Britische Labour-Partei in der Kritik: Antisemitismus-Streit eskaliert erneut
Aus dem Corbyn-Lager der Labour-Partei kommen immer wieder antisemitische Bemerkungen. Die Definition von Antisemitismus wird verwässert.
Es geht um die internationale Definition des Antisemitismus, welche vor zwei Jahren von der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) aufgestellt wurde. Die Definition wurde auch von der britischen Staatsanwaltschaft sowie von 31 Staaten als Ganzes übernommen. „Antisemitismus ist eine gewisse Wahrnehmung von Juden, die als Hass gegenüber Juden ausgedrückt werden kann“, lautet diese Definition.
Als Beispiele gelten nicht nur Holocaustleugnung und verschwörungstheoretische Stereotypen gegenüber Juden, sondern auch der Vorwurf, Juden seien Israel loyaler als ihren eigenen Ländern, ebenso die Bezeichnung der Gründung des Staates Israel als rassistischer Akt, oder Israels Politik mit den Nazis zu vergleichen – lauter Dinge, die im Corbyn-Lager der Labour-Partei immer wieder geäußert werden, und die jetzt in der Labour-Auflistung von Antisemitismus fehlen, anders als in der der IHRA.
Jüdische Weltverschwörung und Bestialität, Verteufelung Israels als schlimmster Pariah unter den Nationen, Vergleiche von Israel mit den deutschen Nazis werden häufig von linken Labour-Aktivisten getätigt, vor allem von solchen Mitgliedern, die lange marginal in der Partei waren und sich jetzt als Teil des Mainstreams sehen.
Nicht nur neuer Enthusiasmus zu sozialistischen Themen kam mit Corbyn an die Tagesordnung, sondern auch schräge, unachtsame, feindselige und explizit antisemitische Bemerkungen gegenüber Juden, und selbst kleine Ortsvereine weisen eine regelrechte Versessenheit auf, permanent Israel zu verurteilen – während der Syrienkonflikt oder die Flüchtlingskrise im Mittelmeer diese Genoss*Innen weniger interessiert. In vielen Londoner Ortsverbänden wie Camden, Haringey und Lewisham wurde eine Verurteilung von Antisemitismus nur gegen starken Widerstand durchgesetzt, als wäre das nichts Selbstverständliches in der Arbeiterpartei.
Ende März rief der jüdische Dachverband mit anderen zu einer Protestveranstaltung gegen den Antisemitismus in der Labour-Partei auf. Einen solchen Protest hatte es bisher noch nicht gegeben. Jüdische Labour-Abgeordnete sprachen über ihre Erfahrungen in der Partei. Dass sich auch bekannte Gegner Corbyns unter die Kritiker mischten, machte es dem Corbyn-Lager leicht, alles als politische Kampagne abzutun. Um der Kritik zu begegnen, wonach die Parteiführung nichts unternehme, erarbeitete Labour jetzt eine eigene Definition von Antisemitismus – die Teile der IHRA-Definition weglässt, wo es um Israel geht.
Da heißt es bei Labour jetzt, dass in Sachen Israel nur jene Bemerkungen antisemitisch seien, die auch in ihrer Absicht antisemitisch seien. Doch dies widerspricht der in Großbritannien seit den Diskussionen über institutionalisierten Rassismus bei der Polizei gängigen Definition von Diskriminierung, auf dessen Basis auch die IHRA-Definition steht: nämlich, dass die Basis von Anschuldigungen der Diskriminierung oder des Rassismus die Wahrnehmung und die Aussage der Betroffenen ist.
Nicht Rassisten bestimmen, was Rassismus ist, sondern die Opfer von Rassismus, und Ignoranz schützt nicht vor diesem Vorwurf. Für Antisemitismus gilt das bei Labour jetzt nicht mehr: Durch Labours Definition ist man kein Antisemit, wenn man sich nicht bewusst ist, dass eine Aussage antisemitisch war.
Das sei „unmöglich zu verstehen“, reagieren in einer gemeinsamen Erklärung der jüdische Dachverband Jewish Board of Deputies und der Verband jüdischer Gemeinschaftsführer*Innen. Labours Parteivorstand wiederum gibt an, dass die neue Definition vom Jewish Labour Movement (JLM), dem Verband jüdischer Labour-Mitglieder, gebilligt worden sei. Aber gegenüber der linken Wochenzeitung New Statesman dementieren das zwei führende JLM-Mitglieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“