Bröckelnde Brandmauer in Thüringen: CDU-Testballon in Thüringen
Einfacher wird das Regieren nicht: Trotz Schulterschluss von CDU, AfD und FDP strebt die RRG-Minderheitsregierung einen Haushalt mit der CDU an.
Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt ist am Vormittag jenes „schwärzesten Tages seiner parlamentarischen Laufbahn“, wie Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow formulierte, auch der Entwurf des Landeshaushalts 2024 ins Parlament eingebracht worden. Drei Jahre lang hatten sich Linke, SPD und Grüne in quälenden Haushaltsverhandlungen Kompromisse abringen lassen, weil ihnen vier Stimmen zur Mehrheit fehlen. Der Zeitpunkt des Zusammengehens von CDU, AfD und FDP war also pointiert gewählt. Und wohl abgestimmt, wie mehrere Quellen bestätigen.
Für Steffen Dittes handelt es sich deshalb nicht um eine Bagatelle, wie eine ähnliche Machtdemonstration der Opposition beim Spielhallengesetz. „Wir können den Haushalt mithilfe von AfD und FDP auch gegen die Regierung gestalten“, sei die Botschaft der Union. Das komme einer „Quasi-Koalitionsbildung“ gleich. „Wer aber übernimmt dann die Verantwortung?“, fragt Dittes. Mit Blick auf das Wahljahr 2024 sei Thüringen nun ein Testballon für eine mögliche Tolerierung einer CDU-Minderheitsregierung durch die AfD oder gar eine Koalition mit ihr.
Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey reagierte mit Unverständnis auf das Vorgehen der CDU. „Trotz des Angebots, das Thema Familienförderung bei Wohneigentum während der Haushaltsverhandlungen miteinander zu klären, hat die CDU noch vor der ersten Lesung des Haushaltes schon im Ausschuss und nun im Parlament die Mehrheit rechts der Mitte genutzt“, kritisiert er.
Dass die Union „lieber mit Björn Höcke“ abstimme, habe er bis zum Schluss nicht glauben wollen. „Die AfD hat nun erstmals in einem deutschen Parlament Gestaltungsmacht über den Landeshaushalt bekommen“, konstatiert Hey. Neben dieser Enttäuschung sei es besonders verstörend, dass nach der Abstimmung breitbeinig verkündet wurde, es folge „jetzt jeden Monat so ein Knaller“.
„Krasse Beschleunigung des Rechtsrucks“
Madeleine Henfling, Parlamentarische Geschäftsführerin der kleinen Fraktion der Bündnisgrünen, hat das CDU-Vorgehen nicht überrascht, wohl aber, wie eiskalt sie es durchgezogen hat. Denn die „krasse Beschleunigung des Rechtsrucks“ der Union insgesamt sei seit Monaten offenkundig. Obschon sich RRG „bis zum Erbrechen kompromissbereit“ gezeigt habe, werde das Aushandeln konkreter Vorhaben immer schwieriger.
Henfling und Dittes erklären dies mit „Verzweiflung, gar Panik“ einer Thüringer CDU, die in Umfragen bei 20 Prozent stagniert. Deshalb stecke in der keineswegs geschlossenen Landespartei auch kein Abweichler den Kopf heraus.
Die Grüne hält die strategische Liaison mit der AfD für einen schweren Fehler, der „Mythos Rückgewinnung von AfD-Wählern“ werde nur die Rechtsradikalen stärken. Der vergangene Donnerstag habe gezeigt, dass die CDU sie zu einem Machtfaktor aufgewertet hat, resümiert der Linke Steffen Dittes.
Verdrossen, aber konsequent und auch alternativlos will die Minderheitskoalition dennoch das bisherige Verfahren bei den anstehenden Haushaltsberatungen fortsetzen, also erneut auf die CDU zugehen. Das dafür erforderliche Minimalvertrauen sei schwer gestört, aber nicht zerstört, schätzt Steffen Dittes ein.
Wie die CDU ihre Forderungen finanzieren will, die sich laut Koalition auf eine Dreiviertelmilliarde summieren, muss sie noch erklären. Eine Sabotage des Haushalts könne sie sich wegen der im kommenden Jahr gleichfalls anstehenden Kommunalwahlen aber nicht leisten, meint Madeleine Henfling.
Während die Thüringer CDU den Rückhalt der Bundespartei und von Friedrich Merz genießt, bleibt ihr Partner FDP auf sich allein gestellt. Die Bundesliberalen haben bekräftigt, dass sie den Wahlkampf von Thomas Kemmerich & Co 2024 nicht unterstützen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“