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Buch „Cannabis und Führerschein“Die irre Verfolgung der Kiffer

Polizisten lernen, dass man Kiffer am ungepflegten Zustand ihrer Autos erkennt. Theo Pütz fordert in seinem Buch ein Ende dieser Drangsalierungen.

Bei Drogenverdacht ist die Polizei unerbittlich. Bild: dpa

Um mit der Conclusio zu beginnen: Dieses Buch müsste ein Bestseller werden. Die deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat 2013 mitgeteilt, dass 4,5 Prozent der befragten Erwachsenen angeben, im Jahr 2012 Cannabis konsumiert zu haben. Die Gefährdung THC konsumierender Kraftfahrer ist damit ein Massenphänomen.

Das Buch beschreibt die Rechtslage sehr detailliert, wobei manchmal leider die Fundstellen zu den zitierten Gerichtsentscheidungen fehlen. Der Autor versucht auch gar nicht erst, die Grundlage der irren Verfolgung von Cannabis-Konsumenten durch die Führerscheinbehörden und die für deren Aufsicht zuständige Verwaltungsgerichtsbarkeit zu ermitteln.

Leider erfährt man auch nicht, wer die ominöse Grenzwertkommission besetzt, die den in Deutschland herrschenden absurd niedrigen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Blut festgelegt hat. In der Schweiz dürfen selbst Busfahrer und Lokführer ihre Fahrzeuge führen, wenn sie unter 3ng/ml THC aufweisen, und im US-Bundesstaat Colorado darf man mit 5 ng/ml THC fahren. Die „Grenzwertkommission“ ist eine privatrechtliche „gemeinsame Arbeitsgruppe“ der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) mit der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin.

Der Grenzwert wird tatsächlich nicht durch die Behörden und Gerichte überprüft. Der Gesetzgeber hat die Festlegung des Grenzwerts auf diesen Haufen privater Interessenten verlagert. Besucht man die Seiten der genannten Institutionen, sieht man: Die Verbände haben mit ihren Grenzwerten ein einträgliches Geschäft für ihre Mitglieder initiiert.

Da wird etwa Literatur angeboten („Beurteilungskriterien Fahreignung“), dazu Fortbildungsveranstaltungen für Behördenmitarbeiter und Gutachter. Es wird das Curriculum für die „Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien“ angepriesen und angekündigt, dass „voraussichtlich ab dem 1. Mai 2014 nach ihnen vorgegangen werden“ soll. In den Veranstaltungen werden die Teilnehmer auf die Verfolgungspraxis eingeschworen. Heerscharen von Verkehrsmedizinern, Psychologen, Fahrlehrern, Anwälten verdienen damit ihr Geld.

Nichts zugeben

Das Buch macht auf mit dem wichtigen Hinweis für Betroffene: Nie Cannabis-Konsum zugeben, auch nicht für die Vergangenheit, wenn man von Polizeibeamten am Steuer angetroffen wird. Auch sonst nie einen Drogenkonsum zugeben: Die Führerscheinstellen dürfen selbst Radfahrer, die keinen Führerschein besitzen, mit der gebührenpflichtigen Aufforderung behelligen, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.

Und schon gar nicht einen Mischgebrauch zugeben, etwa von Alkohol und Cannabis. Und nicht freiwillig irgendwelche Proben abgeben oder zulassen. Und schließlich sich nicht fügen und trotz der miesen Rechtsprechungslage versuchen, sich informiert dem zwiespältigen Verfahrensmarathon zu stellen (Straf-und Bußgeldverfahren einerseits, Fahrerlaubnisentzug und Verwaltungsgerichtsverfahren andererseits).

Das Buch bestätigt die Praxiserfahrungen. Polizeibeamte lernen, dass man Cannabis-Benutzer am ungepflegten Zustand ihrer Autos erkennt (eine Art Klassenjustiz); aber auch am Verhalten: „Starrer Blick, krampfhaftes Umklammern des Lenkrades, betont lässige Sitzposition, auffälliges Hantieren unterhalb der Sichtlinie.“

Ein Beispiel aus der Praxis

Ich will dazu aus der Praxis zitieren: Zwei Berliner Polizisten treffen an einem Montagmittag in Friedrichshain auf einen dreißigjährigen, fettleibigen Mann. Auto und Mann „ungepflegt“. Er soll falsch abgebogen sein (wurde später nicht weiter verfolgt).

Die Beamten schreiben „erweiterte Pupillen, wässrig-glänzende Augen, verwaschene Aussprache“ und rechtfertigen damit die Mitnahme auf die Wache und eine Blutentnahme. Der Polizeiarzt schreibt als „Untersuchungsbefund“ zum Leistungsbild „Sprache: deutlich“, „Gesamteindruck: (beeinflusst durch Alkohol oder Betäubungsmittel) nicht merkbar“.

Tatsächlich können die von den Polizisten behaupteten Ausfallerscheinungen nicht die Folge von Drogenkonsum gewesen sein. Unterstellen wir, der Mann hätte Opiate konsumiert: Die haben kleine Pupillen, eine schleifende Sprache zur Folge.

Nehmen wir Drogen wie Kokain, Amphetamine, Ecstasy: Die gehen einher mit großen Pupillen, aber einer klaren Sprache. Der Verzehr derartiger Stimmungsaufheller führt zu besonderer Leistungsfähigkeit und auch Artikulationskraft. Nehmen wir Cannabis: Das führt zu keinerlei Pupillenveränderung, allerdings unmittelbar nach dem Konsum zu geröteten, nicht aber zu wässrig-glänzenden Augen. Cannabis-Konsum führt auch nicht zu unklarer Aussprache.

Die behaupteten Ausfallerscheinungen haben sich die Beamten ausgedacht, sie passen zu keinem bekannten Betäubungsmittel. Die gegen die Beamten gerichtete Strafanzeige verlief gleichwohl im Sande. Der wirkliche Anlass für die Maßnahme war: Der Mann hatte im Jahr 2005 ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, das mit einem Freispruch endete.

Vorschläge fehlen

Das Buch ruft nach einem Ende der Drangsalierungen der Kiffer durch Führerscheinbehörden und Verwaltungsgerichte. Es macht aber keine Vorschläge, wie das zu erreichen ist.

Mir scheint es müßig, auf politische Parteien und parlamentarische Einflussnahme zu warten. Keine Partei (mit Ausnahme der Linkspartei und der Piraten) verspricht sich davon Wahlerfolge. Aussichtslos ist die Hoffnung auf die deutschen Verwaltungsgerichte. Diese verletzen nachhaltig ihre Richterpflichten, indem sie ihre Entscheidungsverantwortung auf private „Sachverständige“ verlagern.

Die richtige Antwort ist der Aufbau von Einfluss auf die „Expertenszene“, also über aufgeklärte Gerichtsmediziner und Verkehrsmediziner. Man muss den Streit in den Deutschen Verkehrsgerichtstag, in die einschlägigen Abteilungen der Gewerkschaft der Polizei, in die Lehrstühle der einschlägigen Hochschulen und die Fachinstitute tragen. Die gegenwärtige Praxis ist antiaufklärerisch, rechtswidrig und für Cannabis-Konsumenten demütigend.

Das Buch

Theo Pütz: „Cannabis und Führerschein“. Nachtschatten-Verlag, Schweiz, 2013, 175 Seiten, 23 Euro

Johannes „Jony“ Eisenberg ist Rechtsanwalt, fährt ein Auto in schlechtem Pflegezustand, kifft aber nicht.

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11 Kommentare

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  • Auf eine fallengelassene Anzeige wegen des Besitzes einer äußerst geringfügigen Menge Gras folgte bei mir eine ungefragte briefliche Einladung des örtlichen TÜV, der sich eingangs bei mir für das ihm entgegengebrachte Vertrauen bedankte (bitte, gern geschehen!).

    Der "Technische Überwachungsverein", ein privatwirtschaftlicher Dientleister, bekommt also ohne mein Einverständnis meine Daten (vom zuständigen Gericht oder der örtlichen Polizeibehörde, das weiß ich nicht) mit dem Hinweis, dass hier ein potentieller Kunde für die schweineteuren TÜV-MPUs wartet. Datenschutz? Vonwegen, nicht für Hänflinge.

    Ich habe die freundliche Einladung des TÜV vor 10 Jahren nie angenommen, auf den Erwerb eines Führerscheins verzichtet und lebe daher Autofrei.

    By the way: Verjährt so ein Vermerk bei der Führerscheinstelle eigentlich irgendwann?

  • Übersetzung: Keinesfalls dem Polizisten auf seine "Beratung" antworten: Ich war schon drogensüchtig!

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Mußt nur nen alten VW Bus haben, schon ziehen sie Dich bei jeder Kontrolle und an jeder Grenze raus. Die haben noch nciht geschnallt, daß der Durschnitskiffer heute so spießig und angepaßt aussieht, wie seine Alten, nämlich die Zahnärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure und Beamten dieser Gesellschaft. Im vom Papa spendierten Neuwagen dampfen die Hanfschwaden und die Polente geht derweil dem geringverdienenden Handwerker auf die Nerven, der sich nur einen Gebrauchten leisten kann.

  • Der Grenzwert ist die alltaegliche Willkuer in deutschen Gerichten. Es faellt nur nicht besonders auf. Es ist die "natuerliche Betrachtungsweise", mit der sich der Richtetr erlaubt, vom Recht einmal abzusehen. Eigentlich eindeutig Willkuer, wenn der Richter nicht glauben wuerde, er habe immer Recht.

    • @fritz2:

      Die Drogenpolitik der Regierung ist ein Witz. Man geht davon aus, der Bürger muss vor Cannabis geschützt werden. Dafür saufen sich die Leute zu Tode. Der Drogenmarkt wird Kriminellen überlassen, die mit dem Kapital in andere Wirtschaftszweige investieren, mit ähnlichen Methoden.

  • Man gerät schnell unschuldig in die Fänge derartiger Beamter.

     

    Oft wird dann vor nichts zurück geschreckt, um den Pelz der Beamten vor Schaden zu bewahren. Es wird freimütig gelogen und gefälschte Beweise sind auch kein Mittel, dass man nur in schlechten Krimis findet. Selbst Einschüchterung bei der Vernehmung sind durchaus möglich. Es wird jede Möglichkeit genutzt, auch wenn sie dabei die Grenzen des Rechts eindeutig überschreiten.

     

    In einem Fall wurde gegen einen Drogenkurier ermittelt, der, um vermeintliche Vorteile daraus zu ziehen, einfach wahllos Leute beschuldigte, die er kannte (nur nicht die wirklichen Mittäter).

     

    Diese Aussage reichte für einige Hausdurchsuchungen und Führerscheinentzüge, gestützt durch erfundene Angaben der Beamten.

     

    Da ein ungerechtfertigter Entzug eines Führerscheins durch die Beamten natürlich problematisch ist, hat man sich in der Folge allerlei einfallen lassen, inklusive angekündigter Rechtsbeugung durch eine Richterin, um eventuelle Probleme für die Beamten abzuwenden.

     

    Der Schaden für die Menschen, die unverschuldet in die Fänge solcher fauler Äpfel geraten, ist kaum auszumahlen. Zumindest ein Opfer hat empfindliche Schäden durch diese Machenschaften erlitten, da sein Leben, mehr als sonst, vom Besitz der Fahrerlaubnis abhing. Der Entzug kam, in diesem Fall, praktisch einem Hausarrest und einer Verdammung zur Grundsicherung gleich.

     

    Diese Person hat sich bis heute nicht von diesen Taten erholt. Neben den offensichtlichen Schäden, hat die Verurteilung eines Unschuldigen auch gravierende psychische Konsequenzen.

     

    Es wird also wirklich Zeit, dass dieses Thema angesprochen wird. Ich kann mir inzwischen nicht mehr vorstellen, dass es sich um Einzelfälle handelt. Dazu ist dieses System von Einschüchterung, falschen Anschuldigungen und gegenseitiger Deckung viel zu ausgereift. Ähnlich dürfte es bei den Fällen aussehen, wenn unschuldige durch Eingriffe der Polizei zu Schaden kommen.

  • Wir sind für ein Verbot aller Drogen hinter dem Steuer. Beim Bahnfahren allerdings ...

     

    http://youtu.be/Jw2HqKsl4Jw

  • Ich finde diesen Artikel zwiespältig. Zwar bin ich für eine Freigabe von Cannabis und finde stellenweise die Verfolgung der Konsumenten lächerlich und sinnlos.

    Allerdings bin ich sehr wohl der Meinung, dass Drogen jeglicher Art (einschließlich Alkohol) im Straßenverkehrt nichts zu suchen haben bis auf geringe Grenzwerte. Ob das jetzt 1 oder 3 ng/ml THC sein dürfen, kann ich nicht beurteilen, finde aber den Vergleich und die daraus erfolgte Schlüssfolgerung (das geht dort, also waurm nicht bei uns?) unsinnig. Bekanntermaßen darf man ja in Bayern inoffiziell auch mit zwei Maß noch Auto fahren, sinnvoll finde ich das aber nicht und legitimieren tut es ebenso nichts.

     

    Wenn die Symtome bei dem mann erfunden wurden, ist die Polizei dafür natürlich zru rechenschaft zu ziehen. Da ich aber nicht dabei war, kann ich es nicht beurteilen. Und ich denke schon, dass es genug Drogen gibt, bei denen dies möglich ist (ein kokser kann ja auch davor schon eine schlechte Aussprache haben, der wird dann sicherlich nicht sofort zum blendenden Rhetoriker). Und ich finde es angemessen, dass die Polizei beim feststellen von Anhaltspunkten weiter ermittelt - Finde ich sinnvoller, als racial profiling oder anderen rassistischen Unsinn. Wann soll die Polizei denn sonst ermitteln, wenn nicht beim Vorliegen von Anhaltspunkten?

    • @Dubiosos:

      Die Problematik bei Cannabis besteht aber darin, dass bei der jetzigen Gesetzeslage es ein Vergehen ist, wenn man am Verkehr teilnimmt aber noch die Abbauprodukte im Körper hat.

      So kann man seinen Führerschein verlieren, wenn man bspw. 3 Tage nach dem Kiffen am Straßenverkehr teilnimmt. Vergleicht man die Gesetzeslage mit der von Alkohol, bei der man bei 0,5 Promille noch nicht belangt werden kann und der von Cannabis, wo nach 3 Tagen (Dauer der Nachweisbarkeit ist Konsumabhängig) bei Festellung eines minimalen Wertes dir der Führerschei wegnommen hat sollte einem auffallen, das eine Person mit Alkohol im Blut, bspw. Restalkohol nach einer durchzechten Nacht als mehr Verkehrsfähig eingestuft wird, als ein Raucher, welcher auch völlig ohne Fahrauffälligkeiten fahren kann.

       

      Anhand des Wertes THC ng/ml ist es sogar Möglich die Häufigkeit des Konsums zu erfassen. So kann man zwischen dem Gelegenheitsraucher und den Dauerkonsumenten sehr leicht unterscheiden. Soweit ich weiß kann man sogar zwischen aktiven und passiven (Abbaustoffe) THC unterscheiden, alles Möglichkeiten um dieses System deutlich fairer zu gestallten. Ein Autofahrer, der wegen einer kleinen Menge THC im Blut seinen Führerschein verliert wird massiv geschadet, es kann neben den extremen Kosten (MPU Privatunternehmen...) auch noch das komplette berufliche Leben zerstört werden. Und das nur, da irgend ein moderner Test es noch schafft 1ng/THC in deinen Körper zu finden.

      • @Balu:

        Das fällt natürlich unter den Teil, den ich auch unsinnig finde. Ob jemand vor 3 Tagen gekifft hat, wenn er Auto fährt, ist mir schnurzegal. Ich weiß nicht, inwieweit sich aus dem THC-Gehalt bestimmen lässt, wann dieser Konsum erfolgte; prinzipiell wäre ich für eine Bestrafung in dem Fall das man unter Drogeneinfluss Auto fährt, andernfalls finde ich es völlig irrelevant.