Brief an Altkanzler Gerhard Schröder: Einfach mal die Klappe halten
Unser Autor fand Gerhard Schröder früher klasse. Die Abqualifizierung von Andrea Nahles zeugt jedoch von Selbstglorifizierung und Sexismus.
Lieber Gerd,
wenn es für dich in Ordnung ist, sage ich mal du, so von modernem Mann zu modernem Mann. Eigentlich warst du früher ein echt guter Typ. Ein Aufsteiger, der ganz nach oben wollte. Das Haifischgrinsen, das Rütteln am Zaun, die unverstellte Freude an Brioni und Zigarren. Du hast Helmut Kohl aus dem Kanzleramt gejagt und die Republik kräftig durchgelüftet. Selbst als Verlierer warst du noch eine Marke.
Deine irre Überdrehtheit in der Elefantenrunde nach der Wahl 2005 werde ich nie vergessen. Wie du Merkel vor laufender Kamera gedroht hast, sie werde nie regieren, weil sie so frech war, gegen dich zu gewinnen. Großartig. Hat sie ja dann doch recht lange, also regiert, aber egal.
Jedenfalls: Was haben wir gelacht! Würde heute ein Kanzler solche Thesen raushauen, müsste man Twitter eine Woche abschalten. Du warst immer ein Großkotz, aber ein sympathischer. Es war allerdings nie zu übersehen, dass du mit Frauen ein Problem hast. Dass du damals ziemlich wichtiges Zeug, Familienpolitik zum Beispiel, als „Gedöns“ abqualifiziert hast, habe ich noch verschämt weggelacht. So wie man den peinlichen Onkel ignoriert, der beim Familienfest nach dem fünften Jägermeister Zoten reißt. Und dass du deine Ehefrauen regelmäßig durch jüngere ausgetauscht hast, ist deine Sache.
Aber das, was du jetzt mit Andrea Nahles machst, lieber Gerd, mal unter uns: Das geht nicht. Du wirfst deiner Nachfolgerin im SPD-Vorsitz im aktuellen Spiegel frauenfeindliche Klischees an den Kopf, für die man sich selbst in einer nach Schweiß riechenden Handballerkabine schämen würde. Du lästerst über ihre sprachlichen Qualitäten, unterstellst ihr „Amateurfehler“ und sprichst ihr die Eignung als Kanzlerkandidatin ab. Dein Sound ist unglaublich überheblich.
Wer glaube, dass die SPD erfolgreich einen Kanzlerkandidaten ohne ökonomische Kompetenz aufstellen könne, der irre, knödelst du gönnerhaft vor dich hin. Als die Journalisten fragen, ob Nahles ökonomische Kompetenz habe, antwortest du allen Ernstes: „Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.“
Mensch, Gerd, vielleicht hast du es nicht mitbekommen, diese ständigen Flüge nach Moskau sind ja wirklich anstrengend: Die Frau, über die du redest, war vier Jahre lang Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Sie hat ein Haus mit 1.200 MitarbeiterInnen gemanagt, ein Budget von knapp 140 Milliarden Euro verwaltet, den größten Einzeletat der Regierung. Sie macht Politik, seitdem sie 18 ist – und hat sich in ihrem Leben mehr mit Wirtschaftspolitik beschäftigt als die meisten Männer in der SPD. Außerdem, das aber nur nebenbei, rückt sie den Laden spürbar nach links, wofür es höchste Zeit ist.
Ich sage es mal so: Nahles’ Wirtschaftspolitik traue ich allemal mehr als der eines Kanzlers, der den größten Niedriglohnsektor Westeuropas installiert hat. Alles klar? Denn was du ja mit deiner Kritik eigentlich sagen willst, Gerd, ist, dass du immer noch der Geilste bist. In deiner eigenen Welt, in Schröderhausen, mag das so sein. Aber warum sollte die SPD von heute auf deine quasi gottgleiche Expertise hören? Das ist so, als stiege in einer Herde Lemminge ein alter Sack auf ein Podest und riefe: „Hey Leute, folgt mir, ich kenne da hinten noch einen viel krasseren Abgrund!“
Im Ernst: Du hast Millionen Menschen in schlecht bezahlte Arbeit gezwungen. Du hast den Mythos vom faulen Arbeitslosen gepflegt – Seit an Seit mit der Bild-Zeitung. Du hat den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt und damit den Wohlhabenden der Republik Milliarden Euro geschenkt. Ich wette, Anzugmänner lachen sich heute noch kaputt über diese grandiose SPD-Strategie, wenn sie im Berliner Chinaclub Austern schlürfen. Deine genialen Wirtschaftsthesen würde die neoliberale Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft blind auf ihre Plakate drucken.
Du hast mit deiner Agendapolitik die SPD fast geschrottet. Und jetzt machst du dich über die Frau lustig, die den Laden zu retten versucht? Respekt, Chuzpe hattest du immer schon. Diese jungen Leute im Internet nennen das, was du machst, übrigens „mansplaining“. Das Wort brauchst du dir nicht zu merken, das Prinzip aber schon. Es meint, dass Männer Frauen gerne die Welt erklären, auch wenn diese viel kompetenter sind.
Dich hat es bestimmt genervt, wenn Münte dir in einer Fraktionssitzung das Sozialgesetzbuch II auseinandergefriemelt hat, oder? Ungefragt und minutenlang? … Wie bitte? Hat er nie, weil du immer selbst geredet hast? O. k., dann anders. Du hast ja früher Fußball gespielt. Mit 18 warst du Mittelstürmer beim TUS Talle im Kreis Lippe-Detmold, Spitzname „Acker“, weil du dich so reingehängt hast. Über den Kampf zum Spiel finden, lautete deine Devise.
Es gibt doch beim Fußball diese nervigen Typen, die von der Seitenlinie aus jeden Spielzug kommentieren. Was du im Spiegel tust, ist noch schlimmer, weil du deine Selbstglorifizierung mit Verachtung für Nahles verbindest. Du erteilst nicht nur ungebetene Ratschläge, du kotzt in deine Pommesschale und schmeißt sie aufs Spielfeld.
Kleiner Tipp unter Männern: Das kommt nicht gut. Einfach mal die Klappe halten ist in deinem Fall gelebte Solidarität. Über das Schweigen zum Sieg finden, sozusagen. Und tu mir bitte noch einen Gefallen: Lies das hier auch deinem Kumpel Sigmar vor. Er hat es nötig. Glückauf!
Dein Ulrich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen