträgt. Anders früher: Da durfte man nicht lesbisch, Migrant oder behindert sein, und wurde, wird, dafür, wenn doch, bis heute gequält, wenn nicht bestraft, wenn nicht getötet. Es war nicht alles besser.
Warum aber plagt Paoli dann so eine schreckliche Angst davor, angeblich bald kein weißer Mann mehr sein zu dürfen? Ist die „Postmoderne“ wirklich so schlimm wie Stalinismus, Inquisition und Salafismus? Klingt das nicht wie am AfD-Stammtisch: „Die intrauterine Kolonisation armutsgeprägter nepalesischer Frauenbäuche durch wohlhabende Schwule aus Israel, Figuren der Unschuld schlechthin, die ihr Grundrecht auf Kinderkriegen käuflich einlösen.“?
„Morgen ist eine andere Gegenwart“
Der Autor fällt genau auf das Ablenkungsmanöver herein, das er so eifrig kritisieren will: Kultur- anstelle von Umverteilungsdebatten zu führen. Dass der Rassismus vieler (und eben nicht: aller) Armer ihnen systematisch eingeredet wird und gerade kein unumstößliches, immerzu verstanden werden müssendes Faktum darstellt, entgeht ihm völlig; ebenso, dass es noch immer weiße Männer sind, die an fast allen Schaltstellen der Gesellschaft sitzen.
Klar, jetzt können auch Schwarze oder Deutschtürken Karriere machen. Es geht immer irgendwie um Gelder, Posten, Futtertröge. Die Akkumulationsdynamik kapitalistischer Gesellschaften verleibt sich nun mal alles ein, was an ihnen teilhat – auch die zaghaft voranschreitende Partizipation von „Minderheiten“. Selbst Kapitalismuskritik lässt sich auf das Wunderbarste kommerzialisieren, siehe Che-Merchandising, siehe Suhrkamp-Verlag, siehe Guillaume Paoli.
Dessen Buch ist eines für die Richtigen: für die, die zu faul sind zum Denken, nicht aber zum Reden; für die, die es verdient haben. In den Worten des Autors: „Morgen ist eine andere Gegenwart. In spätestens sechs Monaten werden alle Bücher, die jetzt auf Bahnhofsbuchhandlungstischen gestapelt sind, ausgemustert und vergessen sein. Schlauer ist, sich auf das heutige Publikum zu konzentrieren, um eine Momentaufnahme dessen unbeständiger Gefühlslage zu liefern.“
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