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Britische Labour-Partei in der KritikAntisemitismus-Streit eskaliert erneut

Aus dem Corbyn-Lager der Labour-Partei kommen immer wieder antisemitische Bemerkungen. Die Definition von Antisemitismus wird verwässert.

Bekommt den Antisemitismus-Streit in seiner Partei nicht unter Kontrolle: Jeremy Corbyn Foto: dpa

LONDON taz | „Die Labour-Partei ist institutionell antisemitisch“, kommentiert Stephen Pollard, Chefredakteur der britisch-jüdischen Wochenzeitung Jewish Chronicle. Pollard ist kein Freund Labours. Aber sein Urteil über neue Richtlinien, mit denen Großbritanniens linke Oppositionspartei letzte Woche klären wollte, was Antisemitismus ist, wird auch von anderen geteilt.

Es geht um die internationale Definition des Antisemitismus, welche vor zwei Jahren von der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) aufgestellt wurde. Die Definition wurde auch von der britischen Staatsanwaltschaft sowie von 31 Staaten als Ganzes übernommen. „Antisemitismus ist eine gewisse Wahrnehmung von Juden, die als Hass gegenüber Juden ausgedrückt werden kann“, lautet diese Definition.

Als Beispiele gelten nicht nur Holocaustleugnung und verschwörungstheoretische Stereotypen gegenüber Juden, sondern auch der Vorwurf, Juden seien Israel loyaler als ihren eigenen Ländern, ebenso die Bezeichnung der Gründung des Staates Israel als rassistischer Akt, oder Israels Politik mit den Nazis zu vergleichen – lauter Dinge, die im Corbyn-Lager der Labour-Partei immer wieder geäußert werden, und die jetzt in der Labour-Auflistung von Antisemitismus fehlen, anders als in der der IHRA.

Jüdische Weltverschwörung und Bestialität, Verteufelung Israels als schlimmster Pariah unter den Nationen, Vergleiche von Israel mit den deutschen Nazis werden häufig von linken Labour-Aktivisten getätigt, vor allem von solchen Mitgliedern, die lange marginal in der Partei waren und sich jetzt als Teil des Mainstreams sehen.

Nicht nur neuer Enthusiasmus zu sozialistischen Themen kam mit Corbyn an die Tagesordnung, sondern auch schräge, unachtsame, feindselige und explizit antisemitische Bemerkungen gegenüber Juden, und selbst kleine Ortsvereine weisen eine regelrechte Versessenheit auf, permanent Israel zu verurteilen – während der Syrienkonflikt oder die Flüchtlingskrise im Mittelmeer diese Genoss*Innen weniger interessiert. In vielen Londoner Ortsverbänden wie Camden, Haringey und Lewisham wurde eine Verurteilung von Antisemitismus nur gegen starken Widerstand durchgesetzt, als wäre das nichts Selbstverständliches in der Arbeiterpartei.

Durch Labours Definition ist man kein Antisemit, wenn man sich dessen nicht bewusst ist

Ende März rief der jüdische Dachverband mit anderen zu einer Protestveranstaltung gegen den Antisemitismus in der Labour-Partei auf. Einen solchen Protest hatte es bisher noch nicht gegeben. Jüdische Labour-Abgeordnete sprachen über ihre Erfahrungen in der Partei. Dass sich auch bekannte Gegner Corbyns unter die Kritiker mischten, machte es dem Corbyn-Lager leicht, alles als politische Kampagne abzutun. Um der Kritik zu begegnen, wonach die Parteiführung nichts unternehme, erarbeitete Labour jetzt eine eigene Definition von Antisemitismus – die Teile der IHRA-Definition weglässt, wo es um Israel geht.

Da heißt es bei Labour jetzt, dass in Sachen Israel nur jene Bemerkungen antisemitisch seien, die auch in ihrer Absicht antisemitisch seien. Doch dies widerspricht der in Großbritannien seit den Diskussionen über institutionalisierten Rassismus bei der Polizei gängigen Definition von Diskriminierung, auf dessen Basis auch die IHRA-Definition steht: nämlich, dass die Basis von Anschuldigungen der Diskriminierung oder des Rassismus die Wahrnehmung und die Aussage der Betroffenen ist.

Nicht Rassisten bestimmen, was Rassismus ist, sondern die Opfer von Rassismus, und Ignoranz schützt nicht vor diesem Vorwurf. Für Antisemitismus gilt das bei Labour jetzt nicht mehr: Durch Labours Definition ist man kein Antisemit, wenn man sich nicht bewusst ist, dass eine Aussage antisemitisch war.

Das sei „unmöglich zu verstehen“, reagieren in einer gemeinsamen Erklärung der jüdische Dachverband Jewish Board of Deputies und der Verband jüdischer Gemeinschaftsführer*Innen. Labours Parteivorstand wiederum gibt an, dass die neue Definition vom Jewish Labour Movement (JLM), dem Verband jüdischer Labour-Mitglieder, gebilligt worden sei. Aber gegenüber der linken Wochenzeitung New Statesman dementieren das zwei führende JLM-Mitglieder.

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17 Kommentare

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  • Es würde der Bekämpfung des Antisemitismus bei Labour sehr nützen, wenn die Kritik nicht immer dann erfolgt, wenn die Tories oder der Rechte-Labour-Flügel mal wieder medial in Bedrängnis sind. Nur so ein Gedanke...

  • Warum muss unbedingt jeder diese eine A.-Definition einer Partikulargruppe wie der IHRA (muss man die eigentlich kennen?) übernehmen?



    Es ist wohltuend, dass Jez Corbyn nicht über jedes Stöckchen springt.

  • Ich habe früher gerne den JC gelesen, der versucht hat, die gesamte Breite der Community zu repräsentieren, und auch deshalb kein linkes Blatt war.



    Nicht jeder ist vorgebildet, der sich zu Themen äußert, insofern ist die Labour-Definition tolerant gegenüber Mitgliedern und Sympathisanten und zu ungenau, aber die oben beschriebene Vernachlässigung von Themen wie Syrien spiegelt sich auch bei deutschen Linken (bzw. jenen Rechten, die sich nur auf Erdogan-Ösil fokussieren, deren Land bei allem Terror dreimal soviel Flüchtlinge aufgenommen hat wie das reiche Deutschland).



    Letztlich entscheiden jedoch nicht Definitionen, sondern Machtverhältnisse, ob Opfer von Rassismus sich wehren können. Das mag übrigens auf Israelis in ihrer Vielfalt ebenso zutreffen wie auf die bedrängten Bewohner des Gaza-Streifens. Und was Corbyn angeht, so ist er ein guter Wirtschafts - und Finanzpolitiker, aber wird zu sehr zur Heiligenfigur gemacht (bzw. verteufelt). Emily Thornberry oder Hilary Benn hätten vielleicht bessere Chancen beim Wähler, wobei der pool im Commons noch nie so ausgedünnt war wie heute. Das ganze System ist nicht mehr zeitgemäß, da sich etwa 5 Strömungen in zwei Parteien quetschen.

  • 9G
    97546 (Profil gelöscht)

    Es geht echt auf die Nerven, wenn dauernd auf irgendwelche Nebenschauplätze ausgewichen wird, um sich nicht mit den eigentlich wichtigen Themen zu befassen.

    Wenn linke Pilitik dazu führt, dass Menschen, mit jüdischem Glauben, würdevoller Leben können, stört es nicht, wenn einzelne Linke sich nicht politisch korrekt verhalten.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @97546 (Profil gelöscht):

      Für viele Menschen ist Antisemitismus kein Nebenschauplatz, sondern ein sehr wichtiges, geradezu existenzielles Thema.

      • 9G
        97546 (Profil gelöscht)
        @74450 (Profil gelöscht):

        Aber nicht in Deutschland.

  • Viele jüdische Organisationen haben in der Nazi-Zeit zum Boykott deutscher Waren ausgerufen. Waren die Ausrufe dann "anti-deutsch" ? Natürlich nicht, sondern "anti-faschistisch".

    Heutzutage rufen vielen Organisationen, darunter jüdische und Menschrechtsaktivisten, zum Boykott Israeli Produkte, wegen die Menschenrechtsverletzungen der Regierung Israels gegen die Palästinenser, die inzwischen über 70 Jahren andauern. Ein friedlicher Protest.

    Warum wird dann jetzt behauptet, BDS sei "anti-semitische"? Bin ich jetzt auch Antisemit, weil ich Ereignisse, die zur Nazi-Zeiten passierten, mit denen die jetzt passieren, vergleiche?

  • Wenn sich die Tories allein demontieren, muss man eben bei Labour ein wenig nachhelfen und sie todschreiben.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Ist also nach IHRA-Definition die Kritik an Israels rechter Regierung Antisemitismus? Danach wären dann auch viele linke Juden und Friedensorganisationen wie Breaking the Silence und Peace Now Antisemiten...?

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Die IHRA schreibt dazu in den Erläuterungen: „Manifestationen können die Fokussierung auf den Staat Israel sein, wenn er als jüdisches Kollektiv wahrgenommen wird. Eine Kritik an Israel, die sich auf einem Niveau bewegt, wie sie ein beliebiges anderes Land treffen könnte, ist allerdings nicht als antisemitisch anzusehen.“



      embassies.gov.il/b...ntisemitismus.aspx

    • @81622 (Profil gelöscht):

      „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“

      www.holocaustremem...ex.php/de/node/196

      • 8G
        81622 (Profil gelöscht)
        @mallm:

        Die Betonung dieser Differenzierung liegt dann aber auf "jüdisch" und nicht auf "der Staat Israel". Dieser wichtige und richtige Unterschied wird aber leider häufig nicht gesehen.

        • @81622 (Profil gelöscht):

          ja leider. Es gibt da zuviele, die das gesamte Thema auschließlich schwar-weiß betrachten und da nur herauslesen was sie wollen. Sieht man ja auch hier in der Kommune.

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Nö. Aufgrund welcher Der Sefinitionen? Wo vergleicht z.B. „Breaking the. Silence“ Israel mit den Nationalsozialisten? Kritik an israelischer Politik ist nicht per se Antisemitismus.

      • @Rudolf Fissner:

        Na ja, es geht aber um andere Dinge:



        - Um Labor-Politiker, die die Deportation der isralischen Juden fordern



        - die Behauptung, Israel sei im Einklang mit Hitler gegründet worden



        - die Verteidigung von körperlicher Gewalt in Europa gegen Juden "wegen Gaza"



        - der Behauptung, die britischen Wahlen seien durch "die Juden" manipuliert worden, oh pardon, "die Zionisten"

        Merke: Kritik an der israelischen Politik ist ok. Aber bloss, weil jemand "Jude" ersetzt durch "Zionist" oder "Israel" und alles andere gleich lässt, wird das noch lange nicht NICHT antisemitisch.

  • Die Definition des IHRA ist ein Freifahrschein für Israels Politik im Nahen Osten. Da wird die Kritik an einem Staat, der mitunter sehr brutal agiert zu einem Tabu, ja gar zu einem fast kriminellen Akt erklärt. Damit schafft man sich keine Freunde.

    • @agerwiese:

      "Die Definition des IHRA ist ein Freifahrschein für Israels Politik im Nahen Osten. Da wird die Kritik an einem Staat, der mitunter sehr brutal agiert zu einem Tabu, ja gar zu einem fast kriminellen Akt erklärt. Damit schafft man sich keine Freunde."

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