piwik no script img

Bremer Klima-Enquete über ErnährungLecker und gerecht

Umweltfreundlich essen – wie das geht, darüber hat die Bremer Klima-Enquete in ihrer 15.Sitzung diskutiert. Einig war man sich nicht.

Gemüse zu genießen beugt Erkältungen vor und schützt vor Klimawandel Foto: Pasja1000/pixabay CC

Bremen taz | Kaum ein Aspekt der Klimadebatte wird so emotional diskutiert wie Konsum. Schon im Januar stritten sich Mitglieder der Klima-Enquete darüber, ob die Politik Menschen bei ihrer Ernährung überhaupt reinreden dürfe. Als sich die Kommission am Freitag vergangener Woche traf, stand das Thema erneut auf der Tagesordnung. Diesmal ging es darum, wie – und vor allem wie pflanzlich – in öffentlichen Kantinen gegessen werden sollte, damit der Sektor seinen Teil zur Eindämmung des Klimawandels beitragen kann.

Die Enquete diskutierte dazu zunächst die Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die DGE-Standards sollen öffentlichen Einrichtungen als Orientierung dienen. In Bremens Kantinen werden sie aktuell nicht konsequent umgesetzt.

Diät für den Planeten

Der zweite und – aus Perspektive von Fleischlieb­ha­be­r*in­nen – weitaus strengere Vorschlag kommt von der EAT-Lancet-Kommission, die 2019 die „Planetary Health Diet“ (PHD) entwickelt hat. Maßgeblich mitgewirkt hat Marco Springmann von der University of Oxford. „Ohne Veränderungen in der Ernährungsweise ist es unmöglich, die ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen genügend zu reduzieren, um die planetaren Grenzen entsprechend des Pariser Klimaabkommens einzuhalten“, sagte Springmann.

Der Sektor ist schließlich für gut ein Drittel der Treibhausgasemissionen zuständig. Tierhaltung und Futtermittelanbau fressen Land, verbrauchen Wasser, sorgen für Überdüngung. Schon jetzt schieße man damit über die Grenzen der Erde hinaus, bis 2050 könnten die Auswirkungen noch einmal um 50 bis 90 Prozent zunehmen, sagte Springmann; das Bevölkerungswachstum einberechnet.

Der Speiseplan der PHD sei nicht nur klimafreundlicher, sondern auch gesünder. Wer sich so ernähre, habe weniger Risiko zu erkranken: Bisherige wissenschaftliche Resultate zeigten, so Springmann, dass eine pflanzliche Ernährung grundsätzlich besser sei. Obst und Gemüse müsste den größten Teil der Ernährung ausmachen, auch Hülsenfrüchte sollte es jeden Tag geben.

Rotes Fleisch sei laut PHD-Plan einmal in der Woche vertretbar, Hähnchen und Fisch je zweimal. Andere tierische Produkte dürften einmal täglich auf den Tisch. Flexitarisch nennt Springmann diesen Mix. „Auch vegan oder vegetarisch steht im Einklang mit den Empfehlungen.“

Analysen hätten ergeben, dass diese flexitarische Ernährung die Treibhausgasemissionen global um 50 Prozent reduzieren würde. In Deutschland müsste dafür der Konsum von rotem Fleisch bis 2030 um 90 Prozent gesenkt werden. Die vegane PHD-Variante reduzierten die Emissionen sogar um 80 Prozent – „vor allem durch den Wegfall von Futterpflanzen“.

DGE-Standards wären global eine Verschlechterung

Die DGE-Standards hingegen, so Springmanns Kritik, würden nur halb so viel einsparen wie die flexitarische Ernährung der PHD. In Deutschland würde das die Situation zwar verbessern, aber: „Wenn sich alle so ernähren würden, wie die DGE es empfiehlt, würden wir die planetaren Grenzen noch stärker überschreiten, als es jetzt aussieht.“

Sigrid Grönert, sozialpolitische Sprecherin der CDU, fragte dennoch: „Wenn wir es überhaupt schaffen würden, die DGE-Standards in Kantinen umzusetzen, wäre das doch ein riesiger Erfolg. Ist es wirklich klug und umsetzbar, diesen Part zu überspringen?“

Angesichts der globalen Verantwortung sei es „doch recht merkwürdig“, entgegnete Springmann, „eine Empfehlung auszusprechen, mit der wir über unsere Ressourcen hinaus leben würden“. So gebe man die Verantwortung einfach an andere ab. „Und wenn man Empfehlungen macht, sollten die dem letzten wissenschaftlichen Stand entsprechen.“

Die Politik habe schließlich die Aufgabe, ein Umfeld zu schaffen, in dem es möglich ist, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. „Das ist gerade nicht so.“ Kosten für Klima und Gesundheit seien nicht abgebildet. „In der Wirtschaft hieße das: Der Konsument ist nicht genug informiert, um eine rationale Handlungsentscheidung zu treffen.“ Der Markt versage aktuell, was man am Klimawandel und dem hohen Anstieg ernährungsbedingter Krankheiten sehe.

Grönert überzeugte das nicht. „Ich glaube, dass wir im Rahmen der Enquete nicht gucken sollten, was der ganzen Welt an Standards gut tun würde.“ Länder, in denen es wenig Autos gebe, müssten sich ja auch nicht Tausende anschaffen, „weil hier alle E-Auto fahren wollen“. Wenn es nach ihr ginge, könnte Bremen innerhalb von fünf Jahren auf DGE umstellen, und dann „schrittweise darauf aufbauen“.

Angst vor Verboten

Philipp Bruck, klima- und tierpolitischer Sprecher der Grünen, reicht das bei Weitem nicht. „Sollte man in der Gemeinschaftsverpflegung nicht versuchen auszugleichen, was die Menschen außerhalb davon konsumieren?“

Sonja Pannenbecker von der Verbraucherzentrale ist „radikal“ gegen eine rein pflanzliche Ernährung, Damit könne man nicht sicherstellen, dass Kinder ausreichend versorgt würden. Springmann widerspricht: Auch für Kinder und Jugendliche sei rein pflanzliches Essen das gesündeste.

Auch Magnus Buhlert, in der FDP-Fraktion unter anderem für Klimapolitik zuständig, machte sich Gedanken um die Nährstoffversorgung der Kinder. Und um Verbote: „Das ist nicht demokratisch.“ Die Frage sei, was in einer Demokratie der richtige Weg ist, Menschen dazu zu bringen, ihr Verhalten zu ändern. Menschen, „die nur sich gefährden“. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „und das Klima“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • flexitarische ernährung ...

    hatten wir in den fünfzigern und danach auf'm tisch.



    das meiste kam aus dem eigenen garten oder aus opa's stall.

  • @INGO BERNABLE

    Zustimmung. Um's noch deutlicher zu machen:

    Verbote sind undemokratisch?

    - Gurtpflicht



    - Keine Reifen auf der Strasse abbrennen



    - Keine Rauschmittel (Alk und Tabak ausgenommen) im nahegelegenen Park verticken



    - Kein Adbusting (wird besonders streng verfolgt!)



    - Rauchverbot in der Tankstelle



    - Keine brennenden Matratzen aus dem Fenster werfen

    Wir schwimmen in Verboten! Die Demokratie ist gefährdet!1!!

  • "Und um Verbote: „Das ist nicht demokratisch.“ Die Frage sei, was in einer Demokratie der richtige Weg ist, Menschen dazu zu bringen, ihr Verhalten zu ändern."



    Und wenn die Menschen ihr Verhalten nicht ändern wollen, wäre das damit auch demokratisch legitimiert? Generell beziehen demokratische Verfahren ihre Legitimation doch daraus, dass die von den gefällten Entscheidungen Betroffenen direkt oder indirekt ein Stimm- und damit ein Mitsprachrecht haben. Bei Klimaschutzfragen ist die Situation aber nun mal so, dass die positiven Effekte einer fortgesetzten Untätigkeit größtenteils uns selbst zu Gute kommen, die negativen Folgen in ihrer ganzen Wucht aber erst in 100-200 Jahren durchschlagen, während umgekehrt ein Klimaschutz in dem Ausmaß in dem er notwendig wäre heute sehr weitreichende Einschränkungen und sozio-ökonomische Folgen zeitigt und dessen Früchte primär von nachfolgenden Generationen geerntet werden können. Denkt man das demokratische Prinzip zu Ende ließe sich durchaus argumentieren, dass nur solche Entscheidungen getroffen werden dürfen, deren Reichweite sich nicht vorrangig auf Menschen bezieht die zeitlich oder räumlich von den Abstimmenden verschiedenen sind und in ähnlicher Weise argumentierte ja zuletzt auch das BVerfG.