Brexit-Einigung in Brüssel: Der Deal steht
Großbritannien und die EU haben einen neuen Brexit-Vertragstext vereinbart. Möglich machte das eine britisch-irische Annäherung.
Wie genau – das blieb im Detail zunächst unklar. Aber es brachte in die Gespräche um ein revidiertes Brexit-Abkommen zwischen Großbritannien und der EU neuen Schwung. Denn wenn London und Dublin sich einig werden, dann zieht auch die EU als Ganzes mit.
Schon am 11. Oktober erhielt EU-Chefunterhändler Michel Barnier ein förmliches EU-Mandat zu Neuverhandlungen über den am Widerstand des britischen Parlaments gescheiterten Brexit-Deal von 2018 – Neuverhandlungen, die die EU bis dahin immer kategorisch ausgeschlossen hatte. Seitdem wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.
Am Donnerstagmittag gab EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bekannt, dass der neue Deal steht. Ein revidiertes „Nordirland-Protokoll“ sei vereinbart worden, ebenso eine neue „politische Erklärung“. Damit ist der Weg frei für den EU-Gipfel, der an diesem Donnerstagnachmittag in Brüssel beginnt, den Deal abzusegnen. Am Samstag soll er dann auf einer Sondersitzung des britischen Parlaments eine Mehrheit finden – hofft die Regierung von Premierminister Boris Johnson.
Fundamentale Divergenz
Dieser irre knappe Zeitplan macht alles kompliziert. Er besteht deshalb, weil derzeit der 31. Oktober als britischer EU-Austrittstermin feststeht und bis dahin entweder ein Abkommen oder eine Verschiebung beschlossen worden sein muss.
Noch am Donnerstagmorgen dauerten Detailgespräche an. Von einem bevorstehenden Durchbruch bis zu gegenseitigen Erpressungsmanövern waren alle denkbaren Deutungen bei Experten abrufbar.
Zuletzt sorgte die Meldung für Aufsehen, wonach Nordirlands DUP-Unionisten sich gegen das Paket ausgesprochen hätten, weil sie die vorgesehenen Mechanismen zur nötigen Zustimmung der nordirischen Institutionen anders formuliert sehen wollen. Die DUP bekräftigte ihre Ablehnung am Donnerstagmittag.
Kern des Problems war eine fundamentale Divergenz. Aus EU-Sicht darf auf der ganzen Insel Irland keine Zollgrenze entstehen – also muss auch das britische Nordirland Teil des EU-Zollgebiets bleiben, egal was Großbritannien macht. Aus britischer Sicht darf das britische Staatsgebiet nicht in verschiedene Zollgebiete aufgeteilt werden – Theresa May hatte deswegen im Rahmen ihres „Nordirland-Backstop“ den Verbleib des ganzes Landes in der Zollunion anvisiert und war damit im eigenen Parlament gescheitert.
Neues Konzept „Zollpartnerschaft“
Boris Johnson forderte bei seiner Vorlage zu einer Alternative zum Backstop Anfang Oktober den kompletten britischen Austritt aus der Zollunion, inklusive Nordirland. Das aber passt nicht zum EU-Wunsch, dass es keine Zollgrenze auf der irischen Insel geben darf.
Der neue britische Vorschlag, der nun die neue Einigung möglich gemacht hat, ist eine „Zollpartnerschaft“: Nordirland verlässt zusammen mit Großbritannien die EU-Zollunion, aber London wendet auf den Warenverkehr von Großbritannien nach Nordirland die EU-Zollregeln an und erstattet den Unternehmen den Zoll wieder, wenn die Waren nicht nach Irland weitergehen, sondern in Nordirland verbleiben. Der irisch-nordirische Warenverkehr auf der Insel könnte damit zollfrei bleiben, so als sei Nordirland in der EU-Zollunion. Nordirland wäre aber Teil des britischen Zollgebiets, was den gesamten anderen Handel angeht.
Experten sagen: Das funktioniert, ist aber höllisch kompliziert zu regeln. Wie gießt man das also auf die Schnelle in einen wasserdichten Vertragstext, den alle gutheißen? Und kann dieser rechtzeitig ratifiziert werden, damit der Brexit zum 31. Oktober eintreten kann? Der EU-Gipfel soll sich am Donnerstagnachmittag damit befassen.
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